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InitiativeÄrzte kämpfen gegen Antisemitismus in eigenen Reihen

07. Dezember 2023, 11:26 Uhr

Die Initiative "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus" fordert, dass sich medizinische Institutionen klar gegen Judenfeindlichkeit positionieren. Der Neurologe Roni Eichel aus Jerusalem sagte MDR AKTUELL, die Initiative wolle die deutsche Ärzteschaft mobilisieren. Besonders medizinische Institutionen wie die Bundesärztekammer sollten sich klar gegen Antisemitismus positionieren. Elisabeth Winkler hat mit Roni Eichel und der Berliner Ärztin Juliane Marschke gesprochen.

Warum sich die Initiative "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus" gegründet hat

MDR AKTUELL: Sie gehören beide zu der Initiative "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus". Wie ist es zur Gründung dieses Zusammenschlusses gekommen?

Eichel: Das hat im Prinzip mit mir angefangen. Nach dem 07. Oktober hatten wir in Israel mit Unterstützung und Verständnis von unseren deutschen Kollegen gerechnet. Wir hatten erwartet, dass man sich klar gegen den aufflammenden Antisemitismus positionieren würde. Aber anfangs tat sich nicht viel. Im Gegenteil, plötzlich gab es in Fachzeitschriften Artikel mit teils antisemitischen Tendenzen.

Daraufhin haben wir versucht, bestimmte Institutionen dazu zu bewegen, die Hamas zu verurteilen, die Befreiung der Geiseln zu fordern und sich gegen den Antisemitismus zu stellen. Das gestaltete sich aber schwieriger als erwartet und uns wurde klar, dass wir als Einzelpersonen nicht viel bewegen würden. Also habe ich mich mit dem Bundesverband jüdischer Mediziner in Deutschland in Verbindung gesetzt.

Dort gab es reges Interesse, sich an einer Initiative zu beteiligen. Inzwischen hat sich das so entwickelt, dass zu "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus" vor allem nicht-jüdische deutsche Ärzte und Ärztinnen gehören.

Roni EichelRoni Eichel ist Chefarzt der neurologischen Abteilung des Shaare Zedek Krankenhauses in Jerusalem. Er ist in Rumänien geboren, als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen und in der Nähe von Köln aufgewachsen. Nach seinem Medizinstudium in Freiburg ist er 1997 nach Israel ausgewandert.

Und wie sind Sie dazugekommen, Frau Marschke?

Marschke: Vor dem 7. Oktober habe ich mich, wenn ich mit Freunden und Familie über Israel gesprochen habe, immer an unverfängliche Themen gehalten. Einfach, weil ich es mühsam fand mit Positionen umzugehen, die sehr schnell sehr israelkritisch wurden.

Aber nach dem 7. Oktober habe ich das nicht mehr ausgehalten. Dieser Anschlag hat mich unwahrscheinlich hart getroffen. Und ich habe nicht verstanden, warum es Leuten so schwerfällt, sich klar zu positionieren.

Juliane MarschkeJuliane Marschke ist Psychotherapeutin und Oberärztin der Gynäkologie in einem Berliner Krankenhaus. Sie ist keine Jüdin, hat sich aber schon als Kind und Jugendliche für Israel und Judentum interessiert. Ihre engsten Freunde sind Israelis, kennengelernt beim Studium und zahlreichen Besuchen in Israel.

Welche Ziele die "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus" haben

Was hat sich Ihre Initiative zum Ziel gesetzt?

Eichel: Wir wollen, dass sich medizinische Institutionen klar gegen Antisemitismus positionieren. Und wir setzen uns für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ich bin sicher, dass die Menschen in Europa einiges an Kritik haben, was den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis angeht. Und da gibt es eine Menge, was zu bereden ist, zu diskutieren. Das ist richtig und kann auch sehr kritisch behandelt werden.

Aber unsere Initiative hat damit nichts zu tun. Uns geht es um das, was am 07. Oktober passiert ist, um die unmenschlichen Taten und das Leid, das uns zugefügt wurde. Wir wollen, dass das anerkannt wird von unseren Freunden. Und auf der anderen Seite brauchen wir Hilfe bei der Befreiung der Geiseln: Ganz einfache Menschen, die an diesem Samstagmorgen aus ihren Betten gerissen und brutal entführt wurden und deren Verwandte ermordet wurden, auf die bestialischste Weise, die man sich vorstellen kann.

Der 7. Oktober 2023 in IsraelAm Samstag, dem 7. Oktober 2023 wurde Israel von der islamistischen Terror-Organisation Hamas überfallen. Zeitgleich zu den massiven Luftangriffen drangen Hunderte Terroristen aus dem Gazastreifen in das Grenzgebiet nach Israel ein. Sie überfielen mit großer Brutalität Dörfer und Kibbuzim in Grenznähe. Allein im Kibbuz Be’eri wurden mehr als 100 Einwohner ermordet. Auf einem Musikfestival in der Nähe, das rund 3.500 Israelis besuchten, töteten die Terroristen mehr als 250 Personen. An keinem anderen Tag seit dem Holocaust wurden mehr Juden ermordet als am 7. Oktober. Etwa 240 Menschen sollen von der Terrororganisation Hamas nach Gaza verschleppt worden sein.Bundeszentrale für politische Bildung / tagesschau.de

Wie sich Antisemitismus in Deutschland auf jüdische Ärzte auswirkt

Es ist bereits angeklungen, Ihre Initiative setzt sich vor allem auch gegen antisemitische Tendenzen in der Ärzteschaft ein. Wie manifestieren sich denn solche Tendenzen?

