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Heike Lippert arbeitet in der ambulanten Pflege im Burgenlandkreis. Sie wünscht sich, dass es in Sachen Digitalisierung im ländlichen Raum vorangeht. Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

"Bürger-Auftrag" an die neue LandesregierungPflegerin Heike Lippert aus Naumburg: "Digitalisierung im ländlichen Raum vorantreiben"

01. Mai 2021, 18:00 Uhr

Sachsen-Anhalt wählt in wenigen Wochen einen neuen Landtag. Vorher spricht MDR SACHSEN-ANHALT mit Menschen über ihre Wünsche an die neue Regierung. Im sechsten und letzten Teil der Reihe "Bürger-Auftrag" kommt Altenpflegerin Heike Lippert zu Wort. Sie wünscht sich vor allem eines: Dass die Digitalisierung endlich vorankommt – zum Wohle ihrer Patienten.

Heike Lippert rückt die Lesebrille zurecht und tippt auf ihr Smartphone. Ab jetzt tickt die Uhr. Die 55-Jährige hat nur wenige Minuten Zeit, sich um ihre erste Patientin an diesem Tag zu kümmern. Es ist ein Montagmorgen im April und Heike Lippert ist in ihrem Element: Sie spritzt ihrer Patientin ein blutverdünnendes Mittel, reinigt die Wunde an deren Fuß, freut sich über den weniger werdenden Eiter, legt einen neuen Verband an. Dann noch ein kurzer Plausch und schon schwingt sich Lippert wieder in ihren weißen Kleinwagen. Die Tour durch den Burgenlandkreis geht weiter. "Die Kommunikation ist das A und O", sagt Heike Lippert. "Ich bin ein kommunikativer Mensch."

Heike Lippert ist Altenpflegerin. Geboren in Naumburg, hat sie zu DDR-Zeiten eine Lehre zur Gebrauchswerberin gemacht. "Schaufenster dekoriereren", erklärt sie. Nach der Wende wechselte sie ins Gesundheitssystem und machte eine Ausbildung zur Krankenschwester. Ein paar weitere Jahre später ging es zum Deutschen Roten Kreuz. Ambulante Pflege, Sozialstation Naumburg.

15 Jahre arbeitet sie hier nun schon. Bereut hat sie es nie. Trotz aller Tücken, die der Job mit sich bringt. Zum Beispiel: Immer mehr Aufgaben bei fehlenden Kolleginnen und Kollegen. Immer weniger Zeit für Patientinnen und Patienten. Und dann auch noch der lahmende Breitbandausbau. Doch dazu später mehr.

Dankbarkeit – und ein kleines bisschen Abwechslung

Heike Lippert versorgt ihren Patienten Helmut Hildebrecht mit einem neuen Verband. Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Heike Lippert steuert den nächsten Ort an. Es geht nach Molau, ein paar Hundert Menschen leben hier. Horst Hartung wartet schon auf den Besuch seiner Pflegerin. Doch auch dieser wird nur von kurzer Dauer sein. Vier Minuten hat Heike Lippert, um den Blutzucker des 86-Jährigen zu messen. Alles in bester Ordnung. Der Rentner darf sich auf sein Mittagessen freuen.

So auch Ingeborg Tandetzki: Während der 82-Jährigen der Blutzucker gemessen und Insulin verabreicht wird, wärmt Lippert das Mittagessen auf. Kohlroulade an Kartoffeln. "Ohne die Pflege könnte ich überhaupt nicht", erzählt Ingeborg Tandetzki. "Ich kann mich morgens ja nicht mal allein anziehen und die Kinder gehen auf Arbeit."

Wenn Heike Lippert kommt, sind die Menschen dankbar. Für die Hilfe. Und dass sie ein paar Minuten abgelenkt werden.

Ortswechsel. Sebastian Berger kommt mit hektischem Schritt aus der Geschäftsstelle des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Naumburg gelaufen. Berger, 31 Jahre, akkurat gekleidet, ist Vorstandsvorsitzender des DRK-Kreisverbandes Naumburg/Nebra. Der gebürtige Leipziger weiß um den Stellenwert, den ambulante Pflege im ländlichen Raum hat. "Wir schließen die Lücke, die Angehörige nicht schließen können", sagt er.

