Tierschutzbund zeichnet düstere Zukunft"Kastrationspflicht – und zwar dringend": Tierschützer schlagen Alarm
Tierschutzvereine kümmern sich in vielen Kommunen in Sachsen-Anhalt darum, dass Straßenkatzen kastriert und gekennzeichnet werden. Das Land bezuschusst die Vereine dabei, in diesem Jahr mit voraussichtlich etwa 100.000 Euro. Ob das reicht, um über fehlende Helfer hinwegzusehen, ist fraglich. Rudolf Giersch, Landesvorsitzender des Tierschutzbunds in Sachsen-Anhalt, spricht über die schwierige Arbeit mit Streunern.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Giersch, grundsätzlich gefragt: Wenn ich im Frühling zwei Katzen habe – eine männliche und eine weibliche, beide nicht kastriert: Wie viele Katzen habe ich dann ein Jahr später?
Rudolf Giersch: Katzen können zwei Mal im Jahr trächtig werden. Es werden dann tatsächlich sehr viel, sehr schnell, mehr Straßenkatzen. Das geht relativ fix.
Was bedeutet das für die Tiere, wenn die Population steigt?
Diese unkontrollierte Ausbreitung geht ja auch nur bis zu einem gewissen Grad. Das heißt: Die Tiere gehen auf Wanderschaft, um andere, nicht besetzten Gebiete wieder zu beleben. Und alles das, was wir eben als Tierschutzvereine und als Tierschützer getan haben, würde damit zunichte gemacht. Die Reviere, die vorher frei waren, werden relativ schnell wieder besetzt.
Sind Straßenkatzen ein Problem in Sachsen-Anhalt?
Was heißt Problem? Ein Problem für die Allgemeinheit im Großen und Ganzen? Erstmal nicht. Wir leben in erster Linie den Tierschutzgedanken und das ist es ja, was zählt. Die Tiere, die weder medizinisch noch ernährungstechnisch vernünftig versorgt werden, werden krank. Das Tierleid selbst steht im Vordergrund.
Jetzt könnte man ja sagen: Das sind Katzen: Die können auch auf sich allein gestellt überleben...
Die Katzen, die wir als Freigänger oder als Katzen, die in Freiheit leben, bezeichnen, sind keine Wildkatzen. Das sind keine Wildtiere. Es sind alles Nachfahren von Katzen, die in menschlicher Umgebung groß geworden sind und in der freien Natur nur bedingt überleben können. Die fressen dann Mäuse oder Vögel. Aber da wir ja Tierschützer sind, geht es uns natürlich auch um die Tiere insgesamt. Da geht es nicht nur um die Katze.
Nun bemühen sich ja die Kommunen, aber vor allem aber eben die Tierschutzvereine und die Tierheime, dass die Population an Straßenkatzen nicht überhand nimmt. Wie arbeiten Tierheime, Tierschutzvereine und Städte zusammen?
Es funktioniert sehr unterschiedlich. Es gibt Kommunen, die das Problem kennen, sehen und natürlich auch in gewisser Art und Weise auch die rechtlichen Hintergründe kennen und auch dementsprechend handeln. Aber das ist leider nicht die Masse. Es gibt Ordnungsämter, die sagen: Ach, das erledigt sich alles von alleine. Es kostet bloß Geld. Und da haben wir auch nichts im Haushalt.
Helfer von Tierheimen, Tierschutzvereinen bringen Straßenkatzen zum Tierarzt, kümmern sich darum, dass die Tiere kastriert werden. Wie viel Ehrenamt steckt da drin?
Ohne Ehrenamt geht es nicht. Und da sind wir eigentlich schon in beim Problem. Ich denke, ich sage Ihnen nichts neues: Es fehlt an Ehrenamtlichen. Das gibt es auch in anderen Vereinen. Im Tierschutz aber besonders. Wenn im Tierschutz die Tiere nicht versorgt werden können – Kastration, das Einfangen von kranken Katzen –, wenn das dann liegen bleibt, ist es ein Riesenproblem für die Allgemeinheit. Wir haben ja den Tierschutz im Grundgesetz verankert.
Wenn im Tierschutz die Tiere nicht versorgt werden [...], ist das ein Riesenproblem für die Allgemeinheit.
Rudolf Giersch | Tierschutzbund Sachsen-Anhalt
Wie sieht es denn aus mit den Ehrenamtlichen in den Tierheimen?
Es kommt zu wenig an Jugend nach. Die uns auch ablösen sollen und wollen. Wir wollen ja auch mal unser Wissen weitergeben. Da gibt es Damen, die wirklich jeden Tag von morgens bis abends am Machen. Aber wenn die nach und nach ausscheiden? Da kommt nichts nach. In diesen Regionen fällt ein Tierschutzverein dann komplett weg. Das ist die Problematik, die wir versuchen, auch gegenüber dem Minister und der Politik, rüberzubringen. Dass hier ganz dringend Handlungsbedarf besteht, dass man endlich dazu übergehen muss, dass nicht nur die Freiwilligkeit und nicht nur das Ehrenamt zählt, sondern dass man mindestens einen gewissen Anteil an festangestellten Lohnkosten mit zu übernehmen hat, damit die Arbeit im Tierheim abgesichert ist. Wenn alles nur auf dem Ehrenamt beruhen soll, ist irgendwann Feierabend.
Das Land unterstützt seit ein paar Jahren den Tierschutz dabei, Straßenkatzen zu kennzeichnen und zu kastrieren. Voraussichtlich sollen in diesem Jahr 100.000 Euro dafür bereit stehen. Reicht das aus?
Definitiv nicht. Das liegt einfach daran, dass die Gewissheit, dass das Geld zur Verfügung steht, ja relativ spät kommt. Das liegt am Haushalt. Der muss erst beschlossen werden. Das heißt also, wir sind unter Umständen in der Mitte dieses Jahres. Die erste Generation, der erste Nachwuchs des Jahres, ist dann erstmal komplett dahingegangen. Dieses erste halbe Jahr fehlt uns schon mal, um wirklich tätig zu werden. Und da sind wir sehr schnell schon am Ende des Jahres, wo es heißt: Jetzt müssen wir auch schon wieder mal abrechnen. Viele Tierschutzvereine können es dann gar nicht leisten, in erhöhter Zahl im letzten halben Jahr tätig zu werden.
Wenn alles nur auf dem Ehrenamt beruhen soll, ist irgendwann Feierabend.
Rudolf Giersch | Tierschutzbund Sachsen-Anhalt
Macht eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen Sinn?
Ja. Dafür stehen wir ein, das versuchen wir auch auf der Ebene Politik rüber zu bringen. Aber genau da wird sich eben auch gesperrt. Und da haben wir auch die Probleme, wenn wir diese Kastrationsaktionen machen. Wenn wir die Kastrationen über die Presse bekannt geben und es ist eine Katze mit dabei, die spazieren geht, dann mit kastriert wird. Da hatten wir schon vielfach ganz, ganz böse Gerichtsverfahren und Ähnliches. Das sind die Probleme, die muss man ganz schnell lösen. Also Kastrationspflicht generell, das ist das, was wir ganz dringend benötigen.
Die Fragen stellte Tom Gräbe.
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MDR (Tom Gräbe)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. Februar 2023 | 19:00 Uhr
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