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Der lange Weg zum Digitalpakt SchuleFünf Milliarden Euro für die digitale Bildung

30. April 2020, 19:02 Uhr

Was für ein Paukenschlag! Im Frühjahr 2019 beschlossen die Bundesregierung und alle sechzehn Bundesländer, in Sachen Bildung gemeinsame Sache zu machen. Zumindest ein bisschen: Weil die Ausstattung der Schulen in Deutschland mit neuer Informations- und Kommunikationstechnik unterentwickelt ist, geben Bund und Länder bis 2024 insgesamt 5,5 Milliarden Euro, um nachzuhelfen.

von Steffen Grimberg

Denn auch die digitalen Fähigkeiten der deutschen Schülerinnen und Schüler liegen laut Bildungsmonitor der Initiative neue soziale Marktwirtschaft bestenfalls im Mittelfeld - und unter dem EU-Durchschnitt. Bei rund 43.000 Schulen in Deutschland stehen nun rein rechnerisch jeweils rund 128.000 Euro pro Schule zur Verfügung. Doch bislang ist von dem Geld noch kaum etwas dort angekommen.

Das Grundgesetz musste extra geändert werden

Bis zum Digitalpakt-Beschluss war der Weg schon ziemlich lang. Denn eigentlich hat sich der Bund bei Bildungsangelegenheiten und dem Thema Schule rauszuhalten. Bildung ist in Deutschland Ländersache - wie übrigens auch alles, was mit Medien und deren Spielregeln zu tun hat. Um den Digitalpakt hinzubekommen, musste in einem aufwändigen Verfahren zunächst einmal das Grundgesetz geändert werden. Seit November 2018 heißt es nun in Artikel 104c: "Der Bund kann den Ländern zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen (…) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren." Was im Klartext bedeutet: Es geht um Hardware und Software, also um technische Ausstattung. Bei den Schul- und Unterrichtsinhalten oder dahinter stehenden pädagogischen Konzepten, darf der Bund weiterhin nicht mitbestimmen.

Gekabbel zwischen Bund und Ländern

Es dauerte noch etwas länger, weil die Länder den ersten Entwurf der Bundesregierung Ende 2018 auflaufen ließen. Nachvollziehbar - denn danach hätten sie die Hälfte des Geldes selbst beisteuern müssen. Erst als der Bund signalisierte, die Finanzierung überwiegend alleine zu stemmen, gab der Bundesrat als Länderkammer am 15. März 2019 grünes Licht. Nun waren wieder die Länder am Zug. Sie mussten entsprechende Förderrichtlinien erlassen. Und das dauerte in einigen Ländern dann noch einmal fast bis zum Jahresende.

Der Digitalpakt soll keine Wirtschaftsförderung sein

Die mitteldeutschen Freistaaten Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen brauchten bis Oktober, Schlusslicht Berlin veröffentlichte seine Richtlinien sogar erst im November 2019. In den Förderrichtlinien ist zum Beispiel geregelt, dass maximal 20 Prozent des Geldes für Tablets und vergleichbare "mobile Endgeräte", wie das im Behördendeutsch heißt, ausgegeben werden. Man will nämlich verhindern, dass der Digitalpakt in erster Linie ein großes Förderprogramm für die Geräteindustrie wird. Außerdem muss jede Schule ein eigenes Medienkonzept vorlegen, aus dem hervorgehen soll, wie die schöne neue Schul-Technik eingesetzt wird und was das mit Blick auf Pädagogik und Unterricht bringt. Hier dürfte für die meisten Schulen die größte Herausforderung liegen.

Munteres föderales Durcheinander

Ansonsten konnte hier aber jedes Land individuell gestalten. Weshalb es aktuell viel Kritik gibt. Die Vorschriften seien uneinheitlich und zu kompliziert, heißt es da. In einer Umfrage des Deutschen Städte-und Gemeindebundes aus dem Dezember 2019 beklagt die Mehrheit der befragten Schulträger (44 Prozent) den Verwaltungsaufwand als viel hoch. 65 Prozent der Befragten kritisieren, dass ihnen ihr jeweiliges Bundesland bei der Umsetzung zu wenig helfe.

