Als Weißrussland unabhängig wurde
Weißrussland, amtlich Belarus, entstand 1991 eher notgedrungen aus der Konkursmasse der UdSSR - es gab in der ehemaligen sozialistischen Sowjetrepublik keine namhafte Unabhängigkeitsbewegung.
Niemals, auch nicht in den späten 1980er-Jahren, als der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow seine Politik der Perestroika und Glasnost betrieb, war die Partei-Elite der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik ein Freund von Liberalisierungstendenzen. Die weißrussischen Kommunisten galten vielmehr bis zum Ende der UdSSR als "Betonköpfe". Es gab in Belarus, wie Weißrussland offiziell heißt, auch keine ethnisch geprägte Unabhängigkeitsbewegung, die Interesse an einer Transformation gehabt und die dafür benötigten Kompetenzen mitgebracht hätte.
Insofern war die im Dezember 1991 in Kraft getretene nationale Unabhängigkeit des Landes im Wesentlichen auch nur ein Ergebnis des Putschs gegen Gorbatschow im August des Jahres gewesen. Die Gründung der Republik Belarus zog keinen Elitenwandel nach sich und institutionellen Reformen wurden nur äußerst zögerlich angegangen.
Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung
Im Vergleich zu den anderen Nachfolgestaaten der zerfallenden UdSSR verfügte Belarus gemeinsam mit der Ukraine über die wohl besten Ausgangsbedingungen. Belarus war ein Land mit einer durchaus potenten Wirtschaft. Schlüsselbetriebe wie die "Minsker Autowerke" (MAS), die "Weißrussischen Autowerke Belas", die "MTS Traktorenwerke" oder zahlreiche Betriebe aus dem Bereich der Rüstungsproduktion prägten das Erscheinungsbild der weißrussischen Industrie Ende der 1990er-Jahre und befanden sich in einem verhältnismäßig soliden Zustand.
Die Landwirtschaft dagegen hatte mit den enormen Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu kämpfen – annähernd 70 Prozent des atomaren Niederschlags waren in Belarus niedergegangen und weite Flächen für die Landwirtschaft somit verloren.
Zusammenbruch der Wirtschaft
Nach der Unabhängigkeit brach die Industrie Weißrusslands wie ein Kartenhaus zusammen und das Land wurde gewissermaßen "deindustrialisiert". In den folgenden fünf Jahren sank das Bruttoinlandsprodukt um jährlich 9%, die Löhne sanken im gleichen Zeitraum gar um 11% in jedem Jahr.
1996 schien eine Wende zum Besseren gelingen – aber der kleine wirtschaftliche Aufschwung, mit dem die Bevölkerung des Landes große Hoffnungen verband, war schon nach zwei Jahren wieder vorüber. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung versank daraufhin in Armut.
Entscheidende Ursachen für die Misere waren vor allem: Von Anfang an hatte es nur zaghafte marktwirtschaftliche Reformen gegeben, der Staat dagegen versuchte mit restriktiven Methoden die Wirtschaft zu beschleunigen. Seit 1996 wurden dann auch die wenigen Privatunternehmen auf Anweisung des allmächtigen Präsidenten Alexander Lukaschenko wieder verstaatlicht. Die Betriebe produzierten – jedoch um welchen Preis. So klagte der Direktor der Minsker Autofabrik, dass ein Viertel der 20.000-köpfigen Belegschaft eigentlich arbeitslos sei, er jedoch niemanden entlassen dürfe. "Soziale Marktwirtschaft" in Belarus …
Hinzu kam, dass mit der Unabhängigkeit der Absatzmarkt Russland weggebrochen war sowie wichtige Zulieferungen für die eigene Industrie ausblieben.