Marschke: Da ist zum Beispiel das Klima an den Universitäten: Eine Medizinstudentin, die Teil unserer Initiative ist, hat zum Beispiel erzählt, dass es an ihrer Universität sehr viel pro-palästinensische Solidarität gibt, aber überhaupt keine Angebote oder Aktionen in die andere Richtung. Und auf den Toiletten gebe es Schmierereien, die sie sehr verletzt hätten. Zum Beispiel, dass Israel Genozid begeht.

Eichel: Es gibt auch Vorfälle in der Ärzteschaft, zum Beispiel eine Beschwerde gegen einen Arzt, der antisemitische Karikaturen veröffentlicht hat.

Marschke: Und zur Gründung unserer Initiative haben wir ein Schreiben an die Bundesärztekammer geschickt, dass wir eigentlich von allen Mitgliedern unterschreiben lassen wollten. Für viele ging das aber nicht, oder zumindest nicht mit vollem Namen  - aus Angst. Das war erschreckend.

Was bedeutet es jetzt gerade in Deutschland Mediziner/in und Jude oder Jüdin zu sein?

Marschke: Viele sind müde von den Diskussionen.

Eichel: Und es gibt viel Angst. In Berlin haben am Freitag nach dem siebten Oktober sehr viele Ärzte ihre Praxen geschlossen oder Polizeischutz bekommen. Und Ärzte, die viele Patienten mit Migrationshintergrund haben, haben plötzlich Angst offen damit umzugehen, dass sie Juden sind, obwohl das vorher gar kein Thema für sie war. Aber jetzt ist da die Sorge, zur Zielscheibe zu werden.

Herr Eichel, Sie hatten eingangs gesagt, dass Sie von deutschen Kollegen mehr Unterstützung erwartet hätten. Warum ist Solidarität aus Deutschland so wichtig?

Man möchte zum einen als Mensch einfach gern von anderen verstanden und unterstützt werden. Wenn das nicht passiert, fühlt man sich alleingelassen. Zum anderen gibt es für uns als Ärzte auch einen ganz praktischen Grund: Israel ist ein hochentwickeltes Land, was Medizin angeht.

Wir arbeiten mit zahlreichen europäischen Institutionen zusammen, zum Beispiel in der Forschung. Und wir wollen natürlich nicht das Gefühl haben, wir seien unerwünscht, wenn wir zum Beispiel zu Konferenzen in Europa kommen.

Wie sich die "Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus" engagieren

Kommen wir auf noch mal Ihre Initiative zurück: Wie genau setzen Sie sich gegen Antisemitismus in der Ärzteschaft ein?

Marschke: Wir haben damit angefangen, Pressemitteilungen an relevante ärztliche Institutionen, zum Beispiel die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung, zu schicken, um diese zu einer klaren Positionierung zu bewegen.

Das hat etwas gedauert, aber nach einigen Wochen kam dann eine Stellungnahme von KBV und Bundesärztekammer, die wir sehr begrüßt haben. Kurz darauf folgten Statements von einigen Landesärztekammern. Unser Wunsch ist, dass alle medizinischen Institutionen, das, was am 7. Oktober passiert ist, klar verurteilen.

Und wir wollen jüdischen Ärzten ein Gesicht geben, zeigen wie sie arbeiten. Dafür machen wir regelmäßig Webinare. Wir hatten eins, bei dem der Leiter der forensischen Medizin in Israel berichtet hat, wie die Leichen identifiziert werden. Und eins von einem Notfallmediziner, der berichtet hat, wie der 7. Oktober und die 24 Stunden danach aus medizinischer Sicht abgelaufen sind.

Der hat zum Beispiel auch berichtet, dass in seinem Krankenhaus auch zwei der Hamas-Attentäter behandelt wurden. Es scheint banal, aber es zeigt eben auch unsere gemeinsamen Werte.

Eichel: Und wir haben eine Online-Petition, mit der wir im Prinzip die deutsche Ärzteschaft gegen den Antisemitismus mobilisieren wollen.

Was wünschen Sie sich von Politik und Gesellschaft?

Eichel: Ich glaube, die Politik in Deutschland hat wirklich außergewöhnlich viel gemacht. Aussagen wie die von Bundeskanzler Scholz habe ich vorher noch nie von einem Staatsoberhaupt gehört. Die Parteien, sind sich, so wie ich das hier lese und mitbekomme, einig und das ist sehr positiv.

Wir wünschen uns, dass das auch in den gesellschaftlichen Institutionen so aussehen würde. Mir scheint, als gebe es dann Angst, sich klar zu positionieren. Wenn das aber passieren würde, dann hätte das sicher auch Einfluss auf die Bevölkerung, weil die meisten Menschen ja in irgendwelchen Organisationen organisiert sind, Gewerkschaften, Vereine und so weiter.

Und dann würden sich diejenigen, die ihren Antisemitismus auf der Straße ausgelebt haben, vielleicht überlegen, ob sie das nochmal so machen.

Marschke: Ich würde mir auch wünschen, dass alle medizinischen und andere gesellschaftliche Institutionen einen Weg finden, sich solidarisch zu zeigen. Denn ich glaube, man hat weniger Angst, sich klar zu positionieren, wenn man weiß, dass die Institution, der man angehört, die gleiche Haltung hat. Und das ist nicht gleichbedeutend damit sich gegen das palästinensische Volk zu stellen.

Wir wollen nicht, dass man sich für das eine und damit gegen das andere entscheidet. Die Position, die wir vertreten, ist eine menschliche Position mit einer klaren Verurteilung der Hamas.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 07. Dezember 2023 | 08:30 Uhr