Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Bildrechte: MDR/Katharine Mähler

recapÜberlastete Kliniken: Was sind uns Kinder wert?

10. Dezember 2022, 07:21 Uhr

Die Kinderkliniken müssen Patienten abweisen, die niedergelassenen Kinderärzte sind überlastet: Die kleinsten Patienten werden derzeit schlecht versorgt. Ein Problem mit Ansage. Doch ändern wird sich so schnell nichts. Das hat auch mit systemischen Fehlern zu tun, sagen Kinderschützer.

Bei diesem Inhalt von Youtube werden möglicherweise personenbezogene Daten übertragen. Weitere Informationen und Einstellungen dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung.

Jede zweite Kinderklinik muss Patienten abweisen – mit dieser drastischen Information hat der Verband der Intensivmediziner (DIVI) kürzlich auf die Notlage in den Kinderkliniken aufmerksam gemacht. Eine starke Welle an Atemwegserkrankungen, ausgelöst durch das sogenannte "RS-Virus", macht den Kinderkliniken derzeit besonders stark zu schaffen. Freie Betten für Notfälle gibt es kaum. Das Personal spricht von einem hohen organisatorischen Aufwand, damit alle Kindern behandelt werden können.

Unser Kinder-Gesundheitssystem wird seit Jahren kaputtgespart.

Nikola Klün, Ärztin für Kindermedizin

Doch dass die Kliniken jetzt an ihr Limit kommen, überrascht viele nicht wirklich. "Unser Kinder-Gesundheitssystem wird seit Jahren kaputtgespart", sagt Nikola Klün, Ärztin für Kindermedizin in der neuesten Folge von recap. Hauptproblem sei das Fallpauschalen-System, sagt Klün. Leistungen von Ärzten und Pflegepersonal könnten "nicht richtig abgebildet" werden. "Die Kindermedizin ist deswegen finanziell schwierig."

Kindermedizin: Schwer, keine Verluste zu machen

Die Fallpauschale wird von vielen als generelles Problem in den deutschen Kliniken gesehen. Mit den Pauschalen sollen vergleichbare Leistungen, etwa standardisierte Operationen, leichter abgerechnet werden. Es gibt einen festen Betrag für eine festgelegte Leistung. Das Problem ist, dass Kinder sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Klün erklärt das am Beispiel des Blutabnehmens. Bei Erwachsenen sei das eine Sache von zwei, drei Minuten. "In der Kindermedizin kann so eine Blutentnahme unter Umständen auch mal eine Dreiviertelstunde in Anspruch nehmen", sagt sie.

Dazu kommt: Neben den Kindern müssen auch die Eltern betreut werden. All das kostet Zeit, für die im Abrechnungssystem kein Geld vorgesehen ist. Zudem müssen in Kinderkliniken mehr technisches Gerät und Personal vorgehalten werden. Auch das wird nicht bezahlt. In der Summe ist es für Kinderkliniken schwer, keine Verluste zu machen.

Kinder als "Potenzial im Sinne der Verwertbarkeit"

"Dass wir ein akutes Problem haben und einfach die Versorgung nicht mehr sicherstellen können, ist ein Desaster", sagt Daniel Grien, Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes. Er sieht ein größeres Problem: "Wir diskutieren die Themen bei Kindern offensichtlich häufig zu spät. Wir wissen, wie schlecht es um die Schulen steht und es ist eine Frage der Zeit, bis wieder ein System kollabiert, wir erschreckt draufschauen und uns fragen: 'Wie konnte das passieren?'"

Es ist eine Frage der Zeit, bis wieder ein System kollabiert, wir erschreckt draufschauen und uns fragen: 'Wie konnte das passieren?'

Daniel Grien, Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes

Kinder würden zu sehr als "Potenzial im Sinne der Verwertbarkeit" gesehen. "Wir sehen in Kinder im besten Falle, wenn wir sie positiv bewerten, Fachkräfte, Renten-Einzahler", sagt Grien. Stattdessen sollte sich die Gesellschaft vielmehr Fragen, was den Kindern jetzt hilft und nicht, was sie in Zukunft leisten könnten. Daher plädiert der Kinderschutzbund dafür, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.

Reformvorschläge von Bundesminister Lauterbach

Um die akute Situation in der Medizin zu verbessern, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Geld bereitgestellt und unter anderem vorgeschlagen, Pflegepersonal aus dem Erwachsenenbereich abzuziehen und sie in Kinderkliniken einzusetzen.

"Grundsätzlich hat Herr Lauterbach gar keine schlechte Idee gehabt", findet Jenny Kuhnert, Fachpflegerin für Intensivmedizin in Berlin. Sie sieht aber eine entscheidende Einschränkung: "Es macht einen riesengroßen Unterschied, ob ich einen 70-jährigen Mann betreue oder ein zweijähriges Kind." Pflegekräfte hätten die Sorge, das Haftungsfragen nicht geklärt seien. Auch müsste das eh schon überlastete Personal in den Kinderkliniken dann noch neue Kollegen anlernen.

Es macht einen riesengroßen Unterschied, ob ich einen 70-jährigen Mann betreue oder ein zweijähriges Kind.

Jenny Kuhnert, Fachpflegerin für Intensivmedizin

Zudem hatte Lauterbach das Ergebnis einer Expertenkommission vorgestellt, das die Finanzierung der Krankenhäuser deutlich verbessern soll. Ein Vorschlag der Kommission: Die Fallkostenpauschale soll nicht mehr der Hauptfaktor zur Finanzierung sein. Stattdessen soll es für Kliniken auch wieder mehr Geld geben, wenn sie Personal und Betten für Notfälle auf Reserve vorhalten. Bis aus dem Reformvorschlag ein Gesetz wird, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Warum die Kinderkliniken am Limit sind und was uns Kinder wert sind – darauf schauen wir ausführlich in unserer aktuellen recap-Folge.

Dieses Thema im Programm:recap bei Youtube | 09. Dezember 2022 | 17:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen

Mehr aus Deutschland

Mehr aus Deutschland