Mit ihrem weißen Kleinwagen ist Heike Lippert im Burgenlandkreis unterwegs. Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Die Menschen werden älter, das Personal fehlt

Um das zu tun, braucht es Personal. 300 Frauen und Männer arbeiten im Burgenlandkreis für das Rote Kreuz, ihr Job ist die Versorgung von rund 500 Patientinnen und Patienten. Und der Bedarf wird noch größer werden. Sebastian Berger weiß das – und die Zahlen der vergangenen Jahre belegen es.

Vergleicht man im südlichen Teil Sachsen-Anhalts den Anteil der Über-70-Jährigen mit dem von 1990, sieht man das, was man fast überall sieht: Die Bevölkerung ist älter geworden. Das zeigen Zahlen für den Burgenlandkreis insgesamt und auch für Weißenfels oder Naumburg.

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Die Jungen ziehen nach Halle und Leipzig

Das Problem ist nicht neu. Gelöst werden kann es nach Meinung von Sebastian Berger aber nur dann, wenn die Digitalisierung auch im ländlichen Raum endlich die nötigen Fortschritte macht.

Sebastian Berger Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Wir brauchen mehr Hände, müssen Jobs in der Pflege attraktiver machen. Das funktioniert nicht ohne Digitalisierung. Der aktuelle Stand der Digitalisierung macht den ländlichen Raum für viele junge Menschen unattraktiv.

Sebastian Berger | Vorstandsvorsitzender des DRK Naumburg/Nebra

Berger sieht im Burgenlandkreis dafür besondere Notwendigkeit. Viele junge Menschen zieht es ins nahe gelegene Halle oder nach Leipzig. Der DRK-Chef spricht von einer "Sogwirkung" beider Städte. Je größer der Sog, desto mehr Arbeit haben Pflegeteams wie das des Roten Kreuzes. Die Jungen gehen in die großen Städte, die Alten bleiben zurück auf dem Land. Das ist oft die Realität. Seit vielen Jahren schon. Es überrascht nicht, dass der Anteil der pflegebedürftigen Menschen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nirgends in Sachsen-Anhalt so hoch ist wie im Burgenlandkreis.

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Auch landesweit ist die Zahl der Pflegebedürftigen seit Ende der 1990er Jahre kontinuierlich nach oben gegangen. Für 2019 hat das Statistische Landesamt knapp 130.000 pflegebedürftige Frauen und Männer in Sachsen-Anhalt erfasst – fast doppelt so viele wie 20 Jahre zuvor.

Dürftiges Internet erschwert moderne Pflege

Beim Roten Kreuz in Naumburg haben sie die Dokumentation ihrer Dienstleistungen schon digitalisiert. Pflegerinnen wie Heike Lippert haben bei ihren Touren durch den Landkreis ein Smartphone dabei, das ihnen die nötigen Daten und Informationen zur Therapie direkt ins Wohnzimmer der Patienten liefert. Doch ein Problem bleibt: Auch die beste digitale Dokumentation funktioniert nur, wenn das Smartphone auch Empfang hat. In den Dörfern, in denen Heike Lippert an diesem Aprilmorgen unterwegs ist, ist das eher die Ausnahme als die Regel.

Über die Reihe: Was der "Bürger-Auftrag" zeigen soll

Am 6. Juni ist Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Schon vorher will MDR SACHSEN-ANHALT wissen, was die Menschen im Land bewegt – und was sie von der neuen Regierung erwarten. Frauen und Männer aus sechs Wahlkreisen formulieren in dieser Reihe ihren Wunsch an die neue Landesregierung – den "Bürger-Auftrag". Die sechsteilige Serie erscheint bis Sonnabend jeden Tag.

Die 55 Jahre alte Pflegerin ist nun auf dem Weg zurück nach Naumburg. An diesem Tag war die Zahl ihrer Patienten überschaubar. An durchschnittlichen Tagen aber sind es gut und gerne 20 Frauen und Männer, die Besuch von Heike Lippert bekommen, an manchen bis zu 35. "Wenn man von so einer Tour kommt, ist man schon erschöpft im Kopf", sagt Heike Lippert.

