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Diagnose Covid-19Eine Corona-Patientin erzählt: "Ich dachte: 'Ach, mich trifft das sowieso nicht'"

20. Juli 2020, 15:11 Uhr

Bei einem Familienbesuch im Harz fühlt sich Julia Rüstenberg krank: extreme Kopfschmerzen, Migräne, Schlappheit. Der Arzt lässt sie selbst einen Corona-Abstrich machen – der positiv ausfällt. Dabei war die 26-jährige Hotelfachschülerin besonders vorsichtig gewesen, erzählt sie im Interview.

Julia Rüstenberg gehört zu den 1.880 Menschen (Stand 2. Juli 2020, 16:00 Uhr), die sich in Sachsen-Anhalt bisher mit dem Coronavirus infiziert haben. Bildrechte: MDR/Julia Heundorf

Am 10. Mai besucht Julia Rüstenberg ihre Familie im Harz. Es ist der Muttertag. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder trinkt sie Kaffee, besucht auch noch ihre Oma, ihren Opa und ihre Freundin, die kurz zuvor ein Baby bekommen hat. An diesem Wochenende hat sie extreme Kopfschmerzen. Migräne. Am Sonntagabend fährt sie zurück nach Halle und fühlt sich sehr erschöpft. Als sie sich am nächsten Tag weiterhin ungewöhnlich schlapp fühlt, misst sie ihre Temperatur, die normal ist, und geht zum Arzt. Dort zeigt das Thermometer dann: Fieber.

Den Corona-Abstrich muss die Patientin selbst vor einem Spiegel durchführen. Sie erzählt: "Ich habe mir wirklich nichts weiter dabei gedacht. Ich dachte: Ach, mich trifft das sowieso nicht. Ich bin, ich bin doch ein fitter junger Mensch." Am Dienstag teilt ihr der Arzt am Telefon mit, dass der Corona-Test positiv ist.

Von nun an dürfen Julia Rüstenberg und ihr Verlobter, mit dem sie zusammen wohnt, die Wohnung nicht mehr verlassen und niemand darf die Wohnung betreten. Sie muss ihre Schule informieren, Die Gesundheitsämter in Halle, Leipzig und im Harz. Alle Kontaktpersonen müssen in Quarantäne: Familie, Freundin, Oma, Opa, Bruder, die Mitschüler, die Lehrer.

Täglich telefoniert sie mit dem Gesundheitsamt und mit ihrem Hausarzt. Ihre Symptome und Temperatur werden genau dokumentiert. "Ich bin gar nicht zum Ausruhen gekommen. Nur gut, dass es mir nicht so schlecht ging."

Starke Kopfschmerzen, Fieber, Schlappsein. Eine Woche lang lag Julia Rüstenberg nur im Bett, hatte keine Kraft, konnte nichts im Haushalt machen. Husten hatte sie nicht, nur ein leichtes Kratzen im Hals. Auch nach vierzehn Tagen Quarantäne fühlte sie sich schlapp – und bekam dann noch Hustensymptome.  

Über die Interviewpartnerin

Julia Rüstenberg ist 26 Jahre alt und lebt in Halle. Sie ist Hotelfachfrau und schließt derzeit die Hotelfachschule in Leipzig ab. Sie ist im Landkreis Harz aufgewachsen.

MDR SACHSEN-ANHALT: Wo hast du dich mit Corona angesteckt?

"Das lässt sich überhaupt nicht zurückverfolgen. Ich hatte mit niemandem Kontakt, der nachweislich getestet wurde. Das bleibt für immer ein Geheimnis. Meine Prüfungen standen bevor. Das war zwei Wochen vor der Prüfung. Ich hatte echt Angst, dass ich nicht teilnehmen kann – und ich war extrem vorsichtig.

Ich habe mich extra mit niemandem getroffen. Ich habe total oft Hände gewaschen, immer die Maske auf gehabt. Ich habe sie auch jeden Tag sauber gemacht, gewaschen, desinfiziert. Deshalb hat mich das so gewundert, dass es gerade mich trifft. Ich, war diejenige, die am allervorsichtigsten war. Alle haben gesagt: Das ist total bekloppt. Keiner hat sich Gedanken drüber gemacht. Aber ich habe wirklich versucht, mich daran zu halten. Und mich erwischt es.

Ich kann mir höchstens vorstellen, dass ich vielleicht beim Einkaufen an den Korb und mir dann ins Gesicht gefasst habe. Aber ich kann es wirklich nicht sagen. Es lässt sich ja auch nicht zurückverfolgen.

