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In Sachsen-Anhalt profitieren rund 215.000 Frauen und Männer davon, wenn der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben wird. Bildrechte: IMAGO/panthermedia | Collage: MDR SACHSEN-ANHALT

Mindestlohnerhöhung12 Euro pro Stunde: Was Menschen mit geringem Einkommen vom neuen Mindestlohn halten

20. Februar 2022, 17:28 Uhr

Die Bundesregierung hat angekündigt, dass der Mindestlohn zum 1. Oktober auf zwölf Euro erhöht werden soll. In Sachsen-Anhalt werden davon schätzungsweise mehr als 200.000 Menschen profitieren, der Großteil davon Frauen. Hier berichten vier von ihnen, was sie von der Mindestlohnerhöhung halten – und was es bedeutet, mit geringem Einkommen zu leben.

Die Callcenter-Mitarbeiterin

Wer im Callcenter arbeitet, verdient aktuell häufig weniger als 12 Euro in der Stunde. Bildrechte: imago/Panthermedia

  • Name: Jessica Kruschel
  • Alter: 25 Jahre
  • Wohnort: Klein Rodensleben
  • derzeitiger Stundenlohn: aktuell in Elternzeit, davor 9,60 Euro

"Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Sozialassistentin gemacht und nebenbei im Callcenter gearbeitet. Der Job als Sozialassistentin war letztlich nichts für mich, deswegen bin ich hauptberuflich ins Callcenter gewechselt. Seit Herbst bin ich in Elternzeit, davor habe ich 35 Stunden in der Woche für ein Callcenter in Magdeburg gearbeitet, für den damaligen Mindestlohn von 9,60 Euro.

Am Monatsende habe ich 1.067 Euro netto ausgezahlt bekommen. Die Hälfte davon ging schon für die Miete drauf. Da muss man viele Abstriche machen, zumal alles immer teurer wird: Miete, Sprit, Strom, Lebensmittel. Ich kann mir fast nie etwas gönnen. Dadurch, dass ich nur Mindestlohn verdient habe, fällt mein Elterngeld entsprechend gering aus.

Für das, was wir uns teilweise von den Leuten am Telefon anhören müssen, war mein früherer Lohn in meinen Augen deutlich zu niedrig. Man wird oft beleidigt. Es ist auch kein Geheimnis, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Callcentern unter Burnout leiden. Wir sind definitiv unterbezahlt.

Mehr auf dem Konto und gut für die Rente

Dass der Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht werden soll, finde ich deshalb sehr gut. Das sind über zwei Euro mehr als der aktuelle Mindestlohn, und ich glaube, davon merkt man dann auch was auf dem Konto. Außerdem ist es gut für die Rente. Ich habe mich schon ein Stück weit damit abgefunden, dass ich im Alter wohl nicht viel Geld haben werde. Es ist keine schöne Vorstellung, dass man eines Tages vielleicht abwägen muss, ob man sich Medikamente oder etwas zu Essen leisten kann.

Für meinen Job empfinde ich zwölf Euro in der Stunde als einen angemessenen Lohn. Gleichzeitig müsste man aber in anderen Bereichen, etwa der Pflege, die Löhne weiter anheben, weil die Menschen dort sehr viel leisten müssen, gerade jetzt in der Corona-Zeit.

Im Herbst will ich in den Job zurückkehren. Wenn ich dann mehr Geld verdiene, wird das wohl vor allem für meinen Sohn ausgegeben. Der Kita-Platz kostet Geld und ein kleines Kind braucht ständig neue Sachen, da reicht das bisschen Kindergeld nicht aus. Mein Partner arbeitet auf Montage, wir sind also zwei Verdiener, dann geht das. Aber ich ziehe den Hut vor alleinerziehenden Müttern, die für Mindestlohn arbeiten müssen. Ich hatte mit dem wenigen Geld schon alleine zu kämpfen."