Russische Minderheit in Weißrussland
In Weißrussland liegt der Minderheitenanteil bei etwa 20 Prozent. Größte Minderheit sind die 1,1 Millionen Russen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt bei 11,3 Prozent. Viele von ihnen leben in den großen Städten des Landes und in der Hauptstadt Minsk. Das Zusammenleben der zur slawischen Familie gehörenden Russen und Weißrussen ist weitestgehend konfliktfrei. Überhaupt gibt es in Weißrussland – in dem auch noch Polen, Ungarn und Juden leben - keine nennenswerten Minderheitenkonflikte. Empfehlungen der OSZE in Minderheitenangelegenheiten sind in großem Umfang in die weißrussische Rechtsordnung transformiert worden. Staatssprachen sind sowohl das Russische als auch das Weißrussische. Seit 1996 verfolgt Weißrussland eine Politik der engen Anlehnung an Russland. Der russischen Minderheit kommt dieser Kurs durchaus entgegen.
Die KP muss ihre Tätigkeit aussetzen
Das Scheitern des Putsches gegen Gorbatschow führte dazu, dass fast alle Führungskräfte Weißrusslands unisono ihren Austritt aus der Kommunistischen Partei erklärten. Tausende einfache Parteigenossen gaben ihre Parteibücher zurück oder verbrannten sie öffentlichkeitswirksam. Im August 1991 fasste der Oberste Sowjet von Belarus den Beschluss über die "Aussetzung der Tätigkeit der KP von Belarus" und die Verstaatlichung ihres Vermögens. Die Gegner der Kommunisten feierten bereits das Ende der Kommunistischen Partei. Zu früh, wie sich herausstellen sollte. Im Dezember 1991 gründete sich die "Belarussische Partei der Kommunisten" und im Februar 1993 widerrief der Oberste Sowjet des Landes die "Aussetzung der Tätigkeit der KP" vom August 1991. Die beiden kommunistischen Parteien fusionierten, ehe sie sich vier Jahre später wieder trennten. Bei den Parlamentswahlen von 1995 gewannen die vereinten belarussischen Kommunisten die meisten Sitze. An die Macht freilich kamen sie nicht mehr.
Der "letzte Diktator Europas"
1994 war Alexander Lukaschenko mit 80 Prozent der Stimmen in einer durchaus freien und einigermaßen fairen Wahl zum ersten Präsidenten der Republik Belarus gewählt worden. Lukaschenko, ehemaliger Politkommissar der Roten Armee und Vorsitzender einer Sowchose, der sich damit brüstete, als Abgeordneter 1990 im Obersten Sowjet von Belarus gegen die Auflösung der UdSSR gestimmt zu haben, schien tatsächlich ein Mann des Volkes zu sein. Er kanalisierte die Sehnsucht nach "Recht und Ordnung" der von den Wirren der Transformation müde gewordenen Belarussen, indem er ein hartes Vorgehen gegen korrupte Staatsbeamte und Reformgewinnler versprach. "Batko", der Kommandeur, wie sich Lukaschenko nennt, gehörte nicht zur Nomenklatur und schien durchaus glaubhaft zu sein.
Doch Lukaschenko begann sofort, alle Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Er ließ sich das Recht festschreiben, jederzeit das Parlament aufzulösen, den Generalstaatsanwalt, die Vorsitzenden des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts und die Hälfte der Verfassungsrichter zu bestimmen, und schaffte später auch das in der Verfassung artikulierte Verbot einer dritten Kandidatur für das Amt des Präsidenten ab.
In seinen stundenlangen Reden im Staatsfernsehen warnte "Batko" auch vor dem "ungeheuerlichen Monster Nato, das an die Grenzen unseres Belarus herankriecht". "Außer der Opposition regt es kaum jemanden auf, wenn der Präsident zur Vereinigung mit dem Nachbarn Russland bläst", schrieb der "Spiegel" 1998 in einer Reportage. "Belarus, das im Unterschied zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken nicht gewaltsam von Moskau russifiziert wurde, hat in seiner Geschichte ohnehin selten Lust zum nationalen Alleingang verspürt. Im Straßenbild von Minsk ist die Sowjetunion nie untergegangen. An der Metro steht noch "UdSSR", das wichtigste Staatsblatt nennt sich "Sowjetskaja Belorussija", ein wuchtiger Granit-Lenin bewacht den Regierungssitz."
(zuerst veröffentlicht am 14.03.2014)