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"Meinung zu Gast"Vorteil Ost – Überholen ohne einzuholen

20. Oktober 2023, 16:01 Uhr

"Meinung zu Gast"-Autorin Iris Mayer schaut auf die Chip-Milliarden, die gerade in Mitteldeutschland investiert werden. Sie erlauben einen Blick auf die Standortvorteile des Ostens und bringen weit mehr als Jobs und einen Imagegewinn.

Wenn es um eine realistische Einschätzung der eigenen Stärke geht, hilft manchmal der Blick von außen. Also, Frage in die Runde, was macht Städte wie Dresden oder Magdeburg derzeit besonders attraktiv? Natürlich fallen einem in Sachsen sofort Semperoper, Grünes Gewölbe oder Frauenkirche ein. Und selbst Sportmuffel werden schneller Handball rufen als man Magdeburg sagen kann. Doch es lohnt sich, auf die Antworten zu schauen, die internationale Großkonzerne in letzter Zeit auf diese Frage gegeben haben.

Meinung zu GastIn der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Intel, TSMC, CATL: Internationale Techkonzerne siedeln sich an

Da wäre zum Beispiel der US-Chipgigant Intel, der in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt für 30 Milliarden Euro eine Gigafabrik bauen wird. Intel-Chef Pat Gelsinger hat gerade im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" begründet, warum Magdeburg der Standort der Wahl war: "Wir haben natürlich Vergleiche mit anderen Standorten angestellt, außerhalb und innerhalb von Deutschland – aber Magdeburg war einfach hungriger. Sie wollten gewinnen." Weitere Pluspunkte: eine ansprechende Hochschullandschaft und eine Tradition als Produktionsstandort.

Der taiwanische Chipkonzern TSMC will mindestens zehn Milliarden Euro in eine neue Halbleiterfabrik in Dresden investieren. Warum hier? Weil Dresden schon eine lange Tradition in der Mikroelektronik hat samt Forschungs- und Infrastruktur. Auch Infineon hat sich in diesem Jahr dazu entschlossen, die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte in Dresden zu tätigen. Für fünf Milliarden Euro entsteht eine neue Halbleiterfabrik. Zum Spatenstich im Frühjahr kamen Kanzler und EU-Kommissionspräsidentin. Ursula von der Leyen befand damals: "Dresden ist ohne Zweifel ein digitaler Leuchtturm in Europa."

Man kann diese Reihe weiter fortsetzen: Der chinesische Konzern CATL hat 1,8 Milliarden Euro in eine Batteriefabrik im thüringischen Arnstadt investiert, Tesla erweitert seine E-Auto-Fabrik in Brandenburg.

Für internationale Techkonzerne, wie CATL, bietet Ostdeutschland interessante Standortvorteile. Bildrechte: imago images/Karina Hessland

33 Jahre nachdem Helmut Kohl dem Osten blühende Landschaften versprach, vollzieht sich hier ein mittleres Wirtschaftswunder. Und das liegt keinesfalls allein an den großzügigen Milliardensubventionen der Bundesregierung, wie Kritiker bemängeln. Die wären auch in den Westen geflossen. Spricht man mit Experten, dann heißen die Standortvorteile Ost: große verfügbare Flächen, grüne Energie und industrieaffine Bevölkerung.

Ostdeutschland sollte mit Selbstbewusstsein auf die eigenen Stärken schauen

Das ist bemerkenswert, denn der Osten war immer eine Arbeitsgesellschaft, das hat Zusammenleben und Selbstbild geprägt. Und das hat die Umbruchsjahre mit Massenarbeitslosigkeit für viele auch so bitter gemacht. Jetzt heißt die neue Herausforderung für Firmen und Landesregierungen: genügend Fachkräfte für die anspruchsvollen Jobs finden und ausbilden. Gelingt das, dann bringen diese Milliardeninvestitionen Mitteldeutschland mehr als Imagegewinn und höhere Steuereinnahmen.

Bildrechte: privat

Iris MayerIris Mayer ist als Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig. In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert sie als Gastautorin Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Denn nach den schmerzhaften Transformationserfahrungen der Nachwendejahre gibt es nun die Chance auf eine neue Fortschrittserzählung. Auf eine Perspektive für junge Leute, die für Spitzenjobs ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen. Viele hatten nach der Wende sehr gute Gründe, in den Westen zu gehen, jetzt könnte es für einige von ihnen noch bessere geben, um wieder zurückzukommen.

All das sollte Anlass sein, endlich mal mit Selbstbewusstsein auf die eigenen Stärken zu schauen – und auf die Chancen, die daraus wachsen. Weg von den Wunden, hin zu den Hoffnungen. Das schließt übrigens eine ehrliche Analyse nicht aus, was es für den neuen Aufschwung noch braucht: mehr Weltoffenheit, gute soziale Infrastruktur und eine effiziente Verwaltung, die schnell entscheiden und steuern kann. Vielleicht erfüllt sich dann am Ende auch ein Spruch, der im Osten mindestens so berühmt ist wie der von Kohls blühenden Landschaften: Überholen ohne einzuholen.

Redaktioneller HinweisKommentare geben grundsätzlich die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. Oktober 2023 | 09:35 Uhr