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AfD-Politiker Ulrich Siegmund soll als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung abgewählt werden. Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Vor Abwahl vom LandtagsausschussUlrich Siegmund: "TikTok-Posterboy" der AfD

21. Februar 2024, 12:06 Uhr

Weil er im November in Potsdam an einem Treffen mit Rechtsextremen beteiligt war, soll der 33-jährige AfD-Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund aus Tangermünde als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung abgewählt werden. Wie hat der AfD-Politiker bisher politisch gewirkt.  

Natürlich hat Leto Petridis (Name geändert) von dem viel zitierten Treffen in Potsdam gehört, bei dem im vergangenen November ein Kreis von Rechtsextremen und konservativen Politikern, Unternehmern, und Privatleuten sich Gedanken über eine massenhafte Ausweisung von Ausländern und Deutschen mit Zuwanderungsgeschichte gemacht hatten. Leto Petredis ist Gastwirt in Stendal. Die AfD-Akteure vor Ort gehen gerne mal in seinem Lokal essen, es liegt nur unweit der AfD-Geschäftsstelle. Er wisse, dass auch Ulrich Siegmund bei der Veranstaltung in Potsdam gesprochen hat, sagt Petridis. Den genauen Wortlaut kennt er nicht. 

Laut dem Correctiv-Artikel, der das Treffen in Potsdam detailliert beschrieben hat, soll der Co-Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag gesagt haben, dass sich das Straßenbild ändern müsse, ausländische Restaurants müssten unter Druck gesetzt werden. Es solle in Sachsen-Anhalt "für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein, hier zu leben".

Ein empörter Gastwirt

"Das ist eine Sauerei, wenn das so gesagt wurde", sagt Petridis, nachdem er den genauen Text gesehen hat. Er selbst lebt seit mehr als 32 Jahren in Deutschland, seit 30 Jahren führt er in Stendal sein Restaurant für südländische Spezialitäten. Seine Kinder sind hier geboren, er selbst hat längst die deutsche Staatsangehörigkeit.

Über die Recherche von Correctiv

Warum wir bei mdr.de über die Recherche von Correctiv berichten

Die Recherche von Correctiv ist aus verschiedenen Gründen für den MDR relevant. Einerseits haben dort handelnde politische Akteure aus Sachsen-Anhalt teilgenommen und sollen dort unter anderem auch gesprochen haben. Andererseits könnte die Vernetzung der Teilnehmenden an dem Treffen in Potsdam Erklärungsansätze für zukünftige Handlungen geben.

Ist das Vorgehen von Correctiv legal?

Das ist eine Frage für die Justiz. Bislang gibt es lediglich den Antrag auf eine einstweilige Verfügung, dass bestimmte Passagen und Formulierungen gestrichen werden sollen. Dies wird derzeit vom Landgericht Hamburg geprüft.

Ist die Recherche von Correctiv sauber?

Das Recherchekollektiv gibt selbst Einblicke, wie sie über das Treffen recherchiert haben. Darüber hinaus wird das Vorgehen selbst derzeit nach MDR-Information nicht juristisch angegriffen.

Wer hat bislang Anzeige erstattet? Wer hat eine eidesstattliche Erklärung abgegeben?

Bislang (Stand 21.Februar 2024) reichte lediglich der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der an dem Treffen teilgenommen hat, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein. Dieser Antrag wurde durch eine eidesstattliche Erklärung sechs weiterer Teilnehmer bekräftigt. Es werden darin Details der Correctiv-Schilderungen bestritten. Im Mittelpunkt steht die Behauptung, dass auf dem Treffen darüber gesprochen worden sein soll, wie man Staatsbürger mit deutschen Pass ausweisen könne.

Correctiv wehrt sich gegen diese Unterlassungsforderung und legte am 20. Februar 2024 acht eidesstattliche Erklärungen vor. Darin versichern die Journalisten, "dass aus ihrer journalistischen Sicht gesichert ist, dass die CORRECTIV-Quellen den im Artikel geschilderten Inhalt der Veranstaltung richtig wiedergeben."

