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PersonalmangelGastronomie: Kritik an befristeten Anstellungen

24. Juli 2022, 05:00 Uhr

Das Gastgewerbe verzeichnet aktuell einen Nachfrageüberhang: Die Betriebe brauchen mehr Personal, als der Arbeitsmarkt zu bieten hat. Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen häufig unattraktiv. Gewerkschaften und Forschende kritisieren einen anderen Aspekt besonders: befristete Arbeitsverträge. Der Branchenverband wehrt sich gegen die Kritik.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat jüngst knapp 3.900 Betriebs- und Personalräte befragt. Das Ergebnis für die Gastronomie: Bis zu 63 Prozent der Befragten gaben an, dass Stellen unbesetzt blieben. Zahlen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA bestätigen das. Einer aktuellen Mitgliederbefragung zufolge suchen 66 Prozent der Betriebe akut Personal.

Befristungen treffen insbesondere junge Leute

Vor diesem Hintergrund sind der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) befristete Arbeitsverträge ein Dorn im Auge. Christian Ullmann ist bei der NGG für die Region Leipzig-Halle-Dessau zuständig und kritisiert Unsicherheiten für die Beschäftigten: "Das hat zur Folge, dass die Leute nicht wissen, wie sie eine Wohnung finden sollen, wenn sie die Stadt wechseln müssen, weil die Vermieter lieber jemanden nehmen, der ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat. Kredite für mögliche Umzüge oder die Anschaffung von Möbeln werden erschwert."

Bei jungen Leuten, die gerade ins Berufsleben starten, führt laut Ullmann eine Befristung unter Umständen sogar dazu, dass die Familienplanung trotz Kinderwunsch hintenangestellt wird. Generell falle bei den jüngeren Beschäftigten die Befristung besonders stark ins Gewicht. Sie hätten in der Regel noch keine Rücklagen bilden können. Erhebungen der Böckler-Stiftung ergaben, dass junge Menschen und Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft in allen Branchen überdurchschnittlich von Befristungen betroffen sind.

Dunkelziffer bei Befristungen dürfte hoch sein

In der Gastronomie waren laut Bundesagentur für Arbeit (BA) im letzten Quartal 2021 rund 30 Prozent aller neu aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisse befristet – im Vergleich zu rund 42 Prozent in der Gesamtwirtschaft. Ein Grund zur Freude? Nein, meint Eric Seils. Er ist Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Böckler-Stiftung und beschäftigt sich schon lange mit den Auswirkungen von Befristung. "Erst mal sind 30 Prozent schon eine ganz erhebliche Menge. Das ist ja bald ein Drittel."

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Zweitens müsse man wissen, dass der Prozentsatz in der amtlichen Statistik das wahre Ausmaß der Befristungen gerade im Gastgewerbe unterschätze. Das habe mehrere Gründe, so Seils. Zum einen gebe es in der Gastronomie viele Minijobber, die in der BA-Statistik nicht auftauchten, weil sie oftmals gar keinen Arbeitsvertrag hätten. Außerdem gebe es noch die kurzfristige, also zum Beispiel saisonale Beschäftigung, die ebenfalls nicht erfasst werde.

Gaststättenverband sieht Befristungen positiv

Für die DEHOGA geht es bei den Befristungen auch darum, schnell wieder getrennte Wege gehen zu können. Von einer Umgehung des Kündigungsschutzes will man nichts wissen. DEHOGA-Geschäftsführerin und Arbeitsmarktexpertin Sandra Warden betont, Befristungen seien "ein Instrument der Flexibilität, was natürlich auch die Möglichkeit gibt, auf einen sehr strengen Kündigungsschutz reagieren zu können."

Aber Befristungen seien nicht nur ein Instrument, das ausschließlich den Betrieben nützt: "Sie ermöglichen es Beschäftigten beim Ersteinstieg oder Wiedereinstieg, überhaupt wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen", so Warden.

Befristungen ermöglichen es Beschäftigten beim Ersteinstieg oder Wiedereinstieg, überhaupt wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen.

Sandra Warden | DEHOGA

Wieso für ein gegenseitiges Kennenlernen die Probezeit von einem halben Jahr nicht ausreicht, kann Warden nicht sagen. Für Christian Ullmann von der NGG keine befriedigende Aussage: "Ich denke, ein solcher Zeitraum ist ausreichend, um sich ein Bild zu machen von einem neuen Mitarbeiter oder einer neuen Mitarbeiterin. Um sagen zu können, das wird was mit dem- oder derjenigen. Da sollte man nicht noch einmal anderthalb Jahre brauchen, um die Festanstellung zu gewährleisten."

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 24. Juli 2022 | 06:00 Uhr

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