Debatte um Lohnausgleich für pflegende VerwandteAltenpflege zuhause: "Ohne Angehörige geht es nicht"
Im Koalitionsvertrag steht, pflegende Angehörige sollen mit einem Lohnausgleich entlastet werden. Vorbild könnte das Elterngeld sein. Aber der Fachkräftemangel in der Pflege sei auch damit nicht zu lösen, sagt die Thüringer Landespflegeratsvorsitzende Martina Röder.
- Pflegende Angehörige sollen einen Lohnausgleich bekommen, um für ihre Verwandten da sein zu können. Das steht im Koalitionsvertrag.
- Schon vor vier Jahren wurde die Idee diskutiert. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn sah damals keine Chance für eine Finanzierung.
- Altenpfleger Daniel sagt: "Ohne die Hilfe von Angehörigen geht es in der Pflege größtenteils nicht."
Die eigenen Eltern oder andere Angehörige pflegen, eben jene Menschen über längere Zeit rund um die Uhr unterstützen – das will und kann nicht jede oder jeder. Für manche ist es emotional undenkbar, andere können es zeitlich und kapazitär nicht leisten. Und wiederum andere würden es tun, können es sich aber ganz wörtlich nicht leisten, ihrem Job nicht nachzukommen.
Und da soll, so steht es auch im Koalitionsvertrag der Regierung, der Lohnersatz für pflegende Angehörige eingesetzt werden. Sie sollen nach dem Vorbild des Elterngelds finanziell entlastet werden, wenn sie Verwandte pflegen und deshalb ihre Arbeit unterbrechen.
Was steht im Koalitionsvertrag?"Wir entwickeln die Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetze weiter und ermöglichen pflegenden Angehörigen und Nahestehenden mehr Zeitsouveränität, auch durch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten."
Koalitionsvertrag "Pflege und Gesundheit" (Seite 63)
Immer mehr Pflegebedürftige
Denn wer gepflegt werden muss, ist abhängig von der Hilfe des Umfelds oder fremder Menschen. Hier können die Bedürfnisse sehr verschieden sein: Die einen wollen beispielsweise gerne von ihren Kindern gepflegt werden, andere möchten das nicht.
Und Pflegebedürftige gibt es immer mehr, je älter die Gesellschaft wird. Zwischen 70 und 74 Jahren braucht jede zehnte Person, mit 90 Jahren brauchen acht von zehn Personen Pflege, gibt das Statistische Bundesamt an.
Sabine Krönert aus Leipzig beobachtet das Thema Pflege schon einige Jahre. Sie betreut einen Klassenkameraden, der im Pflegeheim lebt. Sie sagt: "Pflegeheime kosten einiges. Da kommen schnell 2.000 Euro zusammen." Sie hat Recht: Die Unterbringung in einem Pflegeheim kostet in Sachsen durchschnittlich 2.387 Euro. Die Pflege Zuhause ist ihrer Meinung nach günstiger.
Pflegeheimkosten steigenDie höchsten Mehrkosten im Vergleich zum Vorjahr haben Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthalts. Hier stiegen die Kosten auf durchschnittlich 2.387 Euro Eigenbeteiligung im Monat, 460 Euro mehr als im Vorjahr. Pflegebedürftige, die länger als zwölf Monate im Heim verbrachten, mussten durchschnittlich 2.129 Euro im Monat (384 Euro mehr als im Vorjahr) zuzahlen.
Quelle: Verband der Ersatzkassen, Juli 2023.
Ohne Angehörige geht es nicht
Und es ist nicht nur günstiger; es kann viele Vorteile haben, zuhause in der gewohnten Umgebung und mit Menschen zusammen zu sein, die man gut kennt. Daniel ist seit zehn Jahren ambulanter Altenpfleger und betreut Menschen mobil in Leipzig. Er sagt im Gespräch mit MDR AKTUELL: "Ohne die Hilfe von Angehörigen geht es in der Pflege zuhause größtenteils gar nicht."
Wenn Angehörige mithelfen und pflegen, freut ihn das. Sie wissen genau, was geht und "was gar nicht geht", die sogenannte Biografiearbeit werde enorm erleichtert. Sie sollten aber geschult sein, findet er: "Nur dann ist es hilfreich. Manchmal machen Angehörige auch Sachen, die kontraproduktiv sind, obwohl sie gut gemeint sind."
Er sieht hier die Krankenkassen in der Pflicht, für Angehörige Kurse anzubieten und über die bestehenden Kurse, die es gibt, von Beginn an zu informieren.
Lohnausgleich für 24 Monate gefordert
Die Idee, dass Angehörige eine Auszeit zur Pflege eines Menschen nehmen und sich nicht um die Finanzausfälle in dieser Zeit sorgen müssen, ist keine allzu neue. Schon 2019 wurde der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn immer wieder zu der Sache befragt.
Er antwortete in einem Interview: "Wenn wir über weitere Leistungen sprechen wollen, müssen wir immer auch die Frage nach der Finanzierung beantworten. Eine dem Elterngeld ähnliche Leistung wäre jedenfalls keine Aufgabe der Pflegeversicherung. Sie müsste von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Das sehe ich nicht."
Gut vier Jahre später sind die Probleme in der Pflege nicht weniger geworden und die Rufe nach Lohnersatz lauter. Unterstützt wird die Idee von der CDU und CSU. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher im Bundestag, Tino Sorge, brachte das Thema wieder auf. Er sagte: "Was für Kinder gilt, sollten wir auch für die Ältesten unserer Gesellschaft diskutieren" und bezog sich beim Lohnausgleich direkt auf das Konzept des Elterngelds.
Pflege zuhause
Martina Röder, Vorsitzende des Landespflegerats in Thüringen, findet die Idee des Lohnausgleichs für pflegende Angehörige grundsätzlich gut. Aber der Fachkräftemangel in der Pflege sei enorm und kurzfristig auch damit nicht zu lösen.
In anderen Ländern sei es ganz selbstverständlich, dass Angehörige ihre Verwandten pflegen, wenn es nötig ist, sagt Sabine Krönert. Die Rentnerin sagt weiter: "Aber wer berufstätig ist und sein Leben finanziert, wie will man es dann machen? Und alles aufzugeben, das kann auch keiner erwarten, finde ich."
Daniel, der mittlerweile vor der Tür eines nächsten Klienten steht, sagt dazu: "Angehörige opfern sich oft genug völlig auf und kümmern sich nicht mehr um sich selbst. Aber das führt manchmal zu Fehlern oder sogar zu Gewalt." So viel Entlastung und Schulung wie möglich sei also sinnvoll und letztlich gut für alle: für die, die pflegen und die, die gepflegt werden.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 16. August 2023 | 06:00 Uhr