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EKD Synode"Sieg ist kein Frieden" – evangelische Kirche streitet über Waffenlieferungen in Ukraine

05. November 2022, 17:35 Uhr

Die evangelische Kirche streitet über Waffenlieferungen in die Ukraine. Ausgelöst hat den Konflikt der Magdeburger Bischof Friedrich Kramer. Er ist Friedensbeuaftragter und musste für seine Haltung gegen Waffenlieferungen viel Kritik einstecken. Auf der Synode, die am Sonntag in Magdeburg beginnt, wird das Thema diskutiert werden. Im Gespräch mit unserem Reporter Uli Wittstock bestätigte Kramer seine Haltung.

Am Sonntag beginnt in Magdeburg die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das ist das Kirchenparlament, welches die Interessen von knapp zwanzig Millionen evangelischer Christen in Deutschland vertritt. Ein Thema wird die Haltung der Kirche zum Ukrainekrieg sein, denn da gibt es Streit.

Angestoßen hat ihn der Magdeburger Bischof Friedrich Kramer hat mit seiner Kritik am deutschen Regierungskurs. Als Friedensbeauftrager der EKD hat Kramers Haltung zum Ukraine-Krieg in den Kirchen Gewicht. Gleichwohl gibt es an seiner Position erhebliche Kritik, auch innerhalb der Kirche. Kurz vor Beginn der Synode hat Kramer im Gespräch mit unserem Reporter seine Haltung noch einmal bestätigt.

Friedensbeauftragter Friedrich Kramer bestätigt Haltung zum Ukraine-Krieg

"Wenn du plötzlich in einer Hurra-Kriegsstimmung bist, bist du nicht mehr im Kontext kirchlicher Friedensethik", sagt Friedrich Kramer. Kramer ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hat als Jugendlicher selbst erlebt, wie sich in den 1980er-Jahren in Ost und West kirchlicher Widerstand formierte, gegen die damaligen Aufrüstungspläne.

Friedrich Kramer, Landesbischof und Friedensbeauftragter der EKD, steckt für seine Haltung viel Kritik ein. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Was sich damals kaum jemand vorstellen konnte, ist aber inzwischen Realität geworden: Es wird in Europa wieder bombardiert, geschossen und gestorben. Dass Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, steht auch für Friedrich Kramer fest, doch fragt er eben auch nach den Konsequenzen, jenseits militärischer Logik.

Kramer gegen Waffenlieferungen

Bereits sehr früh hat Friedrich Kramer die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert. "Echten Frieden kann man nicht mit Waffen schaffen", sagt Kramer und räumt jedoch zugleich ein, dass die Ukrainer ein Recht auf Selbstverteidigung hätten.

Echten Frieden kann man nicht mit Waffen schaffen.

Friedensbeauftragter Friedrich Kramer

Denn ein ungerechter Frieden sei ja auch keine Option: "Man kann nicht einfach sagen: Dumm gelaufen. Jetzt ist die Hälfte des Landes weg. Aber trotzdem kostet jeder Tag, an dem gekämpft wird, hunderte von Menschenleben, zivile wie militärische Opfer."

Doch darauf zu setzen, dass Waffenlieferungen die Probleme lösen würden, hält Kramer für eine Illusion. Er hingegen schlägt diplomatische Initiativen vor, zum Beispiel im UN-Sicherheitsrat: "Wo sind denn die deutschen Vorschläge im Sicherheitsrat? Der Artikel 51 der UN Charta sagt deutlich: Es gibt ein Selbstverteidigungsrecht, bis der Sicherheitsrat geeignete Maßnahmen ergreift. Dass Russland die nicht vorschlagen wird und dass Russland und China so etwas behindert werden, ist klar. Aber wo sind denn wenigstens die Vorschläge?" Das Instrumentarium sei vorhanden, so Kramer, Schaffung entmilitarisierter Zonen und der Einsatz von Blauhelmen, etwa aus Afrika.

