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Interview mit Prof. Barbara Schlücker"Die Sprache hat sich schon jetzt verändert"

14. Januar 2022, 18:13 Uhr

von Claudia Euen

MEDIEN360G: Herzlich willkommen, Barbara Schlücker. Sie ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Universität Leipzig. Schön, dass Sie da sind. Wir wollen heute über die gendersensible Sprache in den Medien diskutieren. Meine erste Frage ist: Früher, also damit meine ich so vor 30 bis 40 Jahren, war es ja auch in den Medien tatsächlich so, dass in den öffentlichen Diskussionen mehrheitlich Männer waren, dass man in kleinen intellektuellen Kreisen diskutiert hat. Heute hat sich das geöffnet, es können sehr viele Menschen mit diskutieren. Hat sich die Sprache an diese Veränderung angepasst?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ich glaube, das ist ein Teil davon, diese öffentliche Diskussion in den Medien und Diskussionsrunden. Aber natürlich hat sich die Rolle der Frau in den letzten 100 oder 150 Jahren extrem geändert. Also, viel mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ganz anderer Wandel, was Berufstätigkeit angeht. Und insofern ist das, glaube ich, nur ein kleiner Teil davon. Natürlich hat das Auswirkungen auf die Sprache. Beziehungsweise gibt es Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Komponenten.

MEDIEN360G: Das heißt sozusagen, die Sprache hat sich verändert?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Sprache verändert sich fortlaufend. Und sie verändert sich natürlich fortlaufend einfach dadurch, dass Menschen interagieren. Ja, und dass sich, wenn sich die sozialen Verhältnisse ändern, natürlich auch schon vor 200 bis 300 Jahren und noch viel länger her, das etwas mit der Sprache macht. Es macht etwas mit den sprachlichen Formen, mit der Grammatik über eine lange Zeit. Wir sprechen nicht mehr so wie vor 500 oder 700 Jahren. Aber es macht natürlich auch etwas mit Ausdrucksformen. Und wenn sich dann der soziale Status einer bestimmten Gruppe ändert, wie beispielsweise der Frauen, dann geht es mit sprachlichem Wandel einher. Gleichzeitig bedingt sich aber das natürlich auch: also, dass sprachlicher Wandel auch zu sozialem Wandel führen kann.

MEDIEN360G: Also die Gender-Debatte ist ja gerade relativ aktuell, oder die kocht gerade so ein bisschen hoch. Dabei gibt es ja die gendersensible Sprache schon sehr lange, und es wird auch schon sehr lange darüber diskutiert, wie man Frauen und andere Gruppen mehr in der Sprache sichtbar machen kann. Woran liegt das denn aktuell?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: In der Tat ist es so. In den 1970er-Jahren hat das angefangen. Da ist darauf aufmerksam gemacht worden und das ist aber in einem relativ kleinen Kreis geblieben und durchaus auch eher ins Lächerliche gezogen worden. Ich denke, es hat wiederum, wie ich gerade schon gesagt habe, vor allem mit sozialen Veränderungen zu tun, mit einem Aufbegehren, mit der Einsicht, auch von Sprechern und von Sprecherinnen, ja von Personen, dass sie ein Recht darauf haben, wahrgenommen zu werden in der Gesellschaft. Und die Erkenntnis, dass dieses Wahrgenommenwerden eben auch mit sprachlicher Sichtbarkeit zu tun hat.

Und natürlich je stärker Gruppen, die ansonsten vielleicht nicht so sehr im Mittelpunkt stehen, ihr Recht einfordern und das umsetzen, desto stärker ruft es natürlich auch Widerstand hervor. Ja, und wenn man auf immer neue sprachliche Mittel zugreift, zum Beispiel in der Schreibung durch ganz neue Schreibformen, die es vorher nicht gab, dann ruft das natürlich erst einmal Widerstand hervor. Und das ist natürlich auch etwas, was wir auch in anderen Formen bei sprachlichem Wandeln beobachten. Etwas Neues ist erstmal etwas Komisches, etwas Fremdes. Und dann haben wir natürlich auch Dinge, rechtliche Veränderungen wie die Einführung eines dritten Geschlechts. Und es ist natürlich ganz klar, dass dann bestimmte Personen auch genau diese neue rechtliche Form in Sprache realisiert haben möchten. Also das heißt, wir sehen hier auch in der Gesellschaft ganz große Wandelerscheinungen und die bilden sich natürlich auch in der Sprache ab. Und es wird natürlich auch gefordert.

