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Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Defizite bei knapp der Hälfte der BevölkerungNachrichtenkompetenz ist Impfen gegen Fake-News

09. März 2022, 15:55 Uhr

Im Krieg machen die merkwürdigsten Geschichten die Runde. Im Ukraine-Krieg, so berichtete vor einigen Tagen Liubov Tsybulska, eine Beraterin der ukrainischen Regierung auf Twitter, soll sich eine Frau mit einem Gurkenglas gegen eine russische Drohne zur Wehr gesetzt haben.

von Steffen Grimberg

Die Ukrainerin habe das Fluggerät vom Balkon ihrer Wohnung in Kiew attackiert, zu Fall gebracht und die Überreste auf mehrere Mülltonnen verteilt. Der Hashtag #gurkenglas wurde auch in Deutschland zum Renner. Doch stimmt die Story, die ein bisschen vom Leid und Sterben in der Ukraine ablenkt? Ganz sicher ist das auch in diesem Fall nicht, auch wenn andere Quellen im Netz das Ganze ähnlich schildern.

Andere Meldungen sind allerdings wesentlich problematischer. So behaupteten russische Staatsmedien, ukrainische Streitkräfte hätten schon am 17. Februar vor Kriegsbeginn einen Kindergarten in der pro-russischen ostukrainischen Stadt Luhansk bombardiert. Tatsächlich kam der Beschuss laut der österreichischen Zeitung Die Presse aber von Seiten pro-russischer Separatisten.

Viele Medien wie die ARD recherchieren solche Behauptungen, entlarven viele Falschinformationen und geben Tipps, wie Mediennutzende auch mit einfachen Mitteln diese Desinformationsversuche überprüfen können.

Denn der Krieg in der Ukraine tobt auch und gerade in den Medien. Hier ist Nachrichtenkompetenz bei uns allen gefragt. Expertinnen und Experten warnen aber, dass bei vielen Menschen genau diese Kompetenz nicht besonders ausgeprägt ist. "Dazu kommt, dass es auch für seriöse Medien im Krieg schwierig ist, den Überblick zu behalten", sagt Alexander Sängerlaub, Direktor des gemeinnützigen Think Tanks futur eins am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin. "Für die ganz normalen Nutzerinnen und Nutzer sind die ganzen Info-Häppchen, die da sekündlich auf uns einprasseln, noch schwerer zu sortieren."

Nachrichtenkompetenz wichtiger denn je

Sängerlaub ist Mitautor der Studie "Quelle Internet? – Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test", die im Frühjahr 2021 veröffentlicht wurde und vor allem den Umgang mit Fakes und Fakten in der Corona-Pandemie untersuchte. Das ernüchternde Fazit: In fast allen abgefragten Bereichen muss die Nachrichtenkompetenz gestärkt werden.

Dabei ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass sie hier ein Defizit haben. Die Stiftung Neue Verantwortung hat 2021 einen Selbsttest entwickelt, bei dem Nutzerinnen und Nutzer ihre eigenen Fähigkeiten überprüfen können.

Eine Demokratie kann nur so gut sein, wie die Menschen informiert sind.

Alexander Sängerlaub | Direktor futur eins

Bei knapp der Hälfte der Bevölkerung, so Sängerlaub, ist in Deutschland die Nachrichtenkompetenz eher gering ausgeprägt. "Das ist nicht so problematisch, wenn man sich über zuverlässige Medien wie die etablierten Zeitungen oder Sender informiert", so Sängerlaub im Gespräch mit MDR MEDIEN360G: "Holen sich die Menschen ihre Informationen aber vor allem über die sozialen Medien, sieht das ganz anders aus." Gerade in einem Informationskrieg sei das gefährlich, denn "einzelne Nachrichten können die Lage verschärfen. Schon immer gab es in der Geschichte Falschmeldungen, die den Weitergang eines Krieges beeinflusst haben." Sängerlaub ist aktuell der Meinung, dass die russischen Desinformations-Versuche mit Blick auf Deutschland zwar bislang "nichts gebracht" hätten. Trotzdem bestehe dringend Handlungsbedarf. "Eine Demokratie kann nur so gut sein, wie die Menschen informiert sind. Diese Nachrichtenkompetenz muss unbedingt verbessert werden", sagt Sängerlaub.

Auch Jochen Fasco, Chef der Thüringer Landesmedienanstalt, fordert hier mehr Engagement: "Desinformation ist für die Demokratie so etwas wie ein digitales Coronavirus",  Nachrichten- und Medienkompetenz seien dagegen "Impfen gegen Fake-News", so Fasco.

Deutschland habe hier aber bislang in einem "Dornröschenschlaf" gelegen, sagt Sängerlaub: "Das fällt uns nun auf die Füße - in der Pandemie und jetzt wieder beim Ukraine-Krieg." Dazu gehört für ihn auch, dass die Medien selbst viel transparenter über ihre Arbeit berichten und "erzählen müssen, wie bei ihnen Informationen und Berichte zustande kommen. Und das am besten nicht nur im Netz, sondern gleich im Hauptprogramm, wo die ganzen Nachrichten laufen."

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