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Malerisch schön: die Hansestadt Werben punktet bei vielen Radfahrern auf dem Elberadweg mit ihrem erhaltenen mittelalterlichen Altstadtkern. Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Querschnitt: KulturWerben: Kleine Hansestadt stemmt sich gegen das Aussterben

29. Juli 2022, 18:20 Uhr

"Querschnitt: Kultur" – MDR SACHSEN-ANHALT und MDR KULTUR erkunden in dieser Woche fünf besondere Kultur-Orte in Sachsen-Anhalt – und erklären, welche Bedeutung sie für die Region haben. Am fünften und letzten Tag ihrer Reise waren die Reporter in der Hansestadt Werben in der Altmark zu Gast – und haben erfahren, wie es das Städtchen schafft, sich gegen den Trend des aussterbenden ländlichen Raums zu stemmen.

Steffi Wübbenhorst schält Möhre um Möhre, dann zieht sie mit einem Messer gekonnt die Haut einer Zwiebel ab. Auf der Arbeitsfläche vor ihr liegen Tomaten auf einem Blech. Es duftet köstlich in der kleinen Küche. Wübbenhorst und ihr Kollege bereiten das Mittagsangebot vor. "Gemüsequiche zu Salat", steht auf der Karte am Eingang des kleinen "Café Lämpel". Steffi Wübbenhorst ist hier die Neue.

Die Gastronomin lebt und arbeitet eigentlich in Potsdam. Seit diesem Sommer aber ist die Altmärkerin wieder näher an ihre Heimat gerückt, zumindest ein paar Tage in der Woche. Die gebürtige Seehäuserin ist die neue Pächterin hier im "Café Lämpel". Donnerstags bis sonntags haben sie hier geöffnet. Es gibt frisch gemahlenen Kaffee, selbst gebackenen Kuchen und frisches Mittagessen. Selbstverständlich ist das nicht. Denn das "Café Lämpel" liegt in Werben, der kleinen Hansestadt im nordöstlichen Zipfel Sachsen-Anhalts, Brandenburg in Sichtweite.

Werben stemmt sich gegen den Trend

Die Altmark, der für gewöhnlich nachgesagt wird, ein aussterbendes Fleckchen Erde zu sein, kann auch anders. Es gibt viele Beispiele dafür. Das der Hansestadt Werben aber sticht hervor. Wo zuletzt noch der Arbeitskreis Werbener Altstadt das Café ehrenamtlich am Laufen gehalten hatte, gibt es in diesem Jahr erstmals eine Pächterin. "Der Betrieb jetzt in den Sommerferien ist gut angelaufen", erzählt die Gastronomin. Die Einheimischen kommen, vor allem aber die Touristen.

Die Geschichte des "Café Lämpel" ist ein Beispiel für das, was sich in Werben seit Jahren tut – entgegen aller Trends, mit denen der ländliche Raum zu kämpfen hat. Im Falle des Cafés lief das so: Das Gebäude gegenüber der geschichtsträchtigen St. Johanniskirche, früher mal Knabenschule, stand lange leer und verfiel. Dann kaufte es der Arbeitskreis Werbener Altstadt, um es weitgehend in Eigenregie zu restaurieren. Entstanden ist ein Kleinod im Biedermeier-Stil, das seit diesem Sommer als Café verpachtet ist.

Bernd Schulze bestätigt den Trend. Schulze, von Beruf eigentlich Bauunternehmer, ist hier der Bürgermeister. "Wo jetzt das Café ist, war nix mehr", erinnert er sich. "Den Boden, auf dem wir gerade stehen, gab es nicht." Heute beobachtet auch der Kommunalpolitiker, wie gut das Café Werben tut. Die älteren Damen aus Werben treffen sich hier, die Touristen sind sowieso immer auf der Suche nach einem Ort, an dem es Kaffee gibt. Und die täglich geöffnete Kirche gegenüber trägt natürlich auch ihren Teil dazu bei, dass sich Gastronomie hier rechnet.

Bernd Schulze will das, was sich tut in Werben, aber nicht allein auf das Engagement des Arbeitskreises zurückführen. "Ohne den hätten wir hier lauter Baulücken", räumt er zwar ein – führt dann aber aus, was sich auch an anderer Stelle tut. Ein Beispiel? Der Campingplatz am Stadtrand, gelegen direkt am Elberadweg. "Haben wir mit Leader-Fördergeld saniert", sagt er. "Im April hat ein privater Betreiber übernommen. Der Platz ist rappelvoll." Bernd Schulze freut das – auch, weil das Schwimmbad am Campingplatz davon profitiert und davon wiederum das Städtchen Werben. "Viele vergessen, wie wichtig die Daseinsvorsorge ist", sagt der Rathauschef.

Biedermeier-Märkte locken viele Gäste nach Werben

Und dann sind da ja noch die Biedermeier-Märkte. Zwei gibt es im Jahr, einen im Sommer, einen kurz vor Weihnachten. Die Menschen kommen aus ganz Deutschland. Es sind so viele, dass dem kleinen Städtchen an der Elbe regelmäßig die Parkplätze fehlen. Und hier kommt dann doch wieder der Arbeitskreis ins Spiel. Er veranstaltet die Märkte, seit mehr als 15 Jahren schon. Jochen Großmann ist seit diesem Jahr der Vorsitzende des Arbeitskreises. Der 63-Jährige, im Hauptberuf Professor für Gesang an der Universität der Künste in Berlin, hat das Städtchen Werben vor sieben Jahren für sich entdeckt. Damals schwärmte ein Kollege von der Schönheit der kleinsten Hansestadt Europas.