Der Gastwirt kann sich nur schwer vorstellen, dass die Worte bei dem Treffen tatsächlich genauso gefallen sind. Zu oft schon habe er mit den Leuten von der AfD und auch mit Ulrich Siegmund diskutiert. "Sowas kam da nie", sagt er. Manche Kritik der Partei könne er sogar gut nachvollziehen. Deutschland könne es sich nicht leisten, immer mehr Menschen ins Land zu holen, die am Ende von Sozialleistungen profitieren, ohne zu arbeiten, sagt der Restaurantbesitzer. Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass deutsche Gesetze es Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft schwer bis unmöglich machen, hier zu arbeiten.

Siegmund: Zitate aus dem Zusammenhang gerissen

Wer Ulrich Siegmund danach fragt, was er denn nun in Potsdam gesagt habe, dann spricht der Landtagsabgeordnete "von einer böswilligen Zuschreibung". Es seien Dinge "böswillig vermischt und aus dem Zusammenhang gerissen worden, um einen bestimmten Eindruck zu suggerieren". Es sei ihm bei seinen Ausführungen um Menschen gegangen, "die unser System missbrauchen, die hier illegal sind, die Straftaten begehen".

"Natürlich ist es unser politischer Anspruch, Straftätern und Illegalen es hier so unbequem wie möglich zu machen. Dass man es aber hier mit rechtschaffenden Migranten in Verbindung bringt und Menschen, die sich die Staatsbürgerschaft redlich verdient haben, das ist absolut böswillig und zurückzuweisen." Sein Zitat sei "an den Haaren herbeigezogen" worden.

Abwahl am Mittwoch geplant

Ein Großteil seiner Kolleginnen und Kollegen im Landtag wollen ihm diese Erklärung nicht durchgehenlassen. Bereits im Ältestenrat war der 33-Jährige zu dem Potsdamer Treffen hinter verschlossenen Türen befragt worden. Der AfD-Politiker soll nun am Mittwoch (21.2.2024) im Landtag von seinem Posten als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung abgewählt werden. Alle Landtagsabgeordneten der Regierungsfraktionen CDU, SPD und FDP – insgesamt 56 – haben den Antrag zur Abwahl unterschrieben.

Dies geschieht laut Unterzeichner aufgrund der Teilnahme am Treffen in Potsdam und der fehlenden Distanzierung. Man habe erwarten können, dass er das Treffen verlässt, wenn ihm bewusst geworden war, dass dort zum Teil Rechtsextremisten dabei sind. Unter anderem hatte der bekannte österreichische Rechtsaktivist Martin Sellner unter dem Motto "Masterplan" zum Thema "Remigration" gesprochen. Nach Bekanntwerden des Treffens im Januar hatte Siegmund zunächst über einen Medienanwalt erklärt, er sei als Privatperson dabei gewesen, möglicherweise auch aus Furcht vor innerparteilichen Sanktionen. Ein Referent von Parteichefin Alice Weidel, der ebenfalls dabei war, verlor kurze Zeit später seinen Job im Büro der Politikerin.  

Von Euro-Kritik bis Rechts-Rutsch

Aber wo steht Ulrich Siegmund politisch? Der Familienvater aus Tangermünde gehört der Partei seit mittlerweile zehn Jahren an. Anders als bei einigen anderen heutigen AfD-Politkern gibt es von ihm keine nachweisbaren Aktivitäten oder Teilnahmen bei Neonazi-Veranstaltungen. Er verstand sich als junger Mann als konservativ und versuchte bis 2014 in der CDU Fuß zu fassen.

Er habe dann aber die "Euro-Rettungspolitik zulasten künftiger Generationen nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren" können, sagt er. Er trat schon früh in die euro-kritische AfD ein und machte dann den Weg zu einer immer weiter nach rechts rutschenden Partei mit. Der Landesverband der AfD in Sachsen-Anhalt wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.

