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SachbeschädigungImmer mehr illegale Graffiti in Halle

15. Juli 2022, 18:38 Uhr

In Halle gibt es seit 2018 immer mehr unerlaubte Graffiti. Die Entfernungs-Firmen haben viel zu tun, die Stadt kostet das jedoch jährlich mehr als 100.000 Euro. Ein Kriminologe erklärt, was die Täter an den Straftaten reizt und wie sie verhindert werden könnten.

von Hanna Kazmirowski, MDR SACHSEN-ANHALT

Die Auftragsbücher bei der Spezialfirma "Fassadenfix" aus Halle sind voll: Robert Keil ist täglich in Halle und Umgebung unterwegs, um Graffiti zu entfernen. Zwar führe die Firma keine eigene Statistik, aber ihre Wahrnehmung deckt sich mit den Zahlen der Polizei, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegen: Nicht genehmigte Graffiti nehmen in Halle merklich zu. 437 Graffiti sind bereits in den ersten drei Monaten dieses Jahres bei der Polizei angezeigt worden. Die Dunkelziffer sei weitaus höher.

Anzeigen wegen Graffiti in HalleJahr 2018: 821
Jahr 2019: 988
Jahr 2020: 1.347
Jahr 2021: 1.081

Erstes Quartal 2022: 437

Jeden Tag bekommen die Beamten mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung auf den Tisch, doch nur wenige Sprayer werden gefasst. In der Nacht zum Donnerstag konnte die Polizei in Halle durch die Hinweise von Anwohnern drei Sprayer stellen – im Alter von 15 bis 19 Jahren. Im Februar war ein 41-Jähriger gefasst worden, im Juli ein 20-Jähriger.

Allein die Schmierereien an öffentlichen Gebäuden entfernen zu lassen, kostet die hallesche Stadtverwaltung zwischen 50.000 und 60.000 Euro im Jahr. Hinzu kommen Schäden durch Aufkleber und Graffiti an Verkehrsschildern in Höhe von jährlich 60.000 bis 70.000 Euro, wie die Stadt MDR SACHSEN-ANHALT auf Nachfrage mitteilte.

Ein teurer Spaß

Die Gründe für die zunehmenden Graffiti sind komplex und nicht eindeutig auszumachen. Robert Keil von der Reinigungsfirma spekuliert auf mehr Langeweile während der Coronazeit, was mit dem sprunghaften Anstieg von 988 im Jahr 2019 auf 1.347 Anzeigen im Folgejahr korreliert.

Der Geschäftsführer von "Fassadenfix" Alexander Retzlaff meint außerdem: "Wenn gerade in den Innenstädten viele neue Flächen entstehen, bringt das den ein oder anderen dazu, einen neuen Schriftzug anzubringen. Und gemäß der Broken-Window-Theorie folgt auf ein eingeschlagenes Fenster schnell ein zweites und drittes. Genauso ist es mit Graffiti."

Brennpunkte in Halle

In Halle seien aktuell besonders die Brennpunkte ums Landesmuseum und den August-Bebel-Platz von Schmierereien betroffen. Ob vulgäre Ausdrücke, großflächige Künstlernamen oder krakelige Symbole – ein paar Quadratmeter zu reinigen kann schnell Kosten im dreistelligen Bereich verursachen.

Der Aufwand messe sich laut Robert Keil an der verwendeten Farbe sowie dem Untergrund der Fassade. "Diese Faktoren analysieren wir, um die schonendsten Reinigungsmittel anzuwenden", erklärt er. Unter dem Druck eines 90 Grad heißen Wasserstrahls löst das Reinigungsmittel dann die Sprühfarbe vom Beton. Schwieriger wird es bei gestrichenen Fassaden – dort muss im Nachgang nochmal gestrichen werden.

Graffiti als Ventil für Frust

Doch was verleitet Menschen dazu, bewusst Sachen zu beschädigen? Der Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, hat durch anonyme Täterbefragungen herausgefunden: "Aggressive Taten, die entweder Personen oder Sachen beschädigen, rühren aus einem tiefsitzenden Frust auf die Allgemeinheit her, bei dem man keine andere Chance sieht, ihn loszuwerden. Im Kern entstehen dieser Ärger und die Rücksichtslosigkeit aufgrund der eigenen Ohnmacht." Die künstlerische Freiheit von Menschen sei natürlich zu respektieren. Trotzdem müsse man klarstellen, dass Graffiti ohne Genehmigung rechtswidrig seien.