Ich hatte dieses schlechte Gewissen, dass ich Schuld daran bin. Aber letztendlich kann ich nichts dafür. Es hätte jeder andere, es hätten so viele Leute sein können. Aber das hat mich wirklich dolle beschäftigt.

Ich habe viel geweint, weil ich mir selber Vorwürfe gemacht habe: Wäre ich mal vorsichtiger gewesen, wäre ich bloß nicht hingefahren. Aber es war halt so. Ich war so lange nicht zu Hause gewesen und habe alle lange nicht gesehen. Da habe ich mir gedacht: Wenn jetzt nichts passiert ist, passiert auch nichts. Aber wer kann das denn ahnen?

Du warst bei deinen Eltern zu Besuch, bei deiner Freundin, und bei den Großeltern. Hast du jemanden angesteckt?

"Ich habe keinen angesteckt, nein, nein. Nicht mal meinen Verlobten. Die erste Zeit haben wir wirklich in getrennten Räumen geschlafen. Ich auf dem Sofa, er im Bett. Wir haben uns auch nicht geküsst, nicht angefasst. Wir haben wirklich versucht, Abstand zu halten. Und ich habe auch immer alles desinfiziert. Türklinken, alles, was ich angefasst habe, dass er sich auf keinen Fall ansteckt.

Auch zuvor schon bei dem besagten Besuch bei meinen Eltern und Großeltern: Bei meiner Oma hatte ich die Maske auf und anderthalb Meter Abstand. Bei meinem Opa, da saßen wir draußen; da hatte ich auch anderthalb Meter Abstand. Das war das Positive. Da hat sich keiner angesteckt, auch meine Mutter nicht.

Das hat uns sehr gewundert. Sie hatte direkt neben mir gesessen. Das war ganz komisch. Ich verstehe das überhaupt nicht, dass sich da keiner angesteckt hat. Aber der Arzt hat gesagt es gibt Leute, die andere stärker anstecken. Und andere, die das nicht so dolle machen.

Und ich war wahrscheinlich jemand, der das nicht so weitergibt. Da haben wir wirklich Glück gehabt, auch wegen dem Baby meiner Freundin, die ich besucht habe. Sowas Bescheuertes eigentlich. Aber es hat keiner so wirklich ernst genommen."

Du bist jetzt wieder gesund. Hast du Angst vor Folgeschäden?

"Angst vor Folgeschäden habe ich nicht. Vorher hatte ich Angst. Ich hatte schon Angst davor, dass meine Oma das vielleicht kriegt. Man hat ja immer so Horrorszenarien im Fernsehen gesehen.

Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich es hatte und dass es nicht so dolle war. Es hat mir die Angst genommen. Die Ärzte haben auch gesagt, dass ich jetzt erstmal keinen anstecken kann. Ich kann es erst mal nicht mehr bekommen. Man weiß halt nur nicht, wie lange das anhält.

Deshalb machen sie Antikörpertests. Das wollen Sie mit mir auch noch machen, aber das war wieder so ein absolutes Durcheinander. Es gibt in Halle ein unabhängiges Ärzteteam, und ich hatte hingeschrieben, dass ich daran teilnehmen will. Jetzt hat sich endlich mal jemand gemeldet. Ich will schon erfahren, ob ich Antikörper in mir habe. Ich will dann auch Blut spenden. Vielleicht kann ich damit wirklich jemandem helfen."

Wie findest du die Maßnahmen des Landes zur Eindämmung des Coronavirus?

"Eigentlich gut. Natürlich nervt die Maske, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man sich und andere Leute schützt, auch mit dem Desinfizieren der Hände und Waschen. Und auch diese Ausgangsverbote – ich fand es schon sinnvoll.

Andererseits ist es halt dieser wirtschaftliche Schaden dahinter. Ich merke es jetzt selber. Ich finde keinen Job. Ich bin gerade richtig im Eimer deswegen. Das ist total blöd. Aber ich finde es schon wichtig. Ich stellte mir vor, das wird so wie in den USA oder so. Das wäre doch eine noch viel größere Katastrophe gewesen, und ich fand es nicht schlimm, dass man halt im Februar oder März – wann war das? – zu Hause bleiben sollte. Das hat mich in meiner persönlichen Freiheit nicht gestört. Also es war nötig. Jetzt bin ich zwar froh, dass man wieder rausgehen und auch mal wieder ein bisschen ins Restaurant kann oder mal ins Café oder sich mit Leuten treffen darf. Aber für die Zeit war es angemessen."

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Quelle: MDR/jh

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