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Atomkraft-AusLetzte deutsche Akw endgültig abgeschaltet

16. April 2023, 09:47 Uhr

Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland - "Isar 2" in Bayern, "Neckarwestheim 2" in Baden-Württemberg und "Emsland" in Niedersachsen - sind vom Netz genommen worden. Damit endet nach fast 63 Jahren hierzulande das Atomzeitalter. Deutschland begibt sich damit auf einen Sonderweg in Europa. Die Entsorgung des Atommülls ist mit der Abschaltung der letzten AKW jedoch weiter ungeklärt.

In Deutschland wird künftig kein Atomstrom mehr produziert. Die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke "Isar 2" in Bayern, "Neckarwestheim 2" in Baden-Württemberg und "Emsland" in Niedersachsen sind nach Angaben der Betreiber am Samstag kurz vor Mitternacht vom Netz genommen worden.

Sechs Jahrzehnte Atomkraft-Nutzung beendet

Mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke gehen mehr als sechs Jahrzehnte der Kernkraftnutzung zur Stromerzeugung in Deutschland zu Ende. Der erste Meiler hatte 1960 in der Bundesrepublik den Betrieb aufgenommen, in der DDR begann die Nutzung der Technologie zur Stromerzeugung 1966.

Zumindest in Westdeutschland war die Nutzung von Atomstrom von Anfang an umstritten. Entschieden dagegen waren von Beginn an die Grünen, die ihre Wurzeln in der Anti-Atombewegung haben. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 war auch die SPD für den Ausstieg. Und nach Fukushima im Jahr 2011 schließlich auch die Union.

Deutschlands Sonderweg in Europa

Mit der Abschaltung begeht die Bundesrepublik nun einen Sonderweg. Andere Staaten in Europa setzen dagegen weiter auf Atomkraft oder bauen diese sogar noch aus, wie zum Beispiel Polen. Mit einem Anteil von mehr als 70 Prozent am Energiemix gilt Frankreich als die Atomnation Nummer eins in der EU. In Belgien und in der Slowakei macht Atomstrom jeweils mehr als die Hälfte am Strom-Mix aus.

Die Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke zeigt sich erleichtert über den Schritt. "Der Atomausstieg macht Deutschland sicherer", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfalles letztlich unbeherrschbar."

Bei MDR AKTUELL appellierte Lemke außerdem, alle Kraft zu nutzen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Rückwärtsgewandte Debatten sollten nicht mehr geführt werden.

Alle drei AKW-Anlagen sollen in einem späteren Stilllegungsprozess zerstört werden. Damit wäre eine Wiederinbetriebnahme im Bedarfsfall ausgeschlossen. In Umfragen der vergangenen Tage hatte sich eine Mehrheit der Deutschen gegen den Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen.

FDP: Kernenergie muss weiter Zukunft in Deutschland haben

Auch die FDP bezeichnet den Ausstieg als "strategischen Fehler". Die Kernenergie müsse auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Dazu gehöre, dass die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausgeweitet werden soll und so die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung genutzt würden.

FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Fernsehsender Welt-TV, er wünsche sich, die drei Kernkraftwerke in der Reserve zu belassen anstatt sie zurückzubauen. Deutschland sollte sich darüber hinaus "die Möglichkeit der Kernfusion offenhalten, hier forschen und auch Anwendungen ermöglichen".

Söder fordert eigene Länderzuständigkeit für Weiterbetrieb von "Isar 2"

Markus Söder (CSU). Bildrechte: imago images/Sven Simon

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bekräftigte in den ARD-"Tagesthemen" seine Forderung, eine Rückkehr zur Nutzung der Kernenergie zu prüfen. "Isar 2" soll weiterbetrieben werden, sagte er der "Bild am Sonntag". Man fordere deshalb vom Bund eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft. Solange der Umstieg auf Erneuerbare Energien nicht vollständig vollzogen sei, müsse man bis 2030 jede andere Art von Stromerzeugung nutzen. Bayern wolle zudem als Vorreiter in die Forschung zur Kernfusion und den Bau eines eigenen Forschungsreaktors einsteigen, bekräftigte Söder.

Ukraine-Krieg verzögerte Abschaltung

Eigentlich hätten die AKW schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Das hatte die damalige Koalition aus Union und FDP als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 beschlossen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine entschied die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.

Die Betreiber haben sich lange im Voraus auf den Stichtag vorbereitet. Die Leistung der Reaktoren wurde kontinuierlich gesenkt. In den kommenden Tagen werden die Brennelemente aus dem Reaktorkern in mit Wasser gefüllte Becken und nach einer Abklingzeit in ein Zwischenlager gebracht.

Bisher keine Lösung für Atommüll-Lagerung

Die Hinterlassenschaften der AKW, weit über tausend Behälter mit Atommüll, dürften das Land noch viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende beschäftigen. Angestrebt wird eine sichere Einlagerung tief im Gestein für eine Million Jahre.

Bisher gibt es in Deutschland aber kein Endlager für Atommüll. Die Suche nach einem geeigneten Standort sollte nach der ursprünglichen Planung bis 2031 abgeschlossen sein. Die Entscheidung trifft auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse letztlich der Bundestag. Ein Endlager sollte dann bis 2050 zur Verfügung stehen.

Auch die Kosten für die Entsorgung von Atommüll sind gigantisch. Eine Kommission hat die geschätzten Gesamtkosten unter anderem für Stilllegung und Rückbau der Meiler sowie die Transporte und die Lagerung der Abfälle auf 48,8 Milliarden Euro berechnet. Daraufhin wurde ein Fonds eingerichtet, in den die Betreiber der Atomkraftwerke einzahlen mussten. Aus diesen Betrag soll die Zwischen- und Endlagerung bezahlt werden. Nach Angaben des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurden rund 24 Milliarden Euro einbezahlt, inklusive eines Risikosaufschlags. Sollte dies jedoch nicht reichen, müssen die Energieversorger nicht zusätzlich Geld nachschießen. Stattdessen muss dann voraussichtlich der Staat dafür aufkommen.

Die Betreiber sind auch für die Kosten von Stilllegung und Rückbau der Meiler verantwortlich. Dem Energiekonzern RWE zufolge schwanken die Kosten für den Nachbetrieb und Rückbau eines Kernkraftwerks je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlagen zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro.

dpa, MDR (dkn, amu, dni)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 15. April 2023 | 06:00 Uhr