Doch mit der Tour ist es meist nicht getan. Wenn die Pflegerin zurück im Büro ist, telefoniert sie mit Apotheken, fährt zu Ärzten oder ins Sanitätshaus. Sie kümmert sich darum, dass ihre Patientinnen und Patienten das bekommen, was sie benötigen. All das kostet Zeit. Zeit, die Heike Lippert eigentlich gern für ihre Patienten hätte.

Mein Bürger-Auftrag

Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Von der neuen Landesregierung wünsche ich mir, dass sie die Digitalisierung vor allem auf dem Lande vorantreibt, damit wir als Pflegedienst digital mit allen Gesundheitsgewerken zusammenarbeiten können und mehr Zeit für den Patienten haben.

Heike Lippert | Ambulante Pflegerin im Burgenlandkreis

Allgemein

Nicht nur durch die Corona-Pandemie ist das Thema Gesundheit im Landtagswahlkampf 2021 in den Fokus gerückt. Pflegenotstand, medizinische Versorgungslücken im ländlichen Raum – Probleme gibt es genug. Welche Lösungsansätze verfolgen CDU, AfD, Linke, SPD, die Grünen und FDP?

CDU

Die CDU will einen "Zukunftsplan 2035" für die gesamte Gesundheitsversorgung präsentieren. Darin sind unter anderem die Spezialisierung von Krankenhäusern und der Abbau des Investitionsstaus vorgesehen. Die Partei will die Menschen wohnortnah versorgen und die Lücken in der Versorgung älterer Menschen, insbesondere bei der Zahnmedizin, schließen. Telemedizin und Digitalisierungen sollen ebenso gefördert werden wie die elektronische Patientenakte und das elektronische Rezept. Die Herstellung von Medizin- und Pharmazieprodukten im Land soll gestärkt werden. Dabei will die CDU vor allem im Süden Sachsen-Anhalts neue Standorte für medizinische Industrie und Forschung einrichten.

AfD

Die Partei will den Investitionsstau bei Krankenhäusern beseitigen und dafür 180 Millionen Euro ausgeben. Kliniken der Grund- und Regelversorgung in ländlichen Gebieten sollen in kommunale Hände überführt werden. Kleinere, ineffiziente Krankenhäuser sollen in Praxiskliniken umgewandelt werden. Das Modell der Polikliniken soll auf seinen Einsatz geprüft werden. Die AfD will den Rettungsdienst dezentralisieren und stärken sowie die Luftrettung ausweiten. In Schulen soll es zur Krankheitsprävention Aufklärungsangebote geben. Der Schulsport soll gestärkt werden. Im Bereich Pflege soll es Personaluntergrenzen geben, die Gehälter zwischen Ost und West sollen hier angeglichen werden. Die AfD will die häusliche Pflege stärken – durch bessere Honorierung und eine Anrechnung von Pflegeleistungen auf die Rente.

DIE LINKE

Die Partei will eine Solidarische Gesundheitsversicherung einführen, deren Beiträge nach Einkommen gestaffelt sind. Um die Kostenübernahme in Pflegeheimen zu regeln, setzt sich die Linke für eine Pflegereform ein und für die Zahlung eines Landes-Pflegewohngelds an jeden Pflegebedürftigen. Es soll ein Krankenhausverbund in öffentlicher Hand geschaffen werden – als "Schutzschirm gegen Privatisierung". Darüber soll sich das Land an der Finanzierung und Verwaltung der Kliniken beteiligen. Um den Investitionsstau abzubauen, will die Linke in den kommenden fünf Jahren 750 Millionen Euro für die Kliniken bereitstellen. Für die Pflegekräfte braucht es nach Ansicht der Partei bessere Entlohnung und flächendeckende Tarifverträge. Cannabis soll legalisiert und Unterstützungsstrukturen für suchtkranke Menschen sollen geschaffen werden.

