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"It's all about collecting ..."Raubkunst-Debatte: Neue Ausstellung in Halle zu Kunst und Kolonialismus

17. März 2024, 04:00 Uhr

Der Streit um die Rückgabe von Raubkunst beschäftigt aktuell Museen in ganz Europa. Auch das Kunstmuseum Moritzburg in Halle fragt mit einer neuen Ausstellung nach dem richtigen Umgang mit Kunst aus der Kolonialzeit. Unter dem Titel "It's all about collecting ..." wird ein kritischer Blick auf die Herkunft von Werken in den eigenen Beständen geworfen, aber auch auf Exponate der Sammlung Horn. Zu dieser gehören neben expressionistischer Kunst von Emil Nolde und Max Pechstein auch Objekte aus Afrika und Ozeanien.

"It's all about collecting ..." verspricht die Ausstellung im Titel, inklusive dreier schelmisch gesetzter geheimnisvoller Pünktchen. Das Motto wird in der neuen Ausstellung der Moritzburg zu "Expressionismus, Museum, Kolonialismus" gar zum Design und prägt auf einem nachempfundenen hellgelben Notizzettel an vielen Stellen die Optik der Schau. Eine Ästhetik, die man aus Frauenzeitschriften oder von älterer Produktwerbung her kennt – aber in einem Museum zu so einem ernsten Thema?

Kunstmuseum Moritzburg blickt kritisch auf eigene Sammlung

Ist "It's all about collecting ..." ironisch gemeint, möchte man fragen, handelt doch die Schau von so genannten "Erwerbskontexten": vom menschlichen Trieb des Sammelns, der auch dunkle Aspekte hat, in kolonialen Kontexten oder in der Nazi-Zeit oft dunkelste. Auch die Typografie der Schrift, die groß gezogen an verschiedene Stellen der Ausstellung unbequeme Fragen und Kommentare stellt, erscheint eher leicht konsumierbar.

Brücke-Künstler Max Pechstein fertigte nach seiner Rückkehr von den Palau-Inseln Holzschnitte an, die er als "Exotische Köpfe" bezeichnete. Bildrechte: Pechstein – Hamburg/Berlin, Foto: Stiftung Rolf Horn/Landesmuseen Schleswig-Holstein

Dann wiederum wird die Schau resolut und streicht in den die Ausstellung begleitenden Texten Worte wie "Sammlung" oder auch die Namen einstiger deutscher Kolonien mit dem Lineal durch. Ist das nun historisch-korrekt oder einfach nur aktivistisch überzogen? Thomas Bauer-Friedrich, Direktor des Kunstmuseums Moritzburg, betont, dass sich sein Team "nach langer, ausführlicher Debatte" dazu entschlossen habe.

Aktuelle Debatte um Kolonialismus und Raubkunst in Museen

Es ist der Spagat zwischen dem Publikum, dem man die ethnologischen Objekte des Hauses nahebringen will sowie der aktuellen, teils aktivistisch geprägten Museumsdebatte, den die Ausstellung vollführt. Nicht nur in Halle werden dieser Tage teils zum ersten Mal überhaupt viele Provenienzen untersucht, wird ein ethischer Umgang mit ihnen eingefordert.

Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts habe es nie ein so genanntes "Völkerkundemuseum" gegeben, betont Thomas Bauer-Friedrich, jedoch habe das Kunstmuseum Moritzburg von Anfang an kleinere ethnologische Bestände besessen. Hauptsächlich waren es der Hallesche Kaufmann Franz Hellwig sowie Emil Riebeck, Spross einer einflussreichen Unternehmer-Familie, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Afrika, Asien und Ozeanien Objekte zu größeren Konvoluten zusammentrugen, die sie dem Museum verkauften.

Das Kunstmuseum Moritzburg beschäftigt sich mit der Frage, wie Werke in Folge des Kolonialismus nach Halle gelangten. Bildrechte: Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Esther Hoyer

Ob sie zu hundert Prozent geraubt wurden oder aus vermeintlich unwürdigen Tauschgeschäften stammen, muss noch genauer erforscht werden. Viele der ethnographischen Objekte in der Moritzburg sind übrigens verschwunden. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zum letzten Mal glaubhaft bezeugt, teilt Thomas Bauer-Friedrich mit. Zum Teil war es wohl einfach feucht in den Lagerstätten, was über 1.400 Objekten den Garaus gemacht haben könnte. Vielleicht gelangte die Sammlung jedoch auch zu DDR-Zeiten in den staatlichen Kunsthandel, kann auch Thomas Bauer-Friedrich nur mutmaßen: "Wir wissen es nicht, was passiert ist." Heute sind in der Moritzburg aus der Sammlung Hellwig nur noch acht Objekte übrig: fünf Tapas (Teppiche), zwei Pfeilspitzen und ein Gefäß.

