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In Kläranlagen wie hier in Dresden wird nicht nur Abwasser gereinigt und wiederaufbereitet. Regelmäßige Abwasseranalysen geben auch Aufschluss über Infektionswellen. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Ronald Bonß/Bonss

Corona & Co.Mit Abwassermonitoring gegen künftige Pandemien

06. April 2023, 05:00 Uhr

In einem deutschlandweiten Pilotprojekt wurde bis Ende März Abwasser auf Coronaviren hin analysiert. Finanziert wurde es von der EU, die das Projekt im Rahmen der Corona-Soforthilfe 2021 angestoßen hatte. 20 Pilotstandorte haben sich beteiligt, darunter Jena und Dresden. Abwasser wird auch weiterhin eine wichtige Informationsquelle zur Bewältigung von Pandemien bleiben. Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits ein Anschlussprojekt auf den Weg gebracht und stellt viel Geld zur Verfügung.

Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein, die die Menschheit ereilt. Da ist sich die Wissenschaftswelt einig. Also heißt es, vorbereitet sein und Infektionswellen schnell erkennen - egal, welcher Erreger uns als nächstes geißelt. Das haben auch Politik und Wissenschaft erkannt und noch auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie 2021 beschlossen, Abwasser auf das Coronavirus zu untersuchen. 20 Millionen Euro für Forschung stellte die EU-Kommission bereit, von denen 3,6 Millionen nach Deutschland geflossen sind. Das Pilotprojekt ESI-CorA lief von Oktober 2021 bis März dieses Jahres. In 20 ausgewählten Kläranlagen wurden im Projektzeitraum regelmäßig Proben entnommen und anschließend im Labor untersucht.

Wofür steht "ESI-CorA"?"ESI" steht für "Emergency Support Instrument" - also ein Soforthilfeinstrument der EU. "Cor" steht für Corona und das große "A" für Abwasser. Das Projekt "Systematische Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser" (ESI-CorA) wurde von der Europäischen Union im Rahmen des Soforthilfeinstruments ESI (Emergency Support Instrument) mit rund 3,6 Millionen Euro gefördert. Initiiert wurde es vom Bundesministerium für Gesundheit, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierte das Projekt als Träger. Partner waren neben dem KIT die Technische Universität Darmstadt, das Umweltbundesamt (UBA) und das Robert Koch-Institut (RKI).

Positives Feedback aus Jena und Dresden

"Für uns war der Aufwand überschaubar, da wir sowieso täglich Abwasserproben entnehmen und auf unterschiedlichste Stoffe untersuchen", erklärt Robert Köllner vom Zweckverband Jenawasser auf Anfrage von MDR AKTUELL. Pro Tag sei für das ESI-CorA-Projekt etwa eine halbe Stunde Mehraufwand angefallen. Jena gehört als mitteldeutscher Standort neben Dresden zu den 20 Standorten, die deutschlandweit am Projekt teilgenommen haben. Man sei vor allem "Dienstleister" gewesen, so Köllner. "Unsere Aufgabe bestand darin, die Abwasserproben zu separieren, zu kennzeichnen und versandfertig vorzubereiten. Ein externer Dienstleister habe die Proben dann abgeholt und ins Analyselabor gebracht. Die Auswertung, was das gekostet habe, läuft nach Angaben des Jenaer Abwasser-Experten noch.

Rund 60.000 Euro hat jeder Pilotstandort aus dem ESI-CorA-Topf erhalten. Das sei für die Probenentnahmen und Analysen an der Uniklinik Dresden "ausreichend" gewesen, sagt auch Rita Knoche. Sie hat das ESI-CorA-Projekt bei der Stadtentwässerung Dresden betreut. Doch man sei nicht nur für die Probenentnahmen verantwortlich gewesen, sondern habe auch koordinatorische Arbeit im Hintergrund geleistet - etwa Absprachen mit dem Gesundheitsamt, Mitarbeit im Projektkonsortium und bei der Datenübermittlung.

Untersucht wurden jeweils 24-Stunden-Mischproben. Die Probenentnahme erfolgte vollautomatisch am Zulauf der Kläranlagen. Gekühlt bei maximal vier Grad Celsius hält sich so eine Probe etwa vier bis fünf Tage. Im Labor wurden die Proben dann auf bestimmte Genfragmente der Coronaviren untersucht mittels Polymerase-Kettenreaktion, also PCR. An der TU Darmstadt wurden außerdem verschiedene Coronavirusvarianten erfasst.

Was bringt Abwasser-Monitoring?

Abwasser kann ziemlich viel über eine Gesellschaft verraten. Schließlich kommt dort alles zusammen, was aus unseren Körpern heraus fließt. Speichel und Exkremente können mit Viren, Bakterien, Drogen, Medikamenten und Giftstoffen belastet sein. "Oft wird Abwasser nur als Abfallprodukt angesehen", beklagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Februar bei einem Besuch der Kläranlage in Hamburg. Dabei biete die Abwasserbehandlung von Kläranlagen Chancen für den Gesundheitsschutz und die Rückgewinnung von Rohstoffen. Die Ministerin spricht von einem "Informationsschatz", der im Abwasser liegt. "Abwasseruntersuchungen können den Trend eines Infektionsgeschehens abbilden und als Frühwarnsystem im Gesundheitsbereich dienen", so Lemke.

