Podcast "Digital leben"KI-Feedback für Schüler: Schule auf dem Prüfstand
Als erstes deutsches Bundesland testet Sachsen-Anhalt an 35 Schulen mit jeweils zwei Lehrkräfte das Werkzeug fiete.ai. Bis zu 7.000 Schülerinnen und Schüler können eine Rückmeldung zu ihren Texten von dem Werkzeug bekommen. Im nächsten Schuljahr sollen 140 weitere Schulen hinzukommen. Das Bildungsministerium sieht das Werkzeug als eine Entlastung für Lehrkräfte. Im MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital leben" sagen Schüler, Lehrer, Experten und die fiete.ai-Macher, was sie von dem Werkzeug halten.
- So funktioniert fiete.ai – die Macher sagen, es gibt Vorteile für Schüler und Lehrer. Fiete soll für Schüler ab der neunten Klasse sein.
- Unklar ist, was das Tool die Landesregierung kostet. Die Gütersloher Firma und der US-Konzern OpenAi mit ChatGPT verdienen daran.
- Lehrer- und Schülervertreterinnen und ein Didaktik-Experte begrüßen den Versuch. Sie glauben aber nicht allen Versprechen und sehen Schule und Prüfungen vor Herausforderungen.
Ein Link vom Deutsch-Lehrer. Darin eine typische Aufgabe für seine Klasse: Interpretiert bitte das nachfolgende Gedicht. Schülerinnen und Schüler können ihren Text online eingeben oder ihren handschriftlichen Text abfotografieren und klicken: Fiete, gib mir Feedback! "Blup. Ich lese deinen Text und denke nach", ist die erste Antwort der Maschine. Ein paar Sekunden später gibt fiete.ai ein Feedback auf den Text – anhand von Kriterien, die der Deutsch-Lehrer vorher festgelegt hat.
Der MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital leben" hat das Werkzeug mit Schillers Gedicht "Der Handschuh" getestet. Die Aufgabe lautete: "Schreibe eine Gedichtinterpretation zu dem vorliegenden Gedicht". Fiete hat daraufhin selbständig fünf Feedbackkriterien vorgeschlagen. Als Antwort eines Schülers haben wir den Text einer frei im Internet verfügbaren Interpretation eingegeben.
Die ersten zwei Sätze von Fietes Feedback sind: "Du hast eine interessante und fundierte Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte von Schillers 'Der Handschuh' geliefert. Allerdings solltest du dich in deiner Gedichtinterpretation stärker auf den Text selbst konzentrieren." Eine solche Rückmeldung gibt Fiete zu jedem Kriterium des Lehrers. Schüler können anhand dieser Tipps ihre Texte überarbeiten und endgültig abgeben.
Der Deutsch-Lehrer sieht dann, wie gut seine Kriterien erfüllt wurden – anhand von farbigen Balken. Die Balken zeigen ihm auch, ob Schülerinnen und Schüler das Feedback von Fiete berücksichtigt haben. Mit einem zusätzlichen Klick kann der Lehrer die Texte lesen.
Der Macher von Fiete
Der Macher von fiete.ai ist Hendrik Haverkamp, Lehrer für Deutsch und Sport in Nordrhein-Westfalen. Am Evangelisch Stiftisches Gymnasium in Gütersloh koordiniert er die Digitalität an seiner Schule. Außerdem ist er Vorsitzender des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur, einem Verein, der sich einer modernen Prüfungskultur verschrieben hat. Fiete hat er mit einem Programmierer aus Kiel entwickelt. Haverkamp nutzt Fiete im Unterricht und sagt: "Als Lehrkraft könnte ich niemals 25 Schülerinnen und Schülern meiner Klasse gleichzeitig Feedback geben. Für einen Feedback-Tutor wie Fiete ist das kein Problem." So sei Feedback zum ersten Mal skalierbar.
Weil Lehrkräfte bei Fiete auf einen Blick sehen können, wie gut Schülerinnen und Schüler die Aufgaben erledigt haben, hätten auch sie einen Riesenvorteil: "Fiete zeigt an, wo Kompetenzlücken sind, sodass ich meine Ressourcen für die Schülerinnen und Schüler einsetzen kann, die meine Hilfe wirklich brauchen." So könnten Lehrer ihren Unterricht besser gestalten. Für sein Tool ist Fiete auf der deutschen Bildungsmesse Didacta im Februar als Start-up des Jahres ausgezeichnet worden.
Der Fiete-Test in Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt ist das erste Bundesland, das Fiete testet. Das Online-KI-Werkzeug nutzt das Sprachmodell ChatGPT 4.0 des US-Konzerns OpenAI. Die Anbindung zur ChatGPT läuft technisch über den Bildungsserver des Landes. Dort werden auch die Kosten für ChatGPT abgerechnet – nach den öffentlich einsehbaren Preisen von OpenAI hängen sie von der Aktualität des Sprachmodells ab und werden anhand von so genannten Token berechnet. 1.000 Token kosten zwischen 0,12 und 0,03 Dollar und sind etwa 750 Wörter, schreibt OpenAI.
Fiete gibt auf seiner Seite folgende Kosten an: Für Lehrer kostet das Werkzeug 10 Euro im Monat – für eine ganze Schule 490 Euro im Jahr. Wie viel das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung (LISA) für Fiete ausgibt, sagt es nicht. Für Schulen im Land ist Fiete kostenlos.