Leihgaben aus Leipziger Grassi - Museum für Völkerkunde

Rund 250 Objekte aus Halle gelangten zu sozialistischer Zeit in den Besitz des Leipziger "Museums für Völkerkunde". Von dort konnte sich das Kunstmuseum Moritzburg nun für die Ausstellung beleihen und präsentiert hinter Glas etwa die Statue einer frisch verheirateten Frau aus Papua-Neuguinea, einem der wenigen Matriarchate dieser Erde, wie Kurator Ulf Dräger ausführt.

In der Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg ist die Statue einer Frau aus Papua-Neuguinea zu sehen. Bildrechte: Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Esther Hoyer

Zur Aufarbeitung und Recherche der ethnografischen Bestände konnte die Moritzburg übrigens im Rahmen eines Forschungsprojekts Fachleute aus Kamerun und Papua Neuguinea hinzuziehen, die Schwarze Deutsche Patricia Vester aus Potsdam schrieb auch Texte für die Ausstellung.

Aufarbeitung zu Provenienz auch in der Sammlung Horn

Bei der vielen Aufarbeitung im eigenen Haus gelangt der eigentliche Anlass der Schau, die Präsentation der Sammlung Horn, fast in den Hintergrund. Expressionistische Gemälde und Grafiken gehören zu ihren Glanzstücken sowie kultische Objekte, vornehmlich aus Afrika, der einstigen Gold- und Elfenbeinküste.

Rolf Horn, durch die "Arisierung" in der Nazi-Zeit zum Kaufhaus-Magnaten geworden, schuf seine Sammlung nach 1945, dennoch werfen einige Exponate auch Fragen auf. Für die "Stiftung Horn" spreche, dass sie Mittel zur Aufarbeitung bereitstellte, wie Thomas Bauer-Friedrich erzählt.

Die Ausstellung in Halle untersucht das Verhältnis von Expressionismus und Kolonialismus. Bildrechte: Pechstein – Hamburg/Berlin, Foto: Stiftung Rolf Horn/Landesmuseen Schleswig-Holstein

Kulturelle Aneignung durch Künstler wie Pechstein und Nolde?

Schließlich setzt sich die Ausstellung auch mit dem – heute oft als kulturell-aneignend gebrandmarkten – Blick einiger Expressionisten auseinander, etwa des Brücke-Künstlers Max Pechstein oder auch von Emil Nolde. Kuratorin Anke Dornbach betont, dass jene kultischen Objekte aus der Sammlung Horn, etwa nach dem Voodoo-Glauben noch heute aktive Masken aus Afrika, erhöht auf Sockeln in Vitrinen präsentiert werden, um darauf hinzuweisen, dass es sich hier nicht um Kunstobjekte handele.

Ernst Ludwig Kirchner malte 1925 ein epochales Porträt des Kunsthändlers Manfred Schames. Es ist in der Ausstellung in Halle zu sehen. Bildrechte: Pechstein – Hamburg/Berlin, Foto: Stiftung Rolf Horn/Landesmuseen Schleswig-Holstein

Große Ausstellung in Halle stellt viele Fragen

Die neue Ausstellung in der Moritzburg, repräsentativ auf großer Fläche ausgebreitet, überwältigt mit ihren künstlerischen und kultischen Objekten – auch einem Kirchner-Gemälde, dem Porträt von Manfred Schames aus Jahr 1925 – sowie mit einer überbordenden Fülle an museumsethischen sowie -praktischen Fragen, die eine derartige Präsentation in heutigen Tagen nach sich zieht. Geht das Publikum ohne Führung durch die Schau, kann es leicht überfordert sein. Aber, man kann ja wiederkommen!

Angaben zur Ausstellung

"It's all about collecting ... Expressionismus, Museum, Kolonialismus. Die Sammlung Horn zu Gast in Halle (Saale)"
Ausstellung vom 17. März bis 23. Juni 2024

Kunstmuseum Moritzburg
Friedemann-Bach-Platz 5, 06108 Halle (Saale)

Öffnungszeiten:
Montag, Dienstag, Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr
Mittwochs geschlossen
Feiertage von 10 bis 18 Uhr

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