Die Crux ist nämlich, dass es in fast allen Bundesländern bislang wenig konkrete Angebote gibt, aus denen sich ein schlüssiges Medienkonzept erstellen ließe. Bislang wurde das Thema Medien "unterrichtsübergreifend", das heißt in mehreren Fächern und eher am Rande behandelt. Ein konkretes Medienkonzept ist jetzt aber die Voraussetzung, damit überhaupt Geld fließt. Allein technische Hardware zu kaufen und in die Klassenzimmer zu stellen, ist nicht möglich.

Völlig unklar: Wie geht es bei den Folgekosten weiter?

Ein noch größeres Problem sind die nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern von Ort zu Ort völlig unterschiedlichen Bedingungen. Zum Beispiel was den Anschluss ans Breitbandnetz angeht. Deutschland ist in Sachen schnelles Internet bekanntlich ja eher Entwicklungsland. Und das schönste Tablet macht ohne W-Lan nicht viel Sinn. Eine Finanzierung des Netzausbaus oder solcher Anschlüsse aus dem Digitalpakt-Topf ist aber ausdrücklich ausgeschlossen.

Dazu kommt noch eine digitale Besonderheit: Bei der klassischen Schulausstattung reichte es oft, wenn die Anschaffung finanziert war. Die berühmte Schultafel mit Kreide und Schwamm braucht keine Updates. Auch Schulbücher halten ziemlich lange, bevor sie gegen neue ausgetauscht werden müssen. Der Digitalpakt ermöglicht jetzt zwar die Anschaffung ihrer digitalen Nachfolger - also von Whiteboards und interaktiven Tafeln ("Active Boards"), Computerservern usw. Die weiteren Kosten für deren Unterhaltung, Updates oder schlicht die Kosten für den Internet-Anschluss bleiben nun aber wieder an den Schulen oder deren Trägern hängen.

Viele Schulträger können sich IT-Support und Wartung nicht leisten

Und das sind fast immer die finanziell ohnehin schon gebeutelten Städte und Gemeinden. "Es ist unabhängig vom Digitalpakt Schule die Aufgabe der Kommunen bzw. der privaten Schulträger, Betrieb, Support und Wartung der IT in den Schulen sicherzustellen", heißt es denn auch schlicht und schön in einer Handreichung des Bundesbildungsministeriums. Genau hier liegt aber das Problem: "Mehr als jeder zweite Schulträger gibt an, er könne den IT-Support für die geförderten Projekte nicht gewährleisten, 76 Prozent können die Folgekosten nicht decken, 69 Prozent halten die Lehrerschaft für nicht ausreichend auf die Umsetzung vorbereitet", zitiert Focus Online aus der Umfrage des Deutschen Städte-und Gemeindebundes. Dass dennoch mehr als die Hälfte der befragten Schulträger auf eine verbesserte Lehrqualität hoffen, zeugt immerhin mal von Optimismus und Aufbruchstimmung.

Deutscher Städte-und Gemeindebund fordert mehr Fortbildungen für Lehrkräfte

Um dies nicht zu verlieren, hat der Vorsitzende des Deutschen Städte-und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, denn auch konkrete Forderungen an die Politik: "Die Umfrage zeigt einmal mehr, dass die Umsetzung des Digitalpaktes vielerorts noch in den Kinderschuhen steckt", so Landsberg im Dezember 2019. Jetzt sei es höchste Zeit, die Fortbildung der Lehrkräfte deutlich konsequenter voranzutreiben und vor allem die bürokratischen Vorgänge zu verschlanken, um "den wichtigen Digitalpakt am Ende doch noch zu einer Erfolgsgeschichte zu machen."