Für das Robert Koch-Institut (RKI) war das ESI-CorA-Projekt ein Erfolg. Man habe zeigen können, dass "Abwasserdaten den Verlauf der Infektionsdynamik widerspiegeln", heißt es auf Anfrage. Die "abwasserbasierte Surveillance" (Überwachung) könne gemeinsam mit anderen Indikatoren für die Covid-19-Lagebewertung genutzt werden. Besonders hebt das RKI hervor, dass Netzwerke auf lokaler, Landes- und Bundesebene etabliert werden konnten, die auch in Zukunft genutzt werden könnten.

Für die Coronapandemie brauche man das Monitoring nicht mehr, meint hingegen der Virologe Klaus Stöhr. Im Gespräch mit MDR AKTUELL bezeichnete er es als "Unsinn", dass das Abwasser weiter auf Sars-Cov-2 hin untersucht werde. Das Virus zirkuliere inzwischen wie andere saisonale Viren. Stöhr plädierte für einen normalen Umgang damit. "Ein flächendeckendes Abwasser-Monitoring bringt den Patienten nichts und bringt der Gesellschaft nichts", sagt Stöhr. Das zu untersuchen könne aus wissenschaftlicher Sicht interessant sein, habe aber nichts mit Pandemiebekämpfung oder Therapie für den Einzelpatienten zu tun. Auch die Untersuchung des Abwassers auf Coronavarianten hin sei "unsinnig" so Stöhr. Man müsse ja auch wissen, ob die Varianten einen "medizinischen Unterschied machen". Das Ganze sei "komplett sinnlos, wenn die klinischen Daten dazu fehlen", so Stöhr.

Dass mit dem Abwassermonitoring "keine Informationen über die individuelle Schwere von Erkrankungen oder die klinische Relevanz etwaiger Virusvarianten gewonnen werden" können, räumen auch Gesundheits- und Umweltministerium ein. Darum gehe es aber auch nicht. Fertig etabliert könne die Abwasseruntersuchung als Frühwarnsystem dienen. Denn die "Kurve der Viruslast im Abwasser steigt in der Regel mehrere Tage früher an" als bei anderen Pandemie-Indikatoren. So könne wertvolle Zeit gewonnen werden, um Maßnahme zur Eindämmung zu ergreifen.

Ohne das ESI-CorA-Projekt und vorangegangene Untersuchungen "hätten wir heute nicht den fachtechnischen Stand in Deutschland", heißt es vom Umweltbundeamt auf Nachfrage von MDR AKTUELL. Die Erkenntnisse aus ESI-CorA seien die Basis gewesen für die Entwicklung des Pandemieradars in seiner aktuellen Form. Die Viruslast im Abwasser wird in dem Dashboard des RKI gesondert ausgewiesen. Insgesamt sollen künftig 170 Standorte an das Pandemieradar angeschlossen werden. Auch an internationalen Flughäfen wie Frankfurt/Main und Berlin werden Proben entnommen und auf Virusvarianten analysiert.

Anschlussprojekt unter Leitung des RKI

Nachdem das ESI-CorA-Projekt belegt hat, dass eine flächendeckende Abwasserüberwachung nützliche Informationen für den Pandemieverlauf liefern kann, geht es im Anschlussprojekt AMELAG ("Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung") nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) nun darum, Abwasseranalytik und Datenübermittlung zu vereinfachen. Dazu sollen die Proben auf Länderebene zentral analysiert und erfasst werden. Unter anderem müsse man dafür bestehende IT-Strukturen erweitern.

AMELAG wird gemeinsam von RKI und UBA durchgeführt, wobei das RKI die Gesamtkoordination übernimmt. Der Bund finanziert das Vorhaben laut RKI bis Ende 2024 mit ca. 27 Millionen Euro. "Davon ist der größte Teil für die Finanzierung der Probenahme bei den Kläranlagen und die folgende Analytik eingeplant", heißt es vom RKI.

Die Abwasserüberwachung für gesundheitliche Fragestellungen sei in Deutschland ein neuer Ansatz, teil das UBA mit. Seit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes Ende 2022 sind die Abwasserüberwachung und das Pandemieradar gesetzlich festgeschrieben. Absehbar sei, "dass auch andere Krankheitserreger überwacht werden sollen", heißt es vom UBA. Die Auswahl werden gemeinschaftlich von UBA, RKI, Umwelt- und Gesundheitsministerium vorbereitet und entschieden. Laut RKI wird "aktuell diskutiert", für welche Erreger und Stoffe eine dauerhafte Abwasserüberwachung sinnvoll sei.

Für das Folgeprojekt AMELAG hat die Stadtentwässerung Dresden beim Sächsischen Staatsministerium "Bereitschaft zur Weiterführung der Beprobung zugesichert". Man gehe von einer lückenlosen Weiterführung aus. In Jena hat man seitens RKI und UBA offenbar noch keine Anfrage für weitere Probenentnahmen erhalten. Robert Köllner von den Stadtwerken zeigt sich jedoch offen. "Sofern es dazu Anfragen an uns gibt", werde man diesen "jederzeit positiv gegenüberstehen" und wolle einen Beitrag für die Allgemeinheit im Rahmen der Möglichkeiten leisten.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 03. Januar 2023 | 15:30 Uhr