Die Zustellerin

Zeitungszusteller arbeiten zu Zeiten, zu denen viele andere schlafen. Oft verdienen sie dennoch weniger als 12 Euro. Bildrechte: imago/Panthermedia

  • Name: Barbara Odermath-Duesberg
  • Alter: 52 Jahre
  • Wohnort: Altmark
  • derzeitiger Stundenlohn: 9,82 Euro plus 10 Prozent Nachtzuschlag

"Ich bin gelernte Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb und lebe seit 2017 in Sachsen-Anhalt. In der Altmark arbeite ich für ein privates Unternehmen als Zustellerin für Zeitungen, Briefe und Werbung. Im Grunde ist es der gleiche Job, den ich früher als Fachangestellte bei der Deutschen Post gemacht habe, nur, dass ich jetzt deutlich weniger Geld bekomme.

Meine Schicht beginnt um 1 Uhr morgens, ich arbeite sechs Nächte in der Woche. Dafür bekomme ich den Mindestlohn von 9,82 Euro in der Stunde plus zehn Prozent Nachtzuschlag. Das empfinde ich als einen schlechten Witz. Bei 30 Stunden in der Woche bekomme ich im Monat ungefähr 1.000 Euro netto überwiesen. Letztlich wäre es für mich kein spürbarer Unterschied, wenn ich Hartz IV beziehen würde. Aber ich möchte nicht von Vater Staat abhängig sein.

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Es ist schwer, hier in der Region einen besser bezahlten Job zu finden. Ich bin alleinstehend und zahle für die Miete schon 500 Euro im Monat. Um über die Runden zu kommen, muss ich nebenher tagsüber arbeiten gehen. Vier Tage in der Woche miste ich zusätzlich in einem Pferdestall aus.

Eine Frage der Anerkennung

Grundsätzlich finde ich es gut, dass der Mindestlohn flächendeckend erhöht werden soll. Aber zwölf Euro sind in meinen Augen immer noch viel zu wenig. Wir reden hier ja von zwölf Euro brutto, netto sind das deutlich unter zehn Euro. Wie soll jemand von dem bisschen Geld bei den steigenden Spritpreisen zum Beispiel noch mit dem Auto zur Arbeit fahren?

Es muss einen deutlichen Unterschied geben zwischen dem Mindestlohn und dem, was jemand bekommt, der Hartz IV bezieht. Das ist für mich eine Frage der sozialen und menschlichen Anerkennung. Man will schließlich von seiner Arbeit nicht nur überleben, sondern leben. Ich verzichte aktuell auf so ziemlich alles. Mein Auto ist vor zwei Jahren kaputtgegangen, die Reparatur konnte ich mir nicht leisten. Jetzt fahre ich bei Wind und Wetter mit dem Roller zur Arbeit.

Das Geld reicht nicht mal, um 100 Euro im Monat zurückzulegen, falls die Waschmaschine den Geist aufgibt. Die Löhne sollten in meinen Augen dringend an die Realität angepasst werden. Vielleicht würde sich etwas ändern, wenn Politiker, die 8.000 Euro im Monat verdienen, mal einen Monat vom Mindestlohn leben müssten."

Die Tierwirtin

Wer im Schweinestall arbeitet, bekommt aktuell oftmals weniger als 12 Euro. Bildrechte: imago/panthermedia

  • Name: Daniela Rodenbeck
  • Alter: 42 Jahre
  • Wohnort: Osterburg
  • derzeitiger Stundenlohn: 10,73 Euro

"Ich bin gelernte Tierwirtin und arbeite in einem Schweinestall in der Nähe von Osterburg. Wir sorgen dafür, dass die Leute ihr Schnitzel auf dem Teller haben. Das ist kein leichter Job: Wir müssen jeden Tag los, egal ob Wochenende oder Feiertag – die Schweine haben immer Hunger. Man macht sich die Knochen kaputt, schleppt 20-Kilo-Säcke oder hebt die schweren Ferkel hoch zum Impfen. Und das schlimmste ist der Geruch. Den kriegt man selbst nach zwei- oder dreimal duschen nicht weg.

Aktuell arbeite ich 25 Stunden in der Woche und bekomme 10,73 Euro pro Stunde. Im Monat komme ich so auf 850 Euro netto. Das ist nicht doll und ich finde das auf keinen Fall angemessen für die schwere Arbeit. Ich habe fünf Kinder, mein Partner verdient auch nicht viel, da muss man gut haushalten. Wir würden zum Beispiel nie die Heizung auf die höchste Stufe drehen. Für die Kinder kaufen wir vor allem gebrauchte Sachen. Wir würden gerne mehr mit den Kindern unternehmen, mal in den Urlaub in die Türkei fliegen, aber das ist zu teuer. Wir machen eher Campingurlaub in Deutschland.