MEDIEN360G: Also die meisten Umfragen, die in der Gesellschaft gemacht werden oder die veröffentlicht werden, zeigen ja, dass die Mehrheit der Gesellschaft eigentlich das nicht so super findet, dass gendersensible Sprache benutzt wird.

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ja, ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir kurz darüber reden, was gendersensible Sprache ist. Ich verwende häufig den Ausdruck "geschlechtergerechte Sprache". Was ist das überhaupt? Denn das ist ein ganz, ganz großer Bereich. Ich glaube, das ist vielleicht auch ein großer Teil des Problems der gegenwärtigen Debatte, die ja so heftig geführt wird, dass oft nicht klargemacht wird: Worüber reden wir denn eigentlich? Es gibt so viele unterschiedliche Formen und Variationen und Möglichkeiten dieses Sprechens und bevor wir nicht wissen, worüber wir jetzt eigentlich konkret sprechen, bleibt es oft an der Oberfläche.

Oft entbrennt die Diskussion ja an speziellen Schreibungen: das Sternchen, der Gender-Gap, das Binnen-I, der Doppelpunkt. Aber Schreibung ist natürlich nur ein ganz kleiner Teil von geschlechtergerechter Sprache. Wir haben verschiedene Formulierungsmöglichkeiten, die unabhängig davon sind, ob ich spreche, ob ich schreibe. Und wir haben auch ganz viele unterschiedliche Grade, was ich alles umsetzen möchte. Ich kann zum Beispiel immer versuchen, nur mit Neutralisierungsformen zu sprechen. Das heißt, ich verzichte darauf, auf das Geschlecht zu verweisen. So die klassischen Beispiele dafür wären Ausdrücke wie Lehrkräfte. Da muss ich mich nicht entscheiden zwischen Lehrer und Lehrerinnen oder LehrerInnen. Oder ich kann zum Beispiel die Beidnennung verwenden, indem ich von Lehrern und Lehrerinnen spreche. Wo dann wieder gesagt wird: Na ja, dann bleiben wir in diesem Binären verhaften und wir beachten jetzt nur Männer oder Frauen. Und was natürlich sehr häufig zu beobachten ist in der Diskussion in den Medien, ist das Beispiele herangezogen werden, die so eigentlich überhaupt nicht vertreten werden, die übertrieben sind. Wenn dann von "Brathähnin" gesprochen wird oder von "Stühlin", die natürlich vollkommener Unsinn sind aufgrund der sprachlichen Faktoren. Und dann entsteht natürlich eine Debatte, die ungut ist, weil sie einfach Unsinn und unsinnig ist.

MEDIEN360G: Aber es ist ja auch ein Zeichen, dass die Leute sich darüber lustig machen. Dass man es ins Lächerliche zieht, zeigt ja auch, dass man es quasi nicht ernst genug nimmt. Oder haben Sie das Gefühl, die Gesellschaft nimmt diese Diskussion ernst genug?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Die Gesellschaft besteht aus sehr vielen unterschiedlichen Gruppen und aus sehr vielen unterschiedlichen Positionen. Und natürlich hört man die einzelnen, die Endpositionen, sehr laut. Ich glaube, wir sehen auch in den Medien, dass sehr häufig schon eine etwas unauffälligere Art der geschlechtergerechten Sprache verwendet wird, indem zum Beispiel versucht wird, viel mit neutralen Formen zu arbeiten. Das wird dann nicht unbedingt als geschlechtergerechte Sprache wahrgenommen und geht völlig unter. Insofern hängt es wirklich auch davon ab, welche Formen gewählt werden. Und insofern ist es auch immer sehr problematisch mit den Umfragen. Wer wird denn jetzt gefragt? Natürlich werden dann die Ergebnisse unterschiedlich lauten.

