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Medienbildung in Sachsen-AnhaltWas Schulen für eine erfolgreiche Digitalisierung benötigen

02. März 2020, 19:43 Uhr

Die Digitalisierung an Schulen braucht Fortschritt. In die Bereiche Struktur, Technik und Medienbildung muss investiert werden. Es gibt aber auch komplexe Probleme. Gerade für die Medienbildung fehlt es den Schulen an Entschlossenheit, so der Wissenschaftler Matthias Ballod. Ein Gastbeitrag.

von Yevgeniya Shcherbakova, Studentin Multimedia und Autorschaft

Digitalisierung an Schulen: "Wir müssen uns davon lösen, dass Schule nur auf das Leben vorbereitet. Sie soll auf die Zukunft vorbereiten." (Symbolbild) Bildrechte: imago/Westend61

Drei fünfte Klassen sitzen im Computerpool des neuen Städtischen Gymnasiums Halle und erstellen Fake-News für eine Nachrichtensendung. Der Kopf dieser Gruppe: Matthias Ballod, Sprachwissenschaftler und Professor an der Universität Halle-Wittenberg. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Vermittlung von Wissen, darunter auch Medienbildung.

Matthias Ballod macht Schulkinder fit für das Internet. Bildrechte: MDR/Yevgeniya Shcherbakova

In einem gemeinsamen Projekt sollten Schüler ein Gefühl dafür bekommen, dass soziale Medien mehr als nur die Verabredung zum Zocken oder lustige Tik-Tok-Videos sind. Sie sind auch das Tor für Fake-News, Cybermobbing und Missbrauch. "Wir haben die Schüler beispielsweise Fake-News erstellen lassen", erklärt Ballod. "Dabei sollten sie kleine Details von seriösen Zeitungsmeldungen manipulieren. Die anderen Mitschüler mussten raten, welche der vier vorgestellten Meldungen die Fake-Meldung ist." So wolle man jungen Menschen vermitteln, wie leicht es ist, Unwahrheiten im Netz und vor allem in sozialen Netzwerken zu verbreiten und wie und wo man diese Meldungen überprüfen kann.

Fehlende Medienbildung fördert die Polarisierung.

Matthias Ballod

Und es stimmt: Die Shell-Jugendstudie 2019 zeigt deutliche Defizite bei Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren. Sie sind wenig in der Lage, Fakten von Fake-News zu unterscheiden. Für Ballod steht fest: "Schüler sind zwar in der Nutzung von Medien viel unbefangener als ihre Lehrer, aber sie hinterfragen ihren Zugang zu Wissen nicht. Oftmals bleibt es bei einem Copy-Paste für das Referat." Das dies auch eine Gefährdung unserer Demokratie darstellt, macht er schnell deutlich: "Fehlende Medienbildung führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft. Dabei ist Digitalisierung auch eine Art Motor für Radikalisierung."

Reichen die Finanzmittel für die Digitalisierung?

Fünf Milliarden Euro sind für die Digitalisierung vom Bund für Sachsen-Anhalt freigegeben worden. Umgerechnet sind das etwa 530 Euro pro Schüler, erklärt der Schulleiter des Thomas-Müntzer-Gymnasiums in Halle, Thomas Gaube. Dabei bezieht er sich auf Aussagen des Magdeburger Oberbürgermeisters Lutz Trümper. 20 Prozent dieses Geldes dürften laut Digitalpakt ausschließlich für Technik wie zum Beispiel Tablets aufgewendet werden. Der Rest solle in die Infrastruktur – unter anderem für funktionierende Internetanschlüsse – und in die Medienbildung der Lehrenden und Schülerinnen und Schüler fließen. "Das Geld reicht dafür definitiv nicht aus", zitiert Gaube den Magdeburger Oberbürgermeister.

Konzepte müssen her

Unter diesen Umständen scheint es nahe zu liegen, Medienbildung bereits als verpflichtendes Schulfach einzuführen, um ein Bewusstsein für den Umgang mit dem Internet und neuen Medien zu schaffen. Doch welche Priorisierung diese Thematik erhalte, erschließe sich erst, wenn man mit Vertretern der Politik im Landtag, Datenschutzbeauftragten und der Universitätsleitung an einem Tisch diskutiere. "Den Schulen wird häufig vorgeworfen, einen Grundstock an Wissen zu vermitteln, jedoch nicht genügend auf das Leben vorzubereiten." Neben einem Medienfach würden bei diesen Diskussionen auch Fächer für Umwelt, Ökonomie oder Inklusion vorgeschlagen. Jedes Fach habe dabei seine Berechtigung. Das einzige Manko: Die Ressourcen fehlen.

Es reicht nicht, den Schülern ein Tablet vor die Nase zu legen.