Halle bietet Gestaltungsraum für Sprayer

Um der Kreativität der Menschen ein Ventil zu bieten, stellen viele Städte bestimmte Flächen zur Verfügung, an denen sich Sprayer austoben können. So unterstützt oder initiiert auch die Stadt Halle diverse Projekte, beispielsweise in Halle-Neustadt, Heide-Nord oder Trotha. Dort seien in den letzten Jahren an mehreren Stellen Stromkästen, Brücken oder Tunnel gestaltet worden.

Da allerdings keine begleitende Statistik geführt werde, könne Kriminologe Pfeiffer nicht beurteilen, ob solche präventiven oder alternativen Aktionen eine Durchschlagskraft haben. "Sie nehmen den Drang der jungen Leute auf jeden Fall ernst", erkennt der ehemalige Professor an.

Ausgewählte Projekte für Sprayer in Halle

  • Seit 2019 stehen in Heide-Nord/Blumenau Sprayer-Wände zur Verfügung, Beispiel-Aktion: "Ausgesprochen freundlich" von Jugendlichen unter Anleitung von "Profis". Die nächsten Aktionen sollen im September/Oktober 2022 durchgeführt werden.
  • Das Streetwork-Team Mitte/Nord/Ost kooperiert seit 2019 mit EVH und Havag zur Nutzung der Stromkästen vom Ortseingang Trotha bis zum Zoo für die Gestaltung der Kästen mit Graffiti. Dem liegt das Projekt "Mach Dein Quartier schöner" zu Grunde.
  • In Halles Osten besteht die Möglichkeit über die Freiraumgalerie/Montagsmaler legales Sprayen zu organisieren.
  • Im Jahr 2021 wurde die Bau-Brache am Böllberger Weg (Ruine Sportparadies, 30.000m²) wochenlang zur Nutzung für Sprayer freigegeben, bevor die Gebäude abgerissen wurden.
  • Mit den Kooperationspartnern der Passage 13 in Halle-Neustadt und dem Design Studio "Wert der Dinge" wurde 2021 die Passage im Zentrum von Neustadt neu belebt.

Wie die Stadt illegales Sprayen zu verhindern versucht

Die Stadt Halle unterstützt durch Finanzierung von freien Trägern der Jugendhilfe (u.a. Kinderschutzbund, Congrav e.V. und Passage 13) die Förderung von alternativen Graffiti-Möglichkeiten oder führt diese mit ihren vier Streetwork-Teams in Zusammenarbeit mit Vereinen durch; zuletzt unter anderem im Rahmen des Heino-Jam 2022 am 09.07.2022 in Heide-Nord. Dort wurden auf Leinwänden von jugendlichen Sprayern Aktionen umgesetzt.

Diese Projekte – unterstützt oder initiiert von der Stadt – gab und gibt es oft mit Partnern wie den Wohnungsgesellschaften oder den Stadtwerken. Beispiele: Gestaltung der Lärmschutzwand an der B80 in Halle-Neustadt, Gestaltung der "Innenwände" der Kröllwitz-Brücke, Gestaltung von Tunneln (Waisenhausring, Silberhöhe), Gestaltung von Stromkästen, Hochhäuser in der Voßstraße. Jugendliche haben die Skaterbahn am Neustadtzentrum mit Graffiti gestaltet. Im Ernst-Haeckel-Weg stehen Street-Art-Elemente aus Beton für legale Graffiti zur Verfügung.

Gewaltfreie Erziehung ist die beste Prävention

Aggressivität entwickelten junge Menschen laut Pfeiffer am ehesten, wenn sie zu Hause frustriert werden. "Wir können feststellen, dass das Schlagen von Kindern in den letzten 50 Jahren zurückgegangen ist. Seitdem nimmt auch die Sachbeschädigung bei Jugendlichen insgesamt ab", sagt er. Je jünger die Altersgruppe, desto weniger Farbanschläge habe sie in den letzten 15 Jahren verübt. "Nur bei Über-25-Jährigen haben wir keinen Rückgang feststellen können." Die beste Prävention sei seiner Meinung nach deshalb eine liebevolle Erziehung ohne Gewalt.

Wenn Robert Keil von der Fassadenreinigungsfirma zweimal über die hartnäckige Farbe gestrichen und sie heiß abgespült hat, fängt ein mobiles Becken das Abwasser auf. Eine spezielle Vorrichtung im Auto bereitet es direkt wieder zu Frischwasser auf. Dann packt Robert Keil seine Ausrüstung ein und schaut zufrieden auf die blanke Wand. "Alles wieder schick", sagt er. "Mal gucken, wie lange".

MDR (Hanna Kazmirowski, Luise Kotulla)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. Juli 2022 | 16:40 Uhr

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