MEDIEN360G: In den Medien ist ja der Umgang mit gendersensibler Sprache ja relativ divers. Also jeder macht es irgendwie. Die einen machen es. Die taz macht es schon lange. Die FAZ sagt mir, sie will es nicht. Die Öffentlich-Rechtlichen finden eben auch diese neutralen Formen. Aber den Genderstern, den liest man doch eher selten. Ist das aus ihrer Sicht der richtige Umgang? Oder sollte der Weg klarer sein?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Naja, es kommt darauf an, was man will. Es ist natürlich so, wenn man es sich aus grammatischer Sicht anschaut, sind natürlich gerade diese Schreibungen nicht ganz unproblematisch. Das muss man schon so sagen. Ich kann ganz unproblematisch "Student:innen" schreiben. Wir haben auch an der Universität Leipzig diese Handreichung, dass mit dem Doppelpunkt geschrieben wird. Aber es gibt natürlich bestimmte Sätze, wenn wir flektieren, wenn wir Adjektive haben, wo das gar nicht so unproblematisch zu realisieren ist. Das muss man wissen. Und ich werde mich nicht dazu verhalten. Oder kann mich nicht dazu verhalten: Man muss es so und so machen. Ich glaube nur ganz grundsätzlich, dass es eben auch in den Medien diese verschiedenen Formen gibt und dass eben viel davon auch eine Frage der Gewöhnung ist. Und wir sehen natürlich in den Medien immer nur die Dinge, die uns auffallen, weil sie neu sind. Wir sehen einen Doppelpunkt. Wir sehen den Genderstern. Wir hören, wenn ein Journalist oder eine Journalistin, den Glottal Stop benutzt, wie "Lehrer innen", alle anderen Formen, die vielleicht ganz bewusst gewählt werden in den Medien. Ja, die gehen vielleicht auch unter. Insofern, natürlich werden wir beeinflusst.

MEDIEN360G: Glauben Sie, dass gendersensible Sprache mehr Gleichberechtigung bringt?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ja, ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Teil. Also das, was ich eingangs sagte, war ja schon dieses "Gesellschaftliche Teilhabe ist verbunden mit gesehen werden und eben auch sprachlich gesehen werden." Es gibt zum Beispiel eine Studie, die da ganz interessant ist. Die hat gezeigt, dass man manchmal am Anfang eines Artikels liest "Ich verwende im Folgenden nur die männliche Form, aber Frauen sind immer mitgemeint." Und es gibt eine Studie, die zeigt, dass genau das Gegenteil davon erzeugt wird. Dass es offensichtlich so ist, dass die Leser und Leserinnen, wenn sie das lesen, die Frauen ausschalten in ihrem Bewusstsein, weil sie genau das vorher gelesen haben, sind jetzt nicht mehr mitgemeint. Also insofern bin ich der festen Überzeugung natürlich, dass die Sprache ein Teil davon ist. Natürlich nur durch Sprache allein entsteht keine gleiche Bezahlung, keine gleichmäßige Repräsentation von Frauen in Vorständen. Das ist auch ganz klar. Aber es ist ein Teil davon, der dahin führt. Die simplen Beispiele sind natürlich dann solche Dinge wie Stellenanzeigen, wo dann eben auch explizit die weibliche Form verwendet wird beispielsweise, und man weiß, es hat zur Folge, dass sich mehr Frauen oder Mädchen auf eine bestimmte Stelle bewerben.

MEDIEN360G: Das heißt, die große Frage ist ja dann am Ende: Was ist zuerst da? Ist zuerst die Veränderung der Sprache da und dann wird die Gesellschaft gleichberechtigter? Oder ist zuerst der Wunsch nach Gleichberechtigung da? Und dann verändert sich die Sprache?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Es bedingt sich gegenseitig, das ist ganz klar. Wenn die gesellschaftliche Stellung sich ändert, dann wächst natürlich auch der Wunsch danach. Oder auch der Anspruch, zu sagen: Ich möchte auch in der Sprache repräsentiert werden. Und das hat aber natürlich auch wieder zur Folge, dass vielleicht auch neue Felder in der Gesellschaft erschlossen werden. Also ich bin der festen Überzeugung, dass es eine Wechselwirkung ist.