"Deutschland hat eine besondere Verantwortung"

Im letzten Weltkrieg starben 27 Millionen Menschen der damaligen Sowjetunion im Angriffskrieg der Deutschen. Auch deshalb hätte Deutschland eine besondere Verantwortung in diesem Konflikt, so Kramer: "Wir wissen, dass Angriffskriege ein großer Fehler sind. Wir haben das schon zweimal versucht und könnten uns mit dieser Erfahrung auch stärker international positionieren."

Zumal viele Konflikte gezeigt hätten, dass sie völlig entgleisen können, vom 30-jährigen Krieg bis hin zu den mörderischen Auseinandersetzungen der letzten hundert Jahre. "Es kann sein, dass wir in 20 Jahren immer noch über diesen Krieg in der Ukraine reden und dann dort nur Mondlandschaften vorhanden sind. Das alles wissen wir nicht, und es kann auch keiner mit Sicherheit sagen."

Derzeit bestimmten hierzulande vor allem militärische Berichte die Debatte über den Krieg, verbunden mit einer gefährlichen Hoffnung. "Manche träumen jetzt von einem Siegfrieden. Ich bin da sehr skeptisch, auch wegen der Folgen. Wir haben erlebt, wie Deutschland im Ersten Weltkrieg besiegt wurde und wie unklug man danach gehandelt hat. Da hat man den Keim für den nächsten Krieg gelegt."

Rückfall in alte Feindbilder?

Dass in schwierigen Zeiten auf bewährte Denkmuster zurückgegriffen werde, sei nicht neu. Da würden ideologische Versatzstücke abgestaubt und erneut ins politische Schaufenster gestellt, zum Teil auch missbraucht, wie es derzeit montags in Sachsen-Anhalt zu beobachten sei.

"Wenn Obernazis durch unsere Städte laufen und rufen: 'Frieden schaffen ohne Waffen' – dann fragt man sich schon, in welchem Film man gerade ist. Denn sonst sind die ja keine Anhänger der Gewaltfreiheit. Da wird also ganz bewusst mit Stimmungslagen Politik gemacht."

Und es kommt aus pazifistischer Sicht noch ein weiteres Thema in den Blick, nämlich das der doppelten Standards: "Wenn ein völkerrechtswidrig überfallenes Land das Recht auf Waffen aus Deutschland hat, dann hätten wir ja auch Waffen an Vietnam liefern müssen et cetera et cetera. Mit diesem Argument kommen wir sehr schnell in ein schwieriges Fahrwasser."

Was dann gerne als Antiamerikanismus abgetan werde, sei aber nur die Forderung nach weltweit gleichen Rechten. Wenn es darum gehe die Werte Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit auszubalancieren, dürfe es keine Unterschiede geben, egal in welcher Region und mit welchen Beteiligten die Konflikte ausgetragen werden.

Skepsis statt Siegestaumel

Dass derzeit so gut wie gar nicht über eine Zeit nach dem Ukrainekrieg geredet werde, ist aus Sicht von Friedrich Kramer auch ein Zeichen falscher politischer Prioritäten. Das habe auch etwas damit zu tun, dass die Generation, die in Europa den letzten großen Krieg erlebt habe, allmählich aussterbe. Die große Mahnung: "Nie wieder Krieg", die sich über den Trümmerfeldern Europas erhob, scheint inzwischen an Strahlkraft verloren zu haben.

Die große Mahnung: 'Nie wieder Krieg', die sich über den Trümmerfeldern Europas erhob, scheint inzwischen an Strahlkraft verloren zu haben.

Friedrich Kramer, Bischof

"Ich glaube, es gibt eine neue Idee der Führbarkeit von Kriegen. Es gibt eine nüchterne Politik aber kein Grunderschrecken mehr, wenn es darum geht, deutsche Waffen in Kriegsgebiete zu exportieren." Dass er mir diesen Thesen auf der Synode in Magdeburg nicht nur Zustimmung ernten wird, ist Friedrich Kramer klar, doch der Friedensbeauftragte verweist auf die Bibel: Gewaltlosigkeit sei ein wichtiges Thema im Neuen Testament.

MDR (Ulrich Wittstock, Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. November 2022 | 10:00 Uhr

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