InterviewKünstliche Intelligenz: Übersetzer-Verbände kritisieren Arbeit mit KI
In einem offenen Brief haben sich Übersetzer-Verbände an EU-Abgeordnete gewandt: Sie fordern mehr Regeln für die Arbeit mit KI. Im Gespräch mit MDR KULTUR erklärt Claudia Hamm vom "Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke", dass in automatisch erstellten Texten der Wahrheitsanspruch und eine tiefere Bedeutung fehlten. Außerdem kritisiert die in Jena geborene Übersetzerin die Urheberrechtsverletzungen, von denen KI-Tools profitieren.
- Übersetzerverbände haben Sorgen geäußert, dass KI einen schlechten Einfluss auf Übersetzungsarbeit hat.
- Übersetzerin Claudia Hamm kritisiert unter anderem, dass ihre Arbeit für die Entwicklung von KI ohne Erlaubnis und Vergütung ausgewertet wird.
- Für Hamm ist die aktuelle Entwicklung auch demokratiegefährdend.
MDR KULTUR: Was ist für Sie der Kern des Problems mit KI und der Übersetzungsarbeit?
Claudia Hamm: Wir – und zwar alle drei deutschsprachigen Übersetzerverbände, die sich für dieses Manifest zusammengeschlossen haben –, sehen das Problem, dass es kaum eine Kompetenz gibt, um Maschinen-Übersetzungen von menschlichen Übersetzungen zu unterscheiden – sowohl qualitativ als auch die Kennzeichnung. Und dann geht es um die Dynamiken in unserer Branche.
In unserem Manifest geht es darum, dass wir menschliche Sprache als etwas verteidigen, das auch einen sozialen und ästhetischen Aspekt hat. Sprache als Kommunikation, die eine Intentionalität hat: Jeder Text will etwas. Man will jemand anders ansprechen damit. Sprache spiegelt Emotionalität, die kann donnern oder wispern – je nachdem, wer dahintersteht und was er sagen will. Sprache ist für uns etwas Lebendiges, das sich immer weiterentwickelt und hinter dem ein Jemand steht, der eine Geschichte hat.
Das ist alles bei der automatisierten Sprache nicht der Fall. Maschinengenerierte Texte von ChatGPT oder DeepL beruhen allein auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Es gibt keinen Wahrheitsanspruch, keinen ästhetischen Anspruch: Es gibt niemanden, der spricht. Insofern sollte man maschinengenerierten Texten grundsätzlich misstrauen. Wir müssen eigentlich immer prüfen, inwiefern das in irgendeiner Weise mit dem Original zu tun hat. Und dann können wir die Arbeit auch gleich selber machen.
Es ist auch eine Frage, wie sich KI entwickelt. Das kann sich in wenigen Jahren ändern. Glauben Sie, dass diese Diskrepanz zwischen menschlicher Übersetzung und maschineller Übersetzung auf Dauer erhalten bleibt?
Diese Dynamik kommt daher, dass immer mehr "Daten" eingespeist werden. Schon die Bezeichnung als "Daten" finde ich problematisch: Da stecken Lebensleistungen dahinter. Die Systeme, die wir nutzen, wurden mit "Daten" gespeist, die aus dem Internet abgeschöpft wurden. Aber es sind auch nachgewiesener Weise mindestens vier Millionen urheberrechtlich geschützte Texte da drin – Texte, von denen wir leben, unsere Existenzgrundlagen. Das wurde einfach abgeschöpft. Niemand wurde informiert, niemand wurde honoriert. Es ist eine der Hauptforderungen, dass Texte nicht einfach abgeschöpft werden können von jedem, der ein Sprachmodell erstellt.
Man sollte maschinengenerierten Texten grundsätzlich misstrauen.
Claudia Hamm, Übersetzerin
Es ist auch eine soziale Frage und eine Frage an die Zukunft Ihres Berufs. Ist es das, was Sie am meisten antreibt?
Wir sind besorgt – ich persönlich und auch in der Gruppe, in den drei Verbänden, in denen wir das diskutieren, dass es eine Dynamik gibt, in der man sich mit weniger zufrieden gibt. Vielleicht ist die Maschinen-Übersetzung nicht gut, aber sie ist gut genug. Vielleicht ist die Sprachkompetenz und die Lesekompetenz nicht hoch genug, dass es einen wirklich interessiert, was da steht. Uns besorgen natürlich die Existenzbedingungen, aber auch das ganze Geschäftsmodell dahinter.
Wir leben mit einer Konzentration von Daten und Macht, die es so nie in der Menschheitsgeschichte gab. Es gibt ja Urheberrechte, aber diese Texte werden einfach genommen, und das ist eigentlich ungesetzlich. In Europa sollen auch Sprachmodelle als Konkurrenz zu beispielsweise ChatGPT von OpenAI geschaffen werden. Wir fragen uns, wie da die Daten gewonnen werden sollen. Da ist der AI-Act auf europäischer Ebene wichtig, die KI-Verordnung, die demnächst verabschiedet wird. Wir fordern Transparenz über die Daten, die eingespeist werden, und vor allem auch die Möglichkeit zu sagen: Ich möchte nicht, dass mein Werk zu Trainingszwecken genutzt wird.
Für Verlage ist Übersetzungsarbeit auch eine Kostenfrage. Hoffen Sie da auf Solidarität aus der Branche?
Die Verlagsbranche ist aus verschiedenen Gründen ähnlich positioniert wie wir. Zum einen sind wir nicht nur Dienstleister, wir sind Urheber der deutschen Texte. Wenn man einen menschlichen Übersetzer an einen literarischen Text setzt, entsteht eine Verwandlung, ein neues literarisches Werk. Die Verlage haben auch ein Interesse daran, diese Qualität zu garantieren. Eine KI kann keine Begriffsarbeit leisten, keine poetische Stimmung kreieren, steuern oder kontrollieren. Die KI hat gar nicht die Kompetenz dafür, die versteht ja nichts. Außerdem sind Verlage daran interessiert, selbst das Urheberrecht auf die Texte zu haben und zu vermarkten. Insofern ziehen wir da am selben Strang.
Wenn Sie sagen, die müssen auch auf die Kosten schauen, stimmt das. Aber die Frage ist, ob wir wirklich in einer Welt leben wollen, wo es nur um das Geld und den Preis geht. Oder zählt Qualität oder Sprachkompetenz noch etwas? Das sagen wir auch: Die Entwicklung ist auch demokratiegefährdend, weil es wichtig ist, dass jeder durch eigene Sprachpraxis imstande ist, Sprachkompetenz zu erwerben. Wenn wir nur noch Maschinen-Texte überarbeiten, dann ist das nicht der Fall.
Quelle: MDR KULTUR (Vladimir Balzer), redaktionelle Bearbeitung: tsa
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 01. März 2024 | 08:12 Uhr