MEDIEN360G: An der Uni gab es ja auch gerade heute eine Pressemitteilung. Da wurden drei neue KandidatInnen, Kandidat:innen vorgestellt. An der Uni hier wird es ja sehr konsequent gemacht. Oder?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ja, also ich habe die auch nur ganz kurz gerade gelesen, die Pressemitteilung. Zwei Frauen, ein Mann - ist jetzt auf geschlechtergerechte Sprache zurückzuführen, so simpel kann man es nicht sagen. Ja, aber natürlich, weil wir im Moment ja auch eine Rektorin haben und eine Kanzlerin. Das wird natürlich tatsächlich auch schon gelebt, dass wir ein weibliches Führungsteam haben.

MEDIEN360G: Und glauben Sie, dass sich das durchsetzen wird, gendersensible Sprache? Die einen hoffen ja irgendwie: Ach, das wird schon wieder weggehen. Das ist jetzt gerade so, das kocht so ein bisschen hoch, sagen die Gegner. Die Befürworter sagen: Wir wollen die Sprache verändern. Und in der Umsetzung macht es jeder irgendwie. Also das ist ja, glaube ich, gerade so der Ist-Zustand. Wo glauben Sie, führt das hin?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ja, die Sprache hat sich schon jetzt verändert, und irgendetwas wird hängen bleiben. Natürlich wird die Zeit zeigen, was. Und man muss dazu natürlich wissen, dass es, was die Sprache angeht, wirklich nur einen Bereich gibt, der wirklich geregelt ist: Normiert ist die Schreibung. Ja, wir haben eine normierte Schreibung. Ansonsten kann Ihnen nun niemand verbieten, so zu sprechen und zu schreiben, also bis auf die Schreibung selbst. Aber es kann Ihnen niemand verbieten, die Ausdrücke zu verwenden, die Sie verwenden möchten. Also insofern regelt das die Gesellschaft und so hat sich Sprache ja, ganz unabhängig von geschlechtergerechter Sprache, auch schon immer gewandelt. Und interessant oder schwieriger ist sicherlich die Frage der Schreibung. Der deutsche Rechtschreibrat verhält sich im Moment etwas abwartend und sagt: Ja, wir müssen das noch näher anschauen. Im Moment, wenn wir das also eng anschauen, sind das keine normgerechten Schreibungen, diese verschiedene Varianten. Der deutsche Rechtschreibrat sagt aber auch nicht: Das wird niemals korrekt sein. Sondern er beobachtet. Das ist auch die Formulierung, die man auf der Webseite dort nachlesen kann. Und das ist natürlich die spannende Sache. Was bleibt davon übrig? Denn irgendwann wird natürlich gerade jetzt im Bereich dieser Schreibung dann eine Entscheidung getroffen werden müssen. Es gibt sprachliche Neuerungen, die eintreten, die sich einige Jahre, einige Jahrzehnte halten, wieder verschwinden, und andere gehen ganz selbstverständlich in unser Leben über. Ja, so klassische Beispiele dafür sind bestimmte Fremdwörter oder bestimmte Fremdsprachen, die zu einer bestimmten Zeit einen großen Einfluss haben auf eine Sprache, beispielsweise erst das Französische und inzwischen nicht mehr. Jetzt ist es das Englische.

MEDIEN360G: Ist das generische Maskulinum wirklich generisch? Also gilt es auch für beide Geschlechter?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Das generische Maskulinum, also solche Formen wie "ein Lehrer" oder "ein Schüler", ist natürlich ein schwieriger Fall, an dem sich ein ganz großer Teil der Debatte aufhängt. Vielleicht noch mal so ganz kurz. Die Idee dahinter ist: Wir haben es hier eben nicht mit einer spezifisch männlichen Form zu tun, sondern mit einer Form, die geschlechterübergreifend ist und dann nur die jeweilige Rolle oder Funktion ausdrücken soll. Jemand ist eben Schüler oder von Beruf Lehrer. Und das ist natürlich ein bisschen schwierig. Denn wenn man sich das genau anschaut, muss man natürlich wissen: Diese Form hat zumindest eine Doppelfunktion, denn es ist natürlich auch eine spezifisch männliche Form. Ja, wenn ich sage "Peter ist Lehrer" beispielsweise, dann möchte ich ja nicht damit ausdrücken, dass Peter nur eine Person ist, die eine bestimmte Funktion hat, sondern dann ist natürlich damit auch eine bestimmte Geschlechtszuschreibung verbunden. Und diese Doppelfunktion, die macht das Ganze so ein bisschen schwierig. Denn was man eben gemerkt hat tatsächlich, und da gibt's ganz, ganz viele Studien dazu, die das gezeigt haben, ist, dass diese geschlechtsübergreifende Funktion, die das generische Maskulinum haben soll - "Hier arbeiten viele Lehrer." und es soll dann eben bedeuten, viele Personen, die diesen Beruf ausüben jeglichen Geschlechts - dass die meistens eben nicht so verstanden wird, sondern dass im Zweifelsfall eben tatsächlich das doch eher männlich interpretiert wird.

