ProvenienzforschungNeue Forschung zu Herkunft von Borneo-Objekten in Halle
Die Franckeschen Stiftungen in Halle starten ein neues Projekt zur Provenienzforschung. Dabei sollen rund 110 Objekte aus der Kunst- und Naturalienkammer des Hauses untersucht werden, die im 19. Jahrhundert von Borneo nach Europa verschifft wurden. Bei der Provenienzforschung geht es darum, Besitzverhältnisse zu erörtern: Warum sind Objekte, Kunstwerke oder Kulturgüter in Museen, Archiven oder Sammlungen gelandet? Und wer wurde dabei womöglich seines Besitzes beraubt?
- Verschiedene Objekte aus Borneo in Südostasien sind in vergangenen Jahrhunderten durch Missionare in die Franckeschen Stiftungen nach Halle gelangt.
- Mit einem Forschungsprojekt untersuchen jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Herkunft dieser Borneo-Objekte.
- Es soll eine digitale Ausstellung in verschiedenen Sprachen entstehen, darunter Malaysisch.
Wir schreiben ungefähr das Jahr 1840. Hermann Agathon Niemeyer, ein Ur-Ur-Enkel des Begründers der Franckeschen Stiftungen in Halle, entsendete Missionare nach Borneo. Dort sollten sie nicht nur ihre christlichen Glaubenssätze verbreiten, sondern hatten auch den Auftrag, Objekte für die Kunst- und Naturalienkammer nach Halle zu senden.
Borneo ist die drittgrößte Insel der Welt und heute in einen malaysischen, indonesischen und bruneiischen Teil aufgegliedert. Im 19. Jahrhundert war die Insel noch besetztes Gebiet von europäischen Kolonialmächten und diente als Schatzkammer für die gierigen Welteroberer.
Objekte gelangten über den Seeweg nach Europa
"Der Weg, den die Objekte gegangen sind, ist relativ gut nachzuvollziehen. In den Dokumenten ist das ganz gut belegt. Sie wurden in Kisten jeweils verpackt. Die Missionare hatten häufig Austausch mit dem Direktor zum Beispiel hier in Halle", sagte Projektmitarbeiterin Giulia Speciale im Gespräch mit MDR KULTUR.
Über den Seeweg gelangten die Kisten schließlich nach Europa. Darin befand sich alles, was den Missionaren in die Hände fiel: Kleidung, Schmuck, Waffen oder auch religiöse Artefakte. Über Jahrhunderte lagern sie in der Kunst- und Naturalienkammer in Halle. Erst in den 1990er-Jahren wurden alle Objekte erstmals im Rahmen der Rekonstruktion der Sammlung umfassend klassifiziert. Diese Klassifizierung soll nun im neuen Projekt ausgebaut werden.
Perspektive der Menschen auf Borneo einbinden
Dabei helfen könne die Digitalisierung, erläutert der Leiter der Stabsstelle Forschung bei den Franckeschen Stiftungen, Holger Zaunstöck, bei MDR KULTUR. Der Historiker betont, heute habe man "ganz andere Möglichkeiten, Vergleichsobjekte in Museen, in Europa, in Asien zu suchen."
Das neue Forschungsprojekt hatte in dieser Woche seinen Auftakt im Rahmen eines interdisziplinären Workshops in Halle. Rund 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das auf drei Jahre angelegte Projekt mit Vorträgen und Austausch eingeläutet.
Wichtig ist dabei, die Perspektive der Menschen in Borneo nicht zu vernachlässigen. Darauf achtet unter anderem die Historikerin Jutta Kelling. Sie fände es sehr gut, "Objekte wirklich in ihren ursprünglichen Kontext zu bringen und auch dort zu verorten."
Ziel des Forschungsprojektes
Das Ziel des Forschungsprojektes ist es unter anderem, eine digitale Ausstellung zu konzipieren, in der die Geschichte der Objekte auf Deutsch, Englisch und Malaysisch geschildert wird. Sie soll weltweit zugänglich gemacht werden.
Noch ungeklärt ist die Frage, was mit den Objekten selbst geschehen soll. Zaunstöck sagte MDR KULTUR, dass auch die Option bestehe, die Objekte Borneo zurückzugeben. Die Entscheidung darüber hänge davon ab, genau zu wissen: "Was sind das für Objekte? Welche Bedeutung haben sie für die Herkunftsgesellschaft?", so der Historiker.
Er ergänzt: "Aber am Ende ist es klar: Sollten Objekte dabei sein, die für die Gesellschaft auf Borneo einen hohen Wert haben, die extrem selten sind, dann sind wir auch bereit, die zu restituieren." Diese Möglichkeit ist auch mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste abgestimmt, so Zaunstöck, denn darum geht es auch in der Provenienzforschung: Gerechtigkeit wiederherzustellen.
Quelle: MDR KULTUR (Ole Steffen), Franckesche Stiftungen, redaktionelle Bearbeitung: op
Weitere Kulturmeldungen aus Sachsen-Anhalt
- Heinrich Schütz Musikfest startet in Weißenfels mit Audio
- Halle: Wächst die Kritik am Zukunftszentrum Deutsche Einheit?
- Quedlinburg: Ausstellung über Theodor Lux Feininger, den berühmten Sohn mit Audio
- Gartenreich Dessau-Wörlitz bereitet sich auf Klimawandel vor mit Audio
- Ostdeutsche Hip-Hop-Tradition soll Kulturerbe werden mit Audio
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 02. Februar 2026 | 12:10 Uhr