Höchste Zeit für höhere Löhne

Es wird höchste Zeit, dass viele Menschen in Deutschland mehr verdienen, nicht nur ich, sondern auch Friseure, Verkäuferinnen und andere. Ich finde es deshalb gut, wenn der Mindestlohn für alle erhöht wird, und zwölf Euro pro Stunde hören sich erstmal gut an. Aber die Frage ist, wie viel man davon tatsächlich hat, wenn gleichzeitig alles teurer wird. Am Ende bleibt wahrscheinlich nicht mehr als eine zusätzliche Tankfüllung übrig.

Unfair finde ich, dass Leute, die im Büro sitzen, mehr verdienen als die, die körperlich hart arbeiten. Wer weiß, was mit Menschen wie mir in 20 Jahren ist. Meine Knochen sind dann wahrscheinlich kaputt. Irgendwann werde ich mir also einen anderen Job suchen müssen. Putzen, im Supermarkt an der Kasse, ich würde eigentlich fast alles machen. Nur im Büro zu sitzen wäre nichts für mich.

Ich würde mir wünschen, dass es für Familien mit wenig Geld mehr Zuschüsse für die Kinder gibt. Der Kindergarten und das Essensgeld in den Schulen müssten für alle kostenlos sein."

Die Friseurin

In vielen Frisörsalons wird aktuell weniger als 12 Euro in der Stunde gezahlt. Im Herbst 2022 wird sich das ändern. Bildrechte: imago/panthermedia

  • Name: Tina Zantow
  • Alter: 31 Jahre
  • Wohnort: Magdeburg
  • derzeitiger Stundenlohn: 9,82 Euro

"Friseurin war schon als Kind mein Traumberuf. Das ist meine Leidenschaft, deshalb mache ich den Job überhaupt trotz des geringen Lohns. Ich habe zwei Kinder und arbeite 25 Stunden in der Woche. Dafür bekomme rund 850 Euro netto im Monat ausgezahlt. Damit man alleine mit zwei Kindern vernünftig leben könnte, bräuchte man in meinen Augen das Doppelte. Dass wir einigermaßen gut leben können, funktioniert nur, weil mein Freund ganz gut verdient. Sonst würde das Geld vorne und hinten nicht reichen und ich müsste aufstocken.

9,82 Euro pro Stunde sind einfach zu wenig für das, was wir leisten: Wir stehen ja nicht nur den ganzen Tag und schneiden Haare, wir sind auch Psychologen und hören uns an, was die Leute zu sagen haben. Und wir müssen auch mit schwierigen Kunden klarkommen. Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro ist ein guter Anfang, obwohl das eigentlich immer noch zu wenig ist.

Ungerechtigkeit beseitigen

Ich frage mich allerdings, wie die Kunden und mein Arbeitgeber auf die Mindestlohnerhöhung reagieren werden. Denn wenn dann die Preise steigen und weniger Kundinnen und Kunden in den Salon kommen, könnte es passieren, dass Jobs wegfallen.

Ich würde mir wünschen, dass ausgebildete Fachkräfte mehr verdienen als Ungelernte. In dem Unternehmen, in dem mein Freund arbeitet, verdienen ungelernte Bandarbeiter zum Beispiel jetzt schon elf Euro. Ich dagegen habe meinen Beruf drei Jahre lang gelernt, während der Ausbildung kaum Geld verdient, verdiene jetzt weniger als die Bandarbeiter und nach der Erhöhung gleich viel. Das ist ungerecht.

Obwohl ich gerne Friseurin bin, denke ich manchmal darüber nach, in eine andere Branche zu wechseln, in der die Löhne höher sind. Denn wenn ich mein Leben lang weiter so wenig verdiene wie jetzt, werde ich im Alter auf keinen Fall von meiner Rente leben können."

Über den AutorLucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm:MDR S-ANHALT | SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Februar 2022 | 19:00 Uhr

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