Thomas Gaube

Thomas Gaube (li.) und sein Kollege freuen sich auf den Prozess der Digitalisierung. Bildrechte: MDR/Yevgeniya Shcherbakov

Eine Möglichkeit, an der auch der Wissenschaftler Matthias Ballod mitgearbeitet hat, Medienbildung in den gymnasialen Stundenplan einfließen zu lassen, ist die Einführung eines Wahlfachs. Der Schulleiter des halleschen Thomas-Müntzer-Gymnasiums und Ortsvorstand des Philologenverbands Sachsen-Anhalt, Thomas Gaube, bestätigt: "Wir haben Medienbildung als Profilfach integriert."

Weiter führt er an: "Wir erleben die Digitalisierung bereits seit zehn Jahren. Hierfür müssen immer neue Konzepte erstellt werden, auch das gehört zu unserem Alltag." Dabei geht es nicht nur um den Umgang mit Technik – sondern auch, wie man sie nutzt. Sowohl für Schülerinnen und Schüler, als auch Lehrende. "Es reicht nicht, den Schülern ein Tablet vor die Nase zu legen."

In die Praxis gehen

Für diese Konzepte fordert Ballod aber auch eine höhere Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung. Zu oft würden neue Lehrer die Lerninhalte und Konzepte aus ihrer eigenen Schulzeit übernehmen. Oder mit frischen Ideen und Impulsen an die Schulen kommen, die im Alltagstrott schnell eingestampft werden.

Im klassischen Fall sei der Entwicklungsprozess eines Lehrers linear: Zur Schule gehen, Lehramt studieren und wieder zurück zur Schule. Dadurch würden sie zwar fachliche Kompetenzen erlernen, aber eine wichtige Sache entfalle dadurch: Das Verständnis für die Praxis. Es gebe beispielsweise wenige Physiklehrer, die als Ingenieure gearbeitet hätten oder Musiklehrer mit Orchester-Erfahrung. Dabei könne das Über-den-Tellerrand und in die Praxis schauen neue Impulse setzen. Es helfe, Schülern ein besseres Verständnis dafür zu geben, wofür sie das erlernte Wissen benötigen.

Wie Sachsen-Anhalt Medienbildung umsetzen möchte

Die Landesregierung Sachsen-Anhalts sieht eine verbindliche Integration der Medienkompetenz in alle Fachlehrpläne der Schulen vor. Das geht aus der Antwort einer kleinen Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2018 hervor. Zusätzlich sollen Lehrende die Möglichkeit erhalten, durch Fortbildungsprogramme – wie beispielsweise am Medienkompetenzzentrum Halle oder mit Online-Kursen – entsprechende Kenntnisse zu erwerben. Um die erlernten Fähigkeiten zu überprüfen, bietet die Landesregierung eine freiwillige Teilnahme an Tests an.

Schema F war gestern

Es brauche deshalb für eine gelungene Digitalisierung auch ein neues Rollenverständnis für Lehrende. Sie sollten nicht als Abfalleimer für alle Probleme, die in der Familie und der Gesellschaft nicht gelöst werden können, gelten. Viele Ziele, die Schule hat, unterstützt Ballod: Schule ermögliche Kindern eigenständig und sozial zu handeln. Was dem Professor fehlt, sind fächerübergreifende Projekte und Praxisbezogenheit, um komplexe Sachverhalte, wie zum Beispiel Datensicherheit, Fake-News oder künstliche Intelligenz erlebbar zu machen.

Die Schüler müssten auf eine technologisch aufgerüstete Arbeitsbranche vorbereitet sein, so Ballod. In einer Welt, deren Berufe immer spezifischer und digitaler werden, muss fachübergreifend gedacht werden. Dazu könne auch gehören, gemeinsam im Unterricht Fake-News zu erstellen. "Wir müssen uns davon lösen, dass die Institution Schule nur auf das Leben vorbereitet. Sie soll auf die Zukunft vorbereiten", erklärt Ballod. "Wir können es uns nicht mehr leisten, nach Schema F zu arbeiten, wie es all die Jahre zuvor gemacht wurde."

Bildrechte: MDR/Yevgeniya Shcherbakova

Über die AutorinYevgeniya Shcherbakova studiert digitalen Journalismus im Studiengang Multimedia und Autorschaft an der Universiät in Halle.

Neben ihrem Studium reichen ihre Interessen von neusten Veröffentlichungen des Diogenes Verlags bis hin zu Trash-TV. Der Journalismus ist eine Möglichkeit für sie, ihre Neugierde zu stillen und mit immer neuen Menschen spannende Gespräche zu führen – auch mal bei einem Radler oder zwei.

Quelle: MDR/mp

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