Sachsen hat die Nase vorn: Erste Projekte starteten im Sommer 2019

Bevor jetzt zuviel Trübsal geblasen wird: Das Schöne am deutschen Föderalismus ist ja, dass es überall anders läuft. Während in einigen Ländern bis Ende 2019 noch kein einziges Projekt bewilligt war, setzte Sachsen zum digitalen Sprint an: Den ersten Förderbescheid für Gelder aus dem Digitalpakt gab es schon im August 2019 für den Landkreis Zwickau, der zunächst mal Grundlagen für die digitale Welt an sich schaffen will. Indem er die offenbar höchst mangelhafte Ausstattung seiner Schulen mit W-Lan verbessert. Zum Stand 31. März 2020 wurden im Freistaat immerhin bereits 69 Anträge bewilligt und eine Summe von 37,4 Millionen Euro freigegeben. 14 weitere Anträge von Schulträgern mit einem Zuschussvolumen von 10,2 Millionen Euro werden aktuell noch bearbeitet.

In Sachsen-Anhalt liegen nach Angaben des dortigen Bildungsministeriums erst sieben Anträge mit einem Fördervolumen von insgesamt rund 700.000 Euro vor. In Thüringen haben immerhin schon 13 Schulträger Anträge eingereicht (Stand 6. April 2020), um in den Genuss von Digitalpakt-Geld zu kommen. Zehn dieser Anträge wurden bereits bewilligt. Die damit verbundenen rund 3,8 Millionen Euro Fördergelder verteilen sich auf 20 Schulen. Drei weitere Anträge sind derzeit in Bearbeitung. Das Bildungsministerium in Erfurt erklärte auf MDR-MEDIEN360G-Anfrage, es rechne "in der kommenden Zeit mit einer deutlichen Zunahme der Anträge, da viele Träger, wie wir wissen, derzeit noch in der umfangreichen Antragsvorbereitungsphase stecken".

In Thüringen hatte der Landkreis Gotha die Nase vorn. Auch hier geht es vorrangig erstmal um das Allernotwendigste - die Ausstattung mit stabilem W-Lan. Voraussetzung ist natürlich an vielen Orten erst einmal der Ausbau des Breitbandnetzes. Doch genau das darf nicht mit Geld aus dem Digitalpakt geschehen. Hierfür gibt es zwar auch Fördertöpfe. Doch die stehen beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Das hatte schon 2017 die Offensive "Digitales Klassenzimmer" gestartet.

Große Herausforderungen für alle Beteiligten

Wird also die erste Bilanz zum Digitalpakt "Außer Spesen fast nichts gewesen" lauten müssen? Eine ursprünglich für Mitte März im Haushaltsausschuss des Bundestags geplante erste Zwischenbilanz darüber, wie die Umsetzung des Milliardenprogramms läuft, hat wegen der Corona-Krise bislang nicht stattgefunden.

Man sollte dem Ganzen aber zugute halten, dass es sich um ein ziemlich vielschichtiges Thema handelt. Bei dem lokal, also bei den Schulen selbst, von höchst unterschiedlichen Ausgangsbedingungen gestartet wird. Bei dem Instanzen - Bund und Länder - zusammenarbeiten, die das im Bereich Bildung so noch nie gemacht haben. Und bei dem dann auch noch eine bislang nie dagewesene Herausforderung an alle Beteiligten besteht: Gemeinsam ins digitale Zeitalter aufzubrechen. Wenn am Ende dabei herauskommt, das vielleicht nicht alles Geld ganz optimal eingesetzt wurde, dafür aber dann jede Schule in Deutschland endlich ein Medienkonzept hat und tatsächlich Ideen entwickelt, wo die digitale Reise hingeht, hat sich der Digitalpakt voll und ganz gelohnt. Auch wenn es am Ende etwas länger als die geplanten fünf Jahre bis 2024 dauern dürfte.

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