Derzeit können sich Schulen in Sachsen-Anhalt beim LISA melden, um an dem Projekt teilzunehmen. Dazu müssen sie zwei Lehrkräfte benennen. Außerdem müssen Eltern und Schüler der Klassen zustimmen. Fiete soll von Schülern ab der neunten Klasse genutzt werden können. Die 35 Test-Schulen sollen sich laut LISA regional über das Land verteilen und Gymnasien, Sekundar- und Gesamtschulen sein. Im nächsten Schuljahr sollen 140 weitere Schulen hinzukommen. Das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel soll den Einsatz des Werkzeugs wissenschaftlich überprüfen.
Das sagen Schüler und Lehrer zu Fiete
Die beiden Schüler- und Lehrervertreterinnen, mit denen MDR SACHSEN-ANHALT im Podcast "Digital leben" sprechen konnte, begrüßen den Versuch mit dem KI-Tool von Fiete. "Man sollte das auf jeden Fall versuchen. Und man muss sich damit auseinandersetzen", sagt Eva Gerth, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
"Man kann das tatsächlich nutzen, um Feedback zu geben. Aber das heißt nicht, dass ich die Schüler mit dem Feedback allein lasse." Gerth bezweifelt, dass das Tool die Lehrkräfte entlastet. Das hatte das Bildungsministerium als einen Vorteil des Werkzeugs benannt. Die GEW-Chefin Gerth sagt: "Alles, was wir digital machen, ist nicht unbedingt geeignet, Lehrkräfte zu entlasten oder abzuschaffen."
Greta Steinmetz geht in die zwölfte Klasse und macht im Frühjahr ihr Abitur in Barleben. Sie ist Vorsitzende des Landesschülerrates. Steinmetz sieht für einige Schüler einen weiteren Vorteil des Werkzeugs: "Es ist ein bisschen privater. Denn nicht jeder will in den Druck geraten, seinen vielleicht fehlerhaften Text in der Klasse vorzulesen."
Ausreichend Ausstattung und Wissen über KI an Schulen?
Steinmetz sagt, an Schulen solle nicht nur mit Hilfe von KI gelernt werden, es müsse mehr Wissen über KI vermittelt werden: "Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass ich von einer KI bewertet werde, sondern ich müsste eigentlich die KI bewerten können." Schülervertreterin Steinmetz und GEW-Chefin Gerth sagen auch, mitunter fehle es immer noch an der Ausstattung in den Schulen: Wo es kein oder kein ausreichendes WLAN und keine Geräte für Schüler gibt, nutze ein solches KI-Werkzeug auch nichts. Lehrermangel sei das viel größere Problem an Schulen. "Letztendlich muss man sich wirklich die Frage stellen, wo sich Schule in 30 Jahren sieht", sagt Schülerin Steinmetz.
Solche Fragen treiben wohl auch Matthias Ballod um. Er ist Professor für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Martin Luther Uni Halle-Wittenberg. Seine Doktorarbeit hat er über automatisierte Verfahren der Textanalyse geschrieben. Mittlerweile ist er ein Kenner der digitalen Transformation von Schule und entwickelt Strategien, wie sich die Lehrkräfteausbildung digital gestalten lässt.
Diskussion über KI-Tool hinterfragt Schule
Ballod begrüßt außerordentlich, dass Sachsen-Anhalt als erstes Bundesland ein KI-Feedback-Werkzeug für Schüler testet. Er hält es für möglich, dass Fiete Lehrkräfte entlasten und Schülern individuelles Feedback geben kann. Aber der wirkliche Nutzen hänge von der konkreten Umsetzung ab. "Es ist offen, ob Lehrer die Rückmeldung des Tools betreuen oder ob das Tool die Rückmeldung des Lehrers ersetzt."
Dass ein solches Werkzeug in der Schule funktioniert, setze voraus, dass das Zusammenspiel zwischen Lehrer und Schülern oder Schülergruppen funktioniert. "Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht stimmen, die Unterrichtsversorgung und die Lehrer-Schüler-Beziehung, dann nützt mir das schönste Feedback-Tool nichts", sagt Ballod. Schule als sozialer Raum lässt sich nicht verordnen. Ob es einer konkreten Klasse hilft, lässt sich nur durch Ausprobieren herausfinden, sagt Ballod.
"Nur im Tun zeigt sich, ob das Tool funktioniert."
Für den Didaktiker regt die Diskussion über solche Tools eine weitere Diskussion an: Wie gut funktionieren Prüfungen noch? Denn die Erwartungen der Institution Schule an die Schüler ließen sich in Klausuren und Tests gut definieren. Die Aufgaben dafür seien aber oft nur auf das Reproduzieren ausgerichtet und nicht auf echte Produktion, sagt Ballod. "Aber ich sehe hier die große Chance, den Schreibprozess, den Deutschunterricht oder überhaupt den Unterricht neu zu denken. Und ich bin gespannt, ob diese Chance aufgegriffen oder ob in alte Muster zurückgefallen wird."
Dass digitale Technologien Althergebrachtes zementieren könnten, sieht auch Fiete-Macher Hendrik Haverkamp. "Die Gefahr besteht immer. Bestehende Verhaltensweisen können durch digitale Technologien verstärkt werden, im Guten wie im Schlechten." Aber sie hätten auch das Potenzial, dass Schülerinnen und Schüler individualisierter und personalisierter lernen könnten. "Dass man damit auch immer sehr schlechten Unterricht machen kann, gilt jede Technologie."
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MDR (Marcel Roth)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. Januar 2024 | 20:00 Uhr
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