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ProvenienzforschungNeue Forschung zu Herkunft von Borneo-Objekten in Halle

03. Februar 2024, 13:40 Uhr

Die Franckeschen Stiftungen in Halle starten ein neues Projekt zur Provenienzforschung. Dabei sollen rund 110 Objekte aus der Kunst- und Naturalienkammer des Hauses untersucht werden, die im 19. Jahrhundert von Borneo nach Europa verschifft wurden. Bei der Provenienzforschung geht es darum, Besitzverhältnisse zu erörtern: Warum sind Objekte, Kunstwerke oder Kulturgüter in Museen, Archiven oder Sammlungen gelandet? Und wer wurde dabei womöglich seines Besitzes beraubt?

Wir schreiben ungefähr das Jahr 1840. Hermann Agathon Niemeyer, ein Ur-Ur-Enkel des Begründers der Franckeschen Stiftungen in Halle, entsendete Missionare nach Borneo. Dort sollten sie nicht nur ihre christlichen Glaubenssätze verbreiten, sondern hatten auch den Auftrag, Objekte für die Kunst- und Naturalienkammer nach Halle zu senden.

Borneo ist die drittgrößte Insel der Welt und heute in einen malaysischen, indonesischen und bruneiischen Teil aufgegliedert. Im 19. Jahrhundert war die Insel noch besetztes Gebiet von europäischen Kolonialmächten und diente als Schatzkammer für die gierigen Welteroberer.

Historische Ansicht von Borneo, entstanden um das Jahr 1700. Bildrechte: IMAGO / Gemini Collection

Objekte gelangten über den Seeweg nach Europa

"Der Weg, den die Objekte gegangen sind, ist relativ gut nachzuvollziehen. In den Dokumenten ist das ganz gut belegt. Sie wurden in Kisten jeweils verpackt. Die Missionare hatten häufig Austausch mit dem Direktor zum Beispiel hier in Halle", sagte Projektmitarbeiterin Giulia Speciale im Gespräch mit MDR KULTUR.

Giulia Speciale ist an dem Borneo-Projekt beteiligt, sie kennt unter anderem die Schriftzeugnisse der Missionare. Bildrechte: MDR/Ole Steffen

Über den Seeweg gelangten die Kisten schließlich nach Europa. Darin befand sich alles, was den Missionaren in die Hände fiel: Kleidung, Schmuck, Waffen oder auch religiöse Artefakte. Über Jahrhunderte lagern sie in der Kunst- und Naturalienkammer in Halle. Erst in den 1990er-Jahren wurden alle Objekte erstmals im Rahmen der Rekonstruktion der Sammlung umfassend klassifiziert. Diese Klassifizierung soll nun im neuen Projekt ausgebaut werden.

Perspektive der Menschen auf Borneo einbinden

Dabei helfen könne die Digitalisierung, erläutert der Leiter der Stabsstelle Forschung bei den Franckeschen Stiftungen, Holger Zaunstöck, bei MDR KULTUR. Der Historiker betont, heute habe man "ganz andere Möglichkeiten, Vergleichsobjekte in Museen, in Europa, in Asien zu suchen."

Holger Zaunstöck leitet die Stabsstelle Forschung bei den Franckeschen Stiftungen Bildrechte: MDR/Ole Steffen

Das neue Forschungsprojekt hatte in dieser Woche seinen Auftakt im Rahmen eines interdisziplinären Workshops in Halle. Rund 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das auf drei Jahre angelegte Projekt mit Vorträgen und Austausch eingeläutet.

Wichtig ist dabei, die Perspektive der Menschen in Borneo nicht zu vernachlässigen. Darauf achtet unter anderem die Historikerin Jutta Kelling. Sie fände es sehr gut, "Objekte wirklich in ihren ursprünglichen Kontext zu bringen und auch dort zu verorten."

Ziel des Forschungsprojektes

Das Ziel des Forschungsprojektes ist es unter anderem, eine digitale Ausstellung zu konzipieren, in der die Geschichte der Objekte auf Deutsch, Englisch und Malaysisch geschildert wird. Sie soll weltweit zugänglich gemacht werden.

Noch ungeklärt ist die Frage, was mit den Objekten selbst geschehen soll. Zaunstöck sagte MDR KULTUR, dass auch die Option bestehe, die Objekte Borneo zurückzugeben. Die Entscheidung darüber hänge davon ab, genau zu wissen: "Was sind das für Objekte? Welche Bedeutung haben sie für die Herkunftsgesellschaft?", so der Historiker.

In der historischen Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen sind tausende Objekte aus aller Welt ausgestellt. Bildrechte: MDR/Ole Steffen

Er ergänzt: "Aber am Ende ist es klar: Sollten Objekte dabei sein, die für die Gesellschaft auf Borneo einen hohen Wert haben, die extrem selten sind, dann sind wir auch bereit, die zu restituieren." Diese Möglichkeit ist auch mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste abgestimmt, so Zaunstöck, denn darum geht es auch in der Provenienzforschung: Gerechtigkeit wiederherzustellen.

Quelle: MDR KULTUR (Ole Steffen), Franckesche Stiftungen, redaktionelle Bearbeitung: op

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