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Social-Media-Redakteur Daniel George von MDR Sachsen-Anhalt schätzt ein, wie die gleichen Stilmittel bei Populisten und in sozialen Netzwerken funktionieren. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Populismus und Social MediaWarum wir Kommentarspalten der Grautöne brauchen

01. August 2022, 11:52 Uhr

Wer im Feed dafür sorgen will, dass der Daumen stoppt, muss auffallen. Dabei funktionieren auf Social Media dieselben Stilmittel, derer sich auch Populisten bedienen. Wie bedingt sich beides gegenseitig? Und welche Verantwortung haben Social-Media-Redakteure und Social-Media-Redakteurinnen? Eine Einschätzung.

von Daniel George

Muss ich manchmal Populist sein? Eigentlich nein. Aber irgendwie schon. Zumindest zwingen mich die sozialen Netzwerke, gewisse Stilmittel zu nutzen, derer sich auch Populisten bedienen: komplexe Sachverhalte vereinfachen, mit Themen auch Emotionen wecken.

Müsste ich nicht machen. Könnte ich auch lassen. Stattdessen alles immer ganz trocken formulieren, zu kompliziert. Nur: Dann würden unsere Inhalte wohl weitaus weniger Menschen anschauen und anhören und lesen – und ich hätte meinen Job als Social-Media-Redakteur auch nicht richtig gemacht.

Es ist ein kleines Dilemma, in dem meine Kolleginnen und Kollegen deutschlandweit heutzutage stecken. Im Zentrum stehen die Fragen: Wo fängt Populismus an? Wo hört Teasing oder das Bemühen um eine SEO-optimierte Schlagzeile auf? Und wie wandele ich als Social-Media-Redakteur denn nun ordnungsgemäß auf dieser Grenze? Ein Erklärungsversuch.

Den Daumen stoppen – nur nicht um jeden Preis

Es ist Alltag für Social-Media-Redakteure und Social-Media-Redakteurinnen: Inhalte entsprechend aufbereiten, damit sie auf den Plattformen "funktionieren", wie es so schön heißt. Möglichst viele Menschen erreichen also. Und hinter diesem "Funktionieren" stecken die beschriebenen Stilmittel: lange Überschriften werden gekürzt, um einprägsamer zu sein, Teilaspekte mitunter herausgestellt, die besonders emotional sind. Wer im Feed dafür sorgen will, dass der Daumen stoppt, muss schließlich auffallen. Sonst wird gnadenlos weiter gescrollt.

Nur, was uns Social-Media-Redakteure und Social-Media-Redakteurinnen, zumindest die meisten, unter anderem von den wahren Populisten da draußen unterscheidet: Wir folgen keiner politischen Agenda, sondern journalistischen Standards. Klar: Auch wir wollen den scrollenden Daumen stoppen – nur eben nicht wie die Populisten um jeden Preis.

Über den AutorDaniel George arbeitet seit fünf Jahren als Social-Media-Redakteur beim MDR SACHSEN-ANHALT in Magdeburg. Dabei setzt der 30-Jährige in Absprache mit der Redaktion die Themen auf den sozialen Netzwerken, bereitet Inhalte auf und moderiert die Diskussionen.

Deshalb gibt es eben diese Grenzen, deren Wahrung so wichtig ist: keine sinnentstellenden Kürzungen, keine Dramatisierung, keine Effekthascherei – um nur einige zu nennen. Und: Ausgewogenheit, bei aller Mühe um die beste Schlagzeile für die sozialen Netzwerke oder unter SEO-Gesichtspunkten. Und bei der Themenauswahl dürfen wir uns nicht von Populismus einfangen lassen, müssen bloße Kampagne auch als solche identifizieren.