SPD

Die SPD will die öffentliche Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung für alle, auch Beamte und Selbstständige, weiterentwickeln. In die Modernisierung der Krankenhäuser sollen nach dem Willen der Partei zusätzliche 600 Millionen Euro fließen. Eine Privatisierung der Unikliniken lehnt sie ab. Die SPD will ein landesweites digitales Erste-Hilfe-Alarmierungssystem einführen. Ein weiterer Rettungshubschrauber soll zudem im Norden des Landes die Notfallversorgung sicherstellen. Im Bereich Pflege will die SPD eine Pflegevollversicherung schaffen. Innerhalb des Gesundheitsministeriums soll ein Zentrum für Digitalisierung etabliert werden. An den Schulen sollen Schulgesundheitsfachkräfte eingesetzt und Erste-Hilfe-Unterricht eingeführt werden. Die SPD strebt einen allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag Soziales an. Die Gesundheitsämter sollen personell verstärkt, die Arbeitsbedingungen von Hebammen verbessert werden.

GRÜNE

Die Grünen wollen alle Krankenhausstandorte in Sachsen-Anhalt erhalten, aber grundlegend umstrukturieren. Über eine Basisversorgung hinaus sollen die Kliniken Schwerpunkte ausbilden. Wie das genau aussieht, soll ein Runder Tisch erarbeiten. Um die Versorgung auf dem Land sicherzustellen, sollen alle Stellen im Gesundheitsbereich stärker zusammenarbeiten. So könnten nach dem Willen der Grünen Pflegekräfte künftig auch hausärztliche Aufgaben übernehmen. Mobile Praxisassistentinnen und -assistenten könnten nach Vorstellung der Partei im Auftrag der Hausärztinnen und -ärzte Menschen zu Hause versorgen. Das Land soll den Aufbau von "multiprofessionellen Gesundheitszentren" unterstützen. In einem Modellprojekt möchten die Grünen dort "Community Health Nurses" einsetzen, die Gesundheitsangebote für die Bürgerinnen und Bürger koordinieren. Die Partei schlägt zudem ein Landeszentrum für angewandte Telemedizin und –pflege vor. Die Grünen möchten zudem den Hebammenberuf weiter fördern, Schwangerschaftskonfliktberatungen vollständig staatlich finanzieren und in der Drogenpolitik Konsumräume für Abhängige erproben. Die Ausbildung in allen Pflege-, Heil- und Therapieberufen soll schulgeldfrei sein.

FDP

Die FDP möchte den Landeskrankenhausplan überarbeiten. Einerseits soll eine ortsnahe Grundversorgung, etwa bei der Geburtshilfe, sichergestellt werden. Andererseits sollen Schwerpunktkliniken ausgewiesen werden. Eine Rekommunalisierung von Kliniken lehnt die FDP ab. Stattdessen hält die Partei eine Mischung von unterschiedlichen Eigentumsformen für sinnvoll. Bei der ärztlichen Versorgung auf dem Land wollen die Liberalen bisherige Modellversuche ausweiten, nach denen eine Praxis jede Woche mit einem Spezialisten einer anderen Fachrichtung besetzt ist. Die Partei will sich dafür einsetzen, möglichst viele im Land ausgebildete Ärztinnen und Ärzte auch in Sachsen-Anhalt zu halten. Pflege soll selbstbestimmter werden, sowohl für Pflegebedürftige als auch deren Angehörige. Um eine bessere Versorgung zu erreichen, soll es zu einem "Professionen-Mix" im Gesundheitswesen kommen. So könnten anstelle von Ärzten speziell geschulte Pfleger einen Beitrag bei der Behandlung chronisch kranker oder immobiler Menschen leisten.

Heike Lippert biegt auf das Gelände der Sozialstation und parkt ihren Kleinwagen rückwärts in einer der wenigen freien Parklücken. Sie geht zum Kofferraum und wirft sich eine rote Tasche über die Schulter. Feierabend hat die 55-Jährige noch nicht. Der bürokratische Teil ihres Jobs folgt jetzt noch. Erst morgen früh wird sie wieder bei ihren Patienten sein. Bei Horst Hartung, Ingeborg Tandetzki und all den anderen.

Hintergründe und Aktuelles zur Landtagswahl – unser multimediales Update

In unserem Update zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt geben unsere Redakteure einen Überblick über die wichtigsten politischen Entwicklungen – und ordnen sie ein.

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MDR/Marc Burgemeister, Manuel Mohr, David Muschenich, Luca Deutschländer

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 01. Mai 2021 | 19:00 Uhr

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