Podcast "Digital leben"Wie Daten und Technologien im Hochwasserschutz helfenvon Marcel Roth, MDR SACHSEN-ANHALT
Wettervorhersage, Pegelstände, Hochwasservorhersage und Hochwasserschutzplanung – Expertinnen und Experten nutzen dafür digitale Werkzeuge und moderne Technologien. Zwei von ihnen erklären im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben", wie mit Daten Menschen und ihr Hab und Gut geschützt werden können.
- Wissenschaftliche Modelle können Hochwassergefahren berechnen und zeigen.
- Das Hochwasser an der Helme stellt Modell und Hochwasserschutzmaßnahmen jedoch auf die Probe.
- Zukünftig könnten auch KI-Methoden des maschinellen Lernens eine Rolle bei der Hochwasser-Prävention spielen.
Daniel Bachmann ist seit 2018 an der Hochschule Magdeburg-Stendal Professor für Hydromechanik und hydrodynamische Modellierung. Er wohnt in Biederitz; nur 50 Meter vom Umflutkanal entfernt. Der Kanal wird geflutet, wenn das Pretziener Wehr gezogen wird, um Magdeburg vor einem Hochwasser der Elbe zu schützen. Statistisch gesehen passiere das alle zweieinhalb Jahre, sagt Bachmann. "Aber seitdem ich hier wohne, habe ich es gerade zum ersten Mal erlebt. Das zeigt, dass wir in einer sehr trockenen Periode leben."
Wegen der dramatischen weltweiten Klimaveränderung nimmt die Wahrscheinlichkeit von Extremhochwasser zu. Dabei können sowohl Menschen als auch ihr Hab und Gut zu Schaden kommen. "Außerdem bauen wir immer mehr dort, wo man nicht bauen sollte", sagt Bachmann. Er meint damit Millionenstädte an den weltweiten Küsten, aber auch seinen Wohnort Biederitz. Dort gäbe es Neubaugebiete mit Namen wie "Schwanengraben" und "Klein-Venedig". "Wenn das früher so hieß, muss man schon fragen, ob man da bauen sollte", sagt Bachmann.
Daten für Hochwassermodelle
Daten und digitale Technologien können helfen, Menschenleben und Infrastruktur zu schützen, sagt Bachmann. "Die Daten aus der Natur sind essentiell in der strategischen Planung von Deichen, Rückhaltebecken oder Flussaufweitungen. Auch kurz vor und während eines Hochwassers können digitale Werkzeuge Leben retten." Bachmann hat eine Software entwickelt, mit der sich entscheiden lässt, wie Hochwasserschutzmaßnahmen zu bewerten und zu planen sind.
Eine strategische Hochwasserplanung hat Bachmann gerade für die Lafnitz in Österreich gemacht. "In dem Pilotprojekt haben wir die Hochwasserschutzmaßnahmen risikobasiert bewertet. Wir wissen dann also, man spart mit dieser Maßnahme so und so viel tausend Euro pro Jahr und rettet so und so viele Menschenleben."
Außerdem entwirft Bachmann hydrodynamische Modelle, die berechnen können, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Höhe sich ein Hochwasser ausbreitet. Eine Quelle für seine Modelle sind die Messwerte der Pegelstände an den Flüssen in Sachsen-Anhalt. Dort erfassen Sensoren die Höhe und die Fließgeschwindigkeit des Wassers, sagt Burkhard Henning. Er ist Geschäftsführer des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt und hat von 2002 bis 2023 den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft geleitet. "Etwa 60 Pegel im Land melden ihre Werte innerhalb von Sekunden an die Zentrale", sagt Henning im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben".
Trotz Daten Fehler möglich und Menschen nötig
Falls einer der Sensoren wegen Eishochwasser oder durch Treibgut im Fluss ausfällt, seien diese Pegel redundant ausgestattet; auch mit Strom und Internet. Aber Henning sagt auch: Allein auf automatische Meldungen verlässt er sich nicht. Einige Meldungen müssten noch verifiziert werden. "Dafür gibt es Pegel-Beobachter und während eines Hochwassers – wie gerade an der Helme – führen Messtrupps zusätzlich Messungen durch", sagt Henning. Mit digitalen Geräten würden die Werte schnell an die Zentrale gemeldet. "Die Kollegen lauern dann schon darauf."
Und wie bei allem Digitalen können Geräte ausfallen. An der Talsperre Kelbra sei im Dezember zum Beispiel das Datensystem ausgefallen. Deshalb seien im Internet kurzzeitig falsche Pegelstände veröffentlicht worden, sagt Henning. "Das kriegt man nicht so schnell per Knopfdruck wieder hin. Wir haben dann statt falscher Daten lieber gar keine veröffentlicht."
