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"Der Ludecus": Das Offizienbuch des damaligen Domdechants und Juristen Matthäus Ludecus kann digitalisiert werden – und für Forschende weltweit wertvoll sein. Bildrechte: Prignitzmuseum Havelberg

Rettung von KulturgutScanner bewahrt alte Bücher und Briefe in Havelberg

17. April 2024, 16:11 Uhr

In vielen privaten und öffentlichen Archiven drohen historische Bücher, Papiere und Fotos zu verfallen. Der Landesheimatbund und der Museumsverband Sachsen-Anhalt verleihen deshalb einen übergroßen Scanner an Museen, Vereine und Privatpersonen. Er soll helfen, wertvolle Dokumente für die Nachwelt zu erhalten: Im Prignitzmuseum Havelberg werden mit dem Gerät derzeit Bücher aus dem 16. Jahrhundert digitalisiert.

Das Offizienbuch des Matthäus Ludecus ist ein halbes Jahrtausend alt. Es stammt aus dem Jahr 1589. Der damalige Dechant des Havelberger Doms hat es selbst geschrieben. Das dicke Exemplar, welches das Prignitzmuseum Havelberg in seinem Bestand hat, verfügt über kleine, gekritzelte Anmerkungen des Autors – ein Schatz, nicht nur für die Sammlung in Havelberg, sondern auch für Forschende zur europäischen Kirchengeschichte. Doch in fremde Hände geben kann die Leiterin des Prignitzmuseums, Antje Reichel, den übergroßen Wälzer nicht. Dafür ist das Buch einfach schon zu alt, zu mitgenommen, zu wertvoll.

Reichel wird den "Ludecus" digitalisieren – mit Hilfe einer besonderen technischen Leihgabe, die dieser Tage im Museum eintraf. Der Scanner im Format A3 wird vom Landesheimatbund und dem Museumsverband Sachsen-Anhalt durch die Museen geschickt. Wertvolle historische Dokumente sollen digitalisiert, die Originale verschont werden, die Dateien aber dennoch der Forschung zur Verfügung stