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Es gabe viele Regeln während der Pandemie. Über das, wasdamals notwendig gewesen wäre und was nicht, wird aber auch jetzt noch gestritten. Bildrechte: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Unnötige MaßnahmenCorona-Bußgelder: Debatte um Einstellung offener Verfahren

09. April 2024, 14:59 Uhr

1,50 Meter Abstand halten, maximal fünf Personen in einer Gruppe und Masken im ÖPNV: Das waren nur einige der zahlreichen Corona-Regeln während der Pandemie. Hat man gegen sie verstoßen, wurden Bußgelder verhängt. Diese werden teilweise heute noch verfolgt. Berlins Ex‑Regierungschef Michael Müller hat nun vorgeschlagen, Strafen für Verstöße gegen die damaligen Schutzmaßnahmen zu erlassen. Andere Politiker stimmen ihm zu, aber verlangen vorher eine gründliche Aufarbeitung der Pandemie.

Ein 21-Jähriger in Berlin hat einen Bußgeldbescheid erhalten, weil er vor drei Jahren im Lockdown in einer Gruppe von insgesamt sechs Menschen unterwegs war. Erlaubt waren damals aber nur maximal fünf Personen. Der Fall regte den SPD-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bürgermeister Berlins, Michael Müller, dazu an, Straferlass bei Verstößen während der Pandemie vorzuschlagen.

"Wir wissen aus heutiger Sicht, dass manche Maßnahmen nicht so zwingend waren, wie wir damals dachten". Deshalb könne man über eine Amnestie nachdenken. Es müsse allerdings juristisch nachvollziehbar sein, welche Verfahren warum eingestellt würden, so Müller.

Untersuchungskommission im Bundestag

Philipp Hartewig hat Sympathien für Michael Müllers Idee. Der sächsische FDP-Abgeordnete ist Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags. Vor einer Amnestieregelung müsste allerdings erst die damalige Corona-Politik aufgearbeitet werden, glaubt Hartewig. "Anknüpfungspunkt für eine Amnestie wäre vor allem die Erkenntnis, welche Regelungen und zu welchem Zeitpunkt nicht gerechtfertigt waren oder sich überholt haben aufgrund der Erkenntnisse, die man danach erlangt hat."

Erst, wenn man das entsprechend feststelle, könne man dann allgemeine Schlussfolgerungen ziehen, erklärte Hartewig. Er plädiert für eine Untersuchungskommission im Bundestag. So würde die Aufarbeitung in die Hände des Parlaments gelegt.

Günter Krings, der justizpolitische Sprecher von CDU und CSU, befürwortet ebenfalls eine Kommission. Eine Amnestie für Bußgeldverfahren wegen Corona-Regelverstößen lehnt er aber ab. "Politik muss auch immer Entscheidungen in Unsicherheit treffen. Aber dennoch kann der Rechtsstaat nur funktionieren, wenn Recht gilt und grundsätzlich auch durchgesetzt wird."

Ethikrat für tiefgreifende Aufarbeitung der Coronamaßnahmen

Man könne nach ein paar Monaten oder ein, zwei Jahren nicht mal so einen Kassensturz machen und sagen, dass war alles nicht so. "Insofern darf auch nicht der Eindruck entstehen, der Ehrliche, der schon gezahlt hat oder der sich an die Regeln damals gehalten hat, der ist der Dumme. Und die es einfach mal haben darauf ankommen lassen, die haben dann nachher Glück gehabt."

Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, mahnt zu einer tiefgreifenden Aufarbeitung der Maßnahmen während der Coronapandemie. Es sei niemandem geholfen, einzelne Schuldige zu finden, so die Vorsitzende. "Es war damals eine irrsinnig herausfordernde Situation und es ist ganz sicher nicht alles top gelaufen."

Für sie ist eine Aufarbeitung gerade gegenüber der jüngere Generation eine soziale Verantwortung. "Es gibt so eine unerwiderte Solidarität der Jungen Generation die haben sich unheimlich zurück genommen und waren sehr belastet. Doch als Gesellschaft haben wir nicht wirklich etwas zurückgegebenen, zum Beispiel als die psychische Gesundheit belastet wurde. Da gibt es einfach noch sehr sehr viel zu tun."

Corona-Bußgeldbescheide in Mitteldeutschland

Werden auch heute noch Bußgeldbescheide wegen früherer Verstöße in der Pandemie verschickt? MDR AKTUELL hat verschiedene Städte in Mitteldeutschland angefragt. Antworten kamen aus Dresden, Chemnitz, Jena, Erfurt und Halle. In diesen Städten wurden bereits alle Bußgeldbescheide zugestellt.

In Jena wurden seit Beginn der Pandemie insgesamt 573 Verfahren eingeleitet. Laut dem städtischem Ordnungsamt wurden bei einigen keine Bußgeldbescheide erlassen, da die Verfahren entweder vor Erlass des Bußgeldbescheides durch Zahlung eines Verwarnungsgeldes erledigt oder eingestellt wurden. Derzeit existieren in der Bußgeldstelle Jena keine "offenen" Verfahren. Alle Anzeigen zu Verstößen gegen Coronaregeln seien bearbeitet und innerhalb der gesetzlichen Frist abgeschlossen, heißt es weiter. So gebe es keine Verfahren, bei welchen Bescheide erst ein Jahr nach Ende der Pandemie versandt wurden.

Aus der Landeshauptstadt Thüringens heißt es, dass seit Beginn der Corona-Pandemie 4.316 Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen die infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen geführt wurden. Eine statistische Auswertung der tatsächlich erlassenen Bußgeldbescheide sei jedoch nicht möglich.

Alle der Verwaltungsbehörde angezeigten Verfahren wurden abschließend bearbeitet. Von den rechtskräftigen Bußgeldverfahren sind noch 476 nicht oder nicht vollständig gezahlt; in 75 Verfahren steht eine gerichtliche Entscheidung im Einspruchsverfahren noch aus.

Auch in Chemnitz gab es im Jahr 2020 1.500 eingeleitete Ordnungswidrigkeitsverfahren, 2021 wares es 2.900 Verfahren und 2022 insgesamt 940 Verfahren. Derzeit gebe es laut der Behörde keine offenen Verfahren. Dem Ordnungsamt zufolge ist die Bearbeitung der Vorgänge längst abgeschlossen.

In Halle wurden insgesamt 1.588 Bußgeldbescheide erlassen und versandt. In der Abteilung Bußgeldstelle seien keine offenen Verfahren anhängig, erklärte die zuständige Behörde.

mit Material der dpa.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | RADIO | 09. April 2024 | 06:00 Uhr