Großmann kam dann mal durch Zufall vorbei. Und verliebte sich. Seit 2015 besitzt er zwei kleine Fachwerkhäuser in der Altstadt. Unter der Woche ist er in Berlin, seine Wochenenden verbringt er in Werben. Und den Sommer sowieso. Großmann kann den geschichtlichen Abriss der 1.005 erstmals erwähnten Hansestadt aus dem Effeff aufzählen. Und er weiß um die Bedeutung, die der Tourismus für Werben hat. "Glücklicherweise führt hier der Elberadweg entlang", sagt Großmann. Das mache sich vor allem jetzt im Sommer positiv bemerkbar. Allein in der Kirche haben sie in guten Zeiten bis zu 7.000 Besucherinnen und Besucher erzählt. "Das ist schon nicht schlecht", sagt er.

Tourismusverband: Werben zieht bei den Gästen

Auch die, deren Job es ist, die Altmark touristisch zu vermarkten, wissen um die Vorzüge des kleinen Städtchens. Eine Sprecherin des Altmärkischen Tourismusverbandes richtet MDR SACHSEN-ANHALT schriftlich aus, Werben sei Teil verschiedener wichtiger touristischer Produkte. Dazu zähle neben dem Elberadweg auch der Altmarkrundkurs. Ohnehin wissen sie im Tourismusverband um das Pfund, das sie angesichts der wachsenden Bedeutung des Radtourismus haben – und versuchen, die Nachfrage zu bedienen. Die zunehmende Nutzung von E-Bikes erleichtere die Akquise neuer Zielgruppen, heißt es da. Und dass der Ausbau der Radwegeinfrastruktur zugenommen habe, auch wegen der höheren Qualitätsansprüche der Gäste.

Nun ist klar, dass Tourismus immer auch Auswirkungen auf das Leben der Einheimischen hat. Jochen Großmann, der Vorsitzende des Arbeitskreises, sieht es positiv: "Die Leute, die hier Häuser kaufen und sanieren lassen, beschäftigen Handwerker aus der Region. Und sie kaufen ein in dem Supermarkt, den wir hier zum Glück noch haben."

Dass das Interesse vor allem von Käufern aus Berlin Vorzüge hat, wird schnell deutlich: Denn wer mit Großmann durch Werben spaziert, hört von dem 63-Jährigen an jeder zweiten Ecke, welches Haus neulich erst wieder verkauft worden ist, oft an Menschen aus Berlin. "Wenn Sie aktuell ein Haus in Werben kaufen wollen, haben Sie keine Chance", sagt Großmann. Das ist bemerkenswert in einem kleinen Städtchen im ländlichen Raum. Denn klar ist: Auch Werben hat in den vergangenen Jahren Einwohnerinnen und Einwohner verloren. Prozentual fällt der Rückgang nach Zahlen des Statistischen Landesamtes sogar weitaus stärker aus als im Landkreis Stendal insgesamt.

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Doch Bürgermeister Bernd Schulze hat am Freitag eine ganz frische Zahl mitgebracht, die zusätzlich Hoffnung macht. Von 998 Menschen berichtet er, die ihren Hauptwohnsitz jetzt in Werben haben. Dass mehr als 20 Vereine das Städtchen beleben, ist angesichts dessen Größe auch alles andere als selbstverständlich.

Sorgen haben sie hier trotzdem: Die Kita besuchen zu wenige Kinder. Der Altersdurchschnitt derer, die hier leben, ist wie überall sonst im ländlichen Raum hoch. Und ein bisschen Wertschätzung für das, was sie hier machen, wäre auch angebracht, findet Bürgermeister Schulze. "Politik", sagt er und meint Magdeburg, Berlin und Co., "verlässt sich auf das soziale Engagement. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich so viele Leute hier engagieren."

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Diesem Engagement ist es wohl auch zu verdanken, dass sich die Infrastruktur in Werben sehen lassen kann. Der kleine Blumenladen, die Physiotherapiepraxis, die Gaststätten und Hotels, der Kanu-Verleih – jetzt im Sommer haben sie hier alle gut zu tun. Das gilt auch für die Bauarbeiter, die rund um den Marktplatz gerade Breitband verlegen. "Endlich", wie der Bürgermeister sagt. Und auch am "Café Lämpel" gegenüber der Kirche gibt es schon Pläne für die Zukunft. Im Obergeschoss will der Arbeitskreis Werbener Altstadt eine Wohnung einrichten – für Touristen und die Beschicker der Biedermeier-Märkte.

"Wir finden schon etwas zu tun", sagt Jochen Großmann und lacht. Draußen, vor dem Café, fahren währenddessen ein Mann und eine Frau mit ihren Rädern vor. "Kaffee?", fragt der Tourist in gebrochenem Deutsch. "Kaffee gut", antwortet Großmann. Dann schließen die Touristen ihre Räder ab und gehen rein ins Café.

Mit diesem Bericht endet "Querschnitt: Kultur" von MDR KULTUR und MDR SACHSEN-ANHALT.

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MDR (Florian Leue, Luca Deutschländer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. Juli 2022 | 08:50 Uhr

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