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KommentarSommer 2022: Corona-Management passt hinten und vorne nicht

23. Juli 2022, 05:00 Uhr

Corona - war da was? Politik und Gesellschaft lassen die Pandemie im Sommer einfach laufen. Unser Autor hält die Entwicklung für problematisch und befürchtet, dass drängende Fragen unbeantwortet bleiben. Ein Kommentar.

von Michael Frömmert, MDR THÜRINGEN

Man kennt sie: die Berichte, über all das, was in der Corona-Pandemie bisher schiefgelaufen ist. Doch als ich kürzlich selbst Covid bekam, wurde mir eindrücklich vor Augen geführt, dass im Sommer 2022 jede Menge hinten und vorne nicht zusammenpasst. Ich habe erlebt, wie sich Mitarbeiter in einem Testzentrum mit Proben verzettelten und später ein negatives Ergebnis bescheinigten - trotz Symptomen und über Tage weiter positiver Selbsttests. Ich habe Arztpraxen gesehen, die überfüllt waren, nicht zuletzt, weil Medizinerinnen selbst infiziert ausfielen. Ich wurde überrascht, wie schnell die Frage nach einem PCR-Test beim Arzt abgetan wurde; in meinem Bekanntenkreis gibt es ganz ähnliche Fälle - sie alle flossen nicht in die offizielle Statistik ein. Im Blindflug durch die Pandemie.

Sommerwelle-Ausfälle: Corona in der Urlaubszeit

Dass die Zahlen der Infektionen und Intensivpatienten seit einiger Zeit wieder steigen, lässt sich an den verbliebenen Daten zwar klar ablesen. Das ganze Ausmaß aber bleibt offen. Dabei gehen Fachleute von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Wer hört in diesen Tagen nicht immer wieder von neuen Ansteckungen unter Kollegen, Freundinnen und in der Familie?

Die Sommerwelle hat zur Folge, dass zusätzlich zur Urlaubszeit weitere Arbeitskräfte ausfallen. Angesichts des ohnehin schwerwiegenden Fachkräftemangels muss das schon jetzt eine Belastung für die Wirtschaft sein: Wer krank ist, kann nicht pflegen, bauen, liefern, verkaufen. Aber scheinbar wird das lapidar hingenommen. Auch aus unternehmensfreundlichen Politikkreisen habe ich dazu bisher kaum lösungsorientierte Wortmeldungen vernommen.

Dass Corona in den Hintergrund getreten ist, ist ein Stück weit verständlich. Eine große Krise jagt die nächste, das bindet Ressourcen. Darüber hinaus führen Impfstoffe und die Omikron-Variante dazu, dass das Leben mit dem Virus etwas leichter geworden ist. Nur: Die Republik verschläft es erneut, sich wirksam auf den Winter vorzubereiten - nach mehr als zwei Jahren Pandemie geradezu unfassbar. Und so schmerzlich Arbeitskräfte überall in der Wirtschaft fehlen - richtig problematisch ist und wird es, wenn nicht genug Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zur Verfügung steht.

Wie viele Tote nehmen wir hin?

Noch immer gibt es in Deutschland durchschnittlich etwa 100 Corona-Tote pro Tag. Werden wir im Herbst, Winter und danach wieder noch höhere Zahlen hinnehmen, indem wir auf deutlich strengere Regeln verzichten? Ebenso wie eine Zukunft, in der Long-Covid-Patienten einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung ausmachen - mit ihren teilweise persönlich harten Schicksalen und den Kosten, die auf das Gesundheitssystem zurollen? Derzeit sieht es genau danach aus. Aber als Gesellschaft haben wir uns nicht bewusst darauf verständigt, wir lassen einfach laufen.

Es ist nicht ausgemacht, dass uns Corona in den kommenden Monaten hart treffen wird. Aber beinahe sicher ist, dass das Virus neue Varianten hervorbringt. Ob damit leichtere oder schwerere Krankheitsverläufe einhergehen, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand vorhersagen.

Doch sollte uns eine heftige Winterwelle ereilen, ist jetzt schon abzusehen, dass überstürzte Entscheidungen getroffen werden. Statt in entspannter Sommerlaune schärfere Maßnahmen für den Winter kategorisch auszuschließen oder - noch schlimmer - gar nicht darüber nachzudenken, sollten sich die politischen Entscheidungsträger schon jetzt ernsthaft damit befassen und die Möglichkeiten ehrlich auf den Tisch legen. Die Maskenpflicht beispielsweise ist ein wirksames Mittel, bei vergleichsweise geringem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Das Test- und Meldesystem war nie perfekt, aber mittlerweile ist es eine Katastrophe. Wer keine brauchbaren Daten hat, kann sich nicht zuverlässig vorbereiten. Die Politik muss zu einem Pandemie-Management zurückkehren, das diesen Namen auch verdient. Ansonsten werden sich auch noch all jene frustriert abwenden, die bisher Vorsicht haben walten lassen und Verständnis für Einschränkungen aufgebracht haben.

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MDR (maf)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 21. Juli 2022 | 11:00 Uhr

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