Dabei muss uns klar sein, welche Verantwortung wir beim Blick auf das große Ganze doch auch haben. Ich will es mal nicht populistisch, aber doch etwas zugespitzt formulieren: Das Schicksal der Demokratie liegt zusehends in den Händen von Social-Media-Plattformen – und damit auch in den Händen derjenigen Journalisten und Journalistinnen, die dort Themen setzen, Inhalte aufbereiten und Diskussionen moderieren.

Kommentarspalten der Grautöne schaffen

"Die sozialen Medien sind für Populistinnen ganz wichtig, weil sie dadurch schaffen, in einer ganz reduzierten Form und einer extrem affektiven Form ihre Botschaften zu verbreiten", sagt Paula Diehl, Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Universität Kiel, im Gespräch mit MDR Medien360G. "Das liegt in der Natur des Mediums selbst und da sind diese Aufmerksamkeitsregeln noch viel radikalisierter als in den konventionellen Massenmedien."

Und weiter erklärt Diehl: "Es gibt verschiedene Mechanismen, die sich mit den sozialen Medien verbreiten. Einer davon – der, ich glaube, für den Populismus besonders relevant ist – ist dieses Phänomen der Schwarz-Weiß-Malerei, weil man sich dann innerhalb einer Gruppe befindet, die gepolt wird, die gleiche Meinung zu haben und alles andere zu verteufeln, was nicht damit zu tun hat oder etwas dagegen hat. Insofern ist das natürlich eine der Dynamiken, die den Populismus sehr viel hilft."

Sprich: Die Aufgabe von Medienhäusern im Großen und Social-Media-Redakteurinnen und Social-Media-Redakteuren im Speziellen besteht also auch darin, Räume zu schaffen, in denen es mehr als nur Schwarz und Weiß gibt. Kommentarspalten der Grautöne, wenn man so will. Oder zumindest solche, in denen Schwarz und Weiß auf einem vernünftigen Niveau aufeinandertreffen können.

Was nicht immer einfach ist. Ich habe darüber bereits an anderer Stelle geschrieben: Manchmal, verstärkt seit Beginn der Corona-Pandemie, bist du als Social-Media-Redakteur nur noch müde. Müde ob des Hasses, der fehlenden Empathie in den so wenig "sozialen" Netzwerken.

Denn die Erstellung von Inhalten ist die eine Aufgabe, das Moderieren der Reaktionen darauf die andere. Der Ton wird rauer, gemeinsame Diskussionen schwieriger. Manchmal bleibt nur noch Ratlosigkeit ob so einiger Kommentare. Und das ist ohne Frage auch ein Ergebnis davon, dass sich Populisten, zuvorderst Rechtspopulisten die sozialen Netzwerke zusehends zu Nutze machen – oder das zumindest versuchen.

Populismus als bloße Show entlarven

Doch da liegt – und das sollte allen Social-Media-Redakteurinnen und Social-Media-Redakteuren reichlich Kraft geben – die größte Herausforderung und Chance zugleich: Zwar dienen die sozialen Medien mit ihrer Erscheinungsform durchaus als Katalysator für Populismus. Doch liegt in ihnen auch die Chance, ihn zu entlarven – ihn mit den eigenen Stilmitteln zu schlagen.

Ja, gerade junge Menschen sind wohl besonders anfällig für Populismus auf sozialen Netzwerken. Schließlich tummeln sich die meisten von ihnen fast nur noch ausschließlich dort. Also auf Instagram und TikTok zum Beispiel, wo sich der Unterschied zwischen Information und Meinung langsam auflöst, wo oft kaum Zeit bleibt, den Unterschied zu erkennen.

Aber das ist doch gerade unsere Aufgabe, das ist doch gerade die Kunst: Sich der Stilmittel der sozialen Netzwerke zu bedienen, auch um Populismus als bloße Show ohne Inhalt zu entlarven, um die Nutzerinnen und Nutzer davor zu schützen. Bestes Beispiel: Das, was die Tagesschau auf TikTok so macht – und damit 1,3 Millionen mehrheitlich junge Menschen erreicht.