Nach den Überflutungen hat der Talsperrenbetrieb ein PDF mit den richtigen Werten veröffentlicht. Dort ist der sprunghaften Anstieg Weihnachten gut zu sehen. Den habe man nicht vorhersehen können, sagt Henning. Denn gerade im Gebirge fließe das Regenwasser sofort in die Flüsse. Außerdem sei die Region an der Helme schon immer stark von Hochwasser betroffen, sagt Henning.
"Man sagt ein Naturereignis vorher!"
40 Jahre ist Burkhard Henning im Hochwasserschutz tätig. In dieser Zeit habe es enorme Fortschritte in der Vorhersage von Hochwasser gegeben, sagt er beeindruckt: "Was Elbe, Saale und Mulde betrifft, bin ich wirklich erstaunt und stolz, was wir mit Wissenschaftlern entwickelt haben." Denn die Hochwasservorhersagen seien ziemlich genau. "Man sagt ein Naturereignis vorher! Und das mit Genauigkeiten im Fünf-Zentimeter-Bereich."
Wissenschaftler Bachmann vergleicht die Hochwasserwarnung im Gebirge mit anderen Forschenden, von denen sich die Gesellschaft schnellere Warnungen erhofft: "Hochwasser im Gebirge vorherzusagen, ist schwierig. Aber man hat doch mehr Vorlaufzeit als bei einer Erdbebenwarnung." Bachmann sagt, es fehle trotzdem eine gute, zuverlässige meteorologische Mittelfristprognose für die kommenden ein bis zwei Monate. "Das würde das Talsperren-Management vereinfachen."
Daten bieten keinen Schutz, aber besseren Überblick
Trotz aller Daten, Modelle und Hochwasserschutzanlagen: "Es gibt keine Hochwasserschutzanlage, die einen hundertprozentigen Hochwasserschutz gewährleistet", sagt Burkhard Henning. Gewisse Beeinträchtigungen und Auswirkungen auf das Grundwasser müsse man hinnehmen.
Aber während eines Hochwassers hätte man mittlerweile einen viel besseren Überblick, sagt Henning. Der Grund: Drohnen. Auch die Polizei würde ihre Hubschrauber mit hochauflösenden Kameras während eines Hochwassers einsetzen. Die Aufnahmen ließen sich gut verwerten. "Diese Daten sind unwahrscheinlich wertvoll. Im Vergleich zu den Hochwassern von 2002 und 2013 ist das mittlerweile ein Quantensprung!"
Und Wissenschaftler Daniel Bachmann fügt im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben" hinzu, dass digitales Kartenmaterial wichtig sei: "Open StreetMap zum Beispiel ist mittlerweile sehr detailliert. Zum Beispiel sieht man, ob dort ein Transformator steht." Und während eines Hochwasser könne man Satellitenbilder nutzen. Jedenfalls wenn das Wetter mitspielt: "Bei der Helme gerade ging das zum Beispiel relativ schlecht, weil es lange bewölkt war", sagt Bachmann.
Ob mehr Daten mehr helfen? Bachmann ist skeptisch: Man wolle zwar immer genauer rechnen. "Aber da frage ich mich, ob eine Zelle wirklich 50 mal 50 Zentimeter groß sein muss oder ob fünf mal fünf Meter genügen. Denn bei einem Deichbruch ist die Bordsteinkante völlig egal."
Datenflut macht Berechnungen langsamer
Mit Satelliten-Daten könne man weltweit zwölf mal zwölf Meter große Kachel erstellen. "Das Auswerten funktioniert. Noch." Denn je höher die Auflösung, je mehr Daten zusammenkommen, um so schwerfälliger würden die Modelle werden – eine Flut an Daten, für die Rechner mehr Zeit brauchen. "Selbst Hochleistungsrechner können dafür zwei Tage brauchen", sagt Bachmann.
Der Datenflut könne man vielleicht mit Methoden der künstlichen Intelligenz, also maschinellem Lernen, Herr werden. "Man trainiert seine KI. Und dann geht es im Hochwasserfall natürlich sehr schnell. Dafür gibt es bereits Ideen." Daniel Bachmann sagt allerdings, man könne physikalisch beschrieben, wie das Wasser fließt: "Brauchen wir wirklich ein datengetriebenes Modell?"
Denn viel wichtiger ist dem Wissenschaftler der Hochschule Magdeburg-Stendal die Vorsorge. Von den Niederländern könne man proaktives Handeln lernen, sagt er. In Deutschland würde Hochwasserschutz oft erst nach einem Hochwasser in Angriff genommen. "Warum immer erst nach Katastrophe?"
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MDR (Marcel Roth)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. Februar 2024 | 15:00 Uhr
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