Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
In Halle wurde im vergangenen Monat eine neue Folge "Polizeiruf 110" gedreht. Bildrechte: MDR/Felix Abraham

Nach Haseloff-AussagenTäglich Mord und Totschlag – ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu blutrünstig?

14. Mai 2023, 13:57 Uhr

Krimis gibt es in allen Bundesländern. So kommt man wöchentlich auf eine ordentliche Summe Leichen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident hat die hohe Mordrate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kritisiert. Doch die Leute gucken. Im deutschen Fernsehkrimi funktionieren die Kategorien Gut und Böse noch. Eine Einschätzung von Uli Wittstock.

Streift man abends nach 18 Uhr durch die menschenleeren Straßen der Dörfer, fühlt man sich in die Bronx der Siebzigerjahre zurückversetzt: Sirenengeheul und Schusswechsel an jeder Straßenecke. In Deckung gehen muss aber niemand, denn der Krimilärm dröhnt aus zu lauten Fernsehgeräten auf die Straße.

Von der Hafenkante bis in den letzten Alpengipfel liegen täglich Tote in öffentlich-rechtlichen Filmsets herum. Sie sind Anlass für schlecht gelaunte Ermittlerinnen und Ermittler, die zumeist an ihrer eigenen Existenz sowie der ihrer Mitmenschen leiden. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kritisiert, dass es jährlich rund eintausend Tote seien, die da in ARD und ZDF als "Programmleichen" für Einschaltquoten sorgen sollen.

Der Krimi als Heimatstube

Die Ermittlerteams sind übrigens sehr föderal über die Republik verteilt. Keine Region wird übersehen, ob Hunsrück oder Harz. Es scheint eine Art Recht auf regionalen Mord zu geben. Und wehe, ein Ermittlerteam scheidet aus. Zu erinnern wäre da an die Debatte, nachdem in Halle die Kommissare Schmücke und Schneider außer Dienst gingen.

Ebenso groß war der Lokalpatriotismus in Magdeburg, als der Polizeiruf hier nun endlich mit eigenen Leichenfunden das Fernsehprogramm bevölkern durfte. Ein Ermittlerteam ist offenbar ebenso wichtig wie ein ICE-Anschluss, als müsse sich der großstädtische Charakter einer Region auch in einem gewissen abendlichen Blutzoll spiegeln.

Das weiß natürlich auch der Ministerpräsident. Hätte er nämlich das Ende der Polizeirufe in Magdeburg und Halle gefordert, um mit gutem Beispiel voranzugehen, so wäre das wohl sicherlich nicht ohne Protest geblieben. Im Übrigen könnte man in den Krimis auch einen Beitrag zum deutsch-deutschen Zusammenwachsen sehen. Wenn noch immer jeder sechste Westdeutsche noch nie im Osten war, so lernt er ihn immerhin zur besten Sendezeit kennen, wenn auch nur aus den toten Augen eines Mordopfers.           

Kochshows und Krimikult

Bestimmte Serien und Shows hätte es wohl vor einigen Jahrzehnten so noch nicht gegeben. Erst seitdem in Deutschland fast die Hälfte der Menschen eher selten kochen, steigt das Interesse an Kochbüchern und Shows. Und auch für den Tod gilt, dass zwar noch immer täglich gestorben wird, allerdings nicht wie einst in den Familien, sondern in Krankenhäusern oder Pflegeheimen.

Zugleich zeigt sich, dass Länder mit wenig sozialen Spannungen, wie etwa Schweden oder Norwegen, die blutigsten Fernsehkrimis produzieren. Es scheint eine Art schauerliche Lust an der Faszination des Todes zu geben, die umso größer wird, je weltferner der Tod scheint. Einerseits haben wir den Tod aus unserem Alltag verbannt, andererseits möchten wir uns mit ihm beschäftigen, allerdings aus der sicheren Distanz einer Mattscheibe. Das Schöne am Krimi ist ja, dass immer die anderen sterben.        

Heile Welt in Gut und Böse

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es politisch immer schwieriger wird, Antworten zu finden, die der komplexen Weltlage mit einfachen Worten gerecht werden. Das zeigen beispielhaft die aktuellen Debatten darum, wie auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert werden sollte. Der deutsche Fernsehkrimi ist ein Ort, in dem die Kategorien Gut und Böse noch funktionieren und moralische Fragen stellvertretend ausgehandelt werden. Das führt gelegentlich zu Drehbüchern, denen man ihren aufklärerischen Anspruch nach fünf Sendeminuten bereits anmerkt, doch das Bemühen, den deutschen Alltag im Film abzubilden, kann durchaus gelingen. Ob es dazu täglich Leichen braucht, kann durchaus hinterfragt werden.

Allerdings kritisiert Haseloff nicht nur die vielen Leichen im Programm, sondern auch den Wunsch der Anstalten nach Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Finanziell gesehen wirken sich Filmleichen jedoch eher beitragsschonend aus. Ihre Auftritte sind meist keine Sprechrollen und beschränken sich auf ein paar Augenblicke, zumal ein Liter Filmblut weniger als einhundert Euro kostet.

Solange also die öffentlich-rechtlichen keine Splattermovies produzieren, dürften das Beitragsargument in Bezug auf Filmleichen zu vernachlässigen sein. Im Zweifelsfall könnte man auch mehr Giftmorde in die Drehbücher schreiben. Das spart Filmblut.

MDR (Uli Wittstock)