Und dazu muss man auch sagen, das ist wirklich so ein unbewusstes Sprachverstehen. Das zeigen auch diese Tests. Wenn man darüber nachdenkt, sagt man: "Ich weiß doch natürlich, dass hier Männer und Frauen arbeiten, in der Schule als Lehrer und als Lehrerin." Es geht also tatsächlich eher darum, was unbewusst bei uns im Sprachverstehen abläuft. Und das ist eben eine Erkenntnis, die man auch schon in den letzten zehn, 20 Jahren mindestens gemerkt hat. Es ist eben tatsächlich nicht generisch, sondern wir haben in unserem unbewussten Sprachverstehen dann doch irgendwie so eine Neigung dazu, das im Zweifelsfall oder überwiegend doch als männlich zu verstehen.

MEDIEN360G: Ist das generische Maskulinum jetzt quasi am Ende? Im Duden hat sich die Benutzung des Maskulinums ja auch verändert mittlerweile. Also da wird ja auch direkt angezeigt, wenn ich "Lehrer" eingebe, dann wird mir auch "männlicher Lehrer", also "männliche Lehrkraft" sozusagen, angezeigt.

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Genau, der Duden hat sich dazu entschieden, zu sagen: Na ja, wir haben hier so ein Paar, Lehrer und Lehrerin. Und wenn die Lehrerin aber so spezifisch weiblich ist, dann ist der Lehrer eine spezifisch männliche Form. Jetzt behauptet natürlich der Duden nicht, dass es überhaupt kein generisches Maskulinum mehr gibt, sondern es geht eher darum, zu sagen was denn die Kernbedeutung ist, was ist die Hauptbedeutung? Das heißt, man kann das so interpretieren, zu sagen: Na ja, ein Lehrer ist eben in der Kernbedeutung eine männliche Person, kann aber in bestimmten Kontexten auch generisch verwendet werden. Und da zeigt sich vielleicht jetzt auch wieder diese Varianz der geschlechtergerechten Sprache. Ja, also das generische Maskulinum vollkommen abzuschaffen, dass es nicht mehr verwendet wird, da habe ich selber meine Zweifel daran. Und das ist vielleicht auch nicht nötig, sondern es ist ja wichtig, in welchem Kontext es wichtig ist, genau auf die Personen und auf das Geschlecht der Personen zu verweisen. Was aber eben ganz klar ist, das muss auch so gesagt werden: Durch die Verwendung des generischen Maskulinums werden alle Geschlechter außer den männlichen Geschlechtern sprachlich nicht sichtbar gemacht.

MEDIEN360G: Das hatten Sie vorhin schon angesprochen: Das generische Maskulinum ist ja nicht jahrhundertelanger Bestandteil unserer Sprache. Woher kommt das denn?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Es ist tatsächlich ganz interessant, weil man natürlich erst mal das Gefühl hat, das war doch schon immer so. Aber tatsächlich war es noch nicht immer so. Und wenn man in die Grammatiken schaut, dann sieht man eigentlich eher, dass so in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in den Grammatiken das generische Maskulinum auftaucht. Und früher war viel mehr also in diesen Fällen spezifisch von einem männlichen Geschlecht auch die Rede. Tatsächlich ist es nicht so, als hätte es jetzt in der Geschichte des Deutschen immer ein generisches Maskulinum gegeben. Man sieht also durchaus auch in älteren Dokumenten die spezifische weibliche Form.