Mehrfach traten rechtsextreme Politiker wie André Poggenburg und auch Björn Höcke in der Altmark auf, eingeladen von den Führungskräften der Stendaler AfD um Ulrich Siegmund und Arno Bausemer. Auch Tino Chrupalla hat schon in Stendal auf dem Marktplatz gesprochen. Ulrich Siegmund und auch Arno Bausemer haben sich mit ihrer politischen Agenda innerhalb der Landespartei in Führungspositionen gearbeitet. Siegmund fungiert als Co-Fraktionsvorsitzender im Landtag, Bausemer steht – trotz einiger Querelen um falsche Angaben zu seiner Biografie – auf dem aussichtsreichen Platz zehn der Bundesliste der AfD für die EU-Wahlen im Juni.

"TikTok-Posterboy" der AfD

Wer die politische Agenda von Ulrich Siegmund kennenlernen möchte, der guckt sich am besten seinen TikTok-Kanal an, wo der AfD-Politiker regelmäßig seine Sicht der Dinge darstellt. In zwei bis drei Minuten langen Videos geht es darum, "wie es wirklich aussieht" nach Ansicht von Ulrich Siegmund in Deutschland und in der Landtagspolitik. Da werden wahlweise irgendwelche Zahlen hervorgekramt, die das eine oder andere belegen sollen. Da wird die parlamentarische Arbeit lächerlich gemacht und der politische Gegner dafür gerügt, dass er ja wieder einmal die angeblich sinnvolle AfD-Lösung nicht befürwortet hat. Oftmals fehlt nicht der Hinweis, dass "für die eigenen Leute kein Geld da ist und andernorts die Schleusen geöffnet werden." Details, die eine Einordnung zulassen würden, werden gerne weggelassen.

Ulrich Siegmund nutzt die sozialen Medien sehr geschickt und ist ein Reichweitenkrösus. Die Zeit schrieb unlängst vom "TikTok-Posterboy" der AfD. Kaum ein Bundespolitiker kommt an die Klickzahlen heran, die der 33-Jährige erzielt. Bei TikTok hat er mittlerweile 374.000 Follower, einzelne Videos werden schon mal 1,4 Millionen Mal abgerufen. Im Vergleich dazu hat der durchaus umtriebige bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gerade einmal 56.200 Nutzer, die ihm bei TikTok folgen. Oftmals nutzt Ulrich Siegmund seine rhetorischen, geschickt aufbereiteten Landtagsreden dazu, um sie dann in den sozialen Medien zu verbreiten.

Vor Ort in Tangermünde unsichtbar

"Wenn die Kamera angeht, dann ist er ein Blender", sagt der Landtagsabgeordnete Thomas Staudt (CDU), der genauso wie Siegmund aus Tangermünde kommt. Bei einigen Videos nimmt sich Siegmund seinen politischen Konkurrenten aus der Nachbarschaft schon gern mal vor, um ihn lächerlich zu machen. "Der macht Politik mit seinen Videos, bei Veranstaltungen hier vor Ort sehe ich den nie", sagt Staudt. Auch der Tangermünder Bürgermeister Steffen Schilm (parteilos) kennt Siegmund fast ausschließlich aus den Medien. "Inhaltlich hatten wir noch nichts miteinander zu tun", sagt er.

Amtsführung war "korrekt"

Die CDU Landtagsabgeordnete Anja Scheider (CDU), die als stellvertretende Vorsitzende im Sozialausschuss mit Siegmund als Vorsitzendem zusammengearbeitet hat, kann ihm in der Amtsausführung nichts nachsagen. "Das hat er korrekt gemacht", sagt Schneider. Siegmund selbst sieht ein "offensichtlich politisches Manöver" gegen ihn.  

Für die Abwahl von Siegmund ist eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag erforderlich – also mindestens 65 Stimmen. Der Abwahlantrag wurde von allen 56 Landtagsabgeordneten der Regierungsparteien (CDU/SPD/FDP) unterschrieben. Auch Linke (12) und Grüne (6) haben eine Zustimmung zur Abwahl signalisiert. Nach der Abwahl kann die AfD einen neuen Vorsitzenden benennen.  

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MDR (Bernd-Volker Brahms, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Februar 2024 | 17:00 Uhr