Was natürlich passiert ist, dass viele Berufe ja jahrhundertelang nicht zugänglich waren für Frauen. Das heißt, es war tatsächlich spezifisch männlich. Wenn dann von "Lehrern" die Rede war, weil eben nur Lehrer oder Richter, Männer, diese Berufe ausüben konnten. Man sieht es aber sehr deutlich, weil es dann eben doch auch in älteren Dokumenten immer wieder einzelne Beispiele gibt, für die Käuferin oder für die Gästin, die Kundin, wo dann ganz klar ist: Aha, das ist weiblich. Das zeigt einem ganz doll: Es gab natürlich spezifisch weibliche Bezeichnungen, und die anderen Bezeichnungen waren eben nicht generisch, sondern sie waren spezifisch männlich, weil eben nur Männer diese Funktionen erfüllt haben. Ja, und auch da sieht man natürlich wieder, wie ein Wandel in der Gesellschaft interagiert mit Sprache. Denn was machen wir, wenn jetzt viel mehr Frauen in männliche Domänen eindringen?

MEDIEN360G: Also geht es auch um Macht?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Ja, natürlich ist Sprache Macht. Und sprachliches Gesehen-werden sprachliches Sichtbar-machen ist natürlich sprachliche Teilhabe.

MEDIEN360G: Ganz viele sagen auch "Gendern", obwohl ja "Gendern" das auch gar nicht meint, dass man gendersensible oder geschlechtergerechte Sprache benutzt. Aber wo eignet es sich denn am besten? Oder wo müsste man es überhaupt anwenden, damit es in der Sprache Sinn macht?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Also, vielleicht ganz, ganz grundsätzlich nochmal zu diesem Verhältnis von Sexus und Genus. Ja, das sind die Geschlechter, von der wir in einer Sprachwissenschaft sprechen, also das biologische Geschlecht. Gender ist dann das soziale Geschlecht und Genus als grammatisches Geschlecht. Es ist natürlich ganz klar, dass da grundsätzlich erst mal kein Zusammenhang besteht. Klassisches Beispiel: die Gabel, der Löffel, das Messer. Drei verschiedene Genera. Grammatisches Geschlecht sagt nichts über die Bedeutung aus. Das ist völlig außen vor. Das heißt, dieses Interagieren von Genus und Sexus und Gender als sozialem Geschlecht, über das wir streiten, das bezieht sich natürlich immer auf die Personen-Bezeichnungen. Und da sehen wir natürlich schon ganz klar, dass das "innen" eben - wir reden hier von einer Movierung - eine Endung, also ein Suffix ist, was immer ganz deutlich anzeigt: weibliches Geschlecht. Beispielsweise eine Hündin. Ja, es bezieht sich eben auch auf Tier-Bezeichnungen. Eine Hündin kann nicht männlich sein. Ja, das ist ganz klar. Aber das betrifft also nur diese Personen- und Tier-Bezeichnungen, die beliebten Bezeichnungen. Und wir sehen aber natürlich auch da, dass das nicht immer zusammenkommt. Denn es gibt natürlich auch bei den Personenbezeichnungen neutrale Ausdrücke wie Mensch oder Kind oder Person als Personenbezeichnungen. Und hier haben wir drei verschiedene Genera: der Mensch, die Person, das Kind. Und trotzdem haben wir es hier wieder nur mit einem grammatischen Geschlecht zu tun, denn die verweisen ja gerade nicht auf ein bestimmtes soziales oder biologisches Geschlecht.

MEDIEN360G: Das heißt aber, wenn es sich jetzt so weiterentwickelt, gibt es vielleicht irgendwann das generische Femininum? Kann das sein?

Prof. Dr. Barbara Schlücker: Das generische Femininum? Ja, das wird natürlich manchmal jetzt schon ein bisschen als Schreckensbild gesehen, weil gesagt wird, na ja, wenn ich schnell spreche. Und ich spreche eigentlich mit einem Glottis-Verschlusslaut mit den "Lehrer innen" und ich rede schnell, dann geht der verloren, und dann sind es die "Lehrerinnen". Und irgendwann wird dann aus dieser Sprechweise ein generisches Femininum. Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt. Hätte aber natürlich dann im Umkehrschluss wieder genau dieselben Probleme wie ein generisches Maskulinum.

MEDIEN360G: Ich danke Ihnen sehr, dass Sie da waren. Vielen Dank für das Gespräch, Barbara Schlücker, Professorin für Germanistische Linguistik an der Uni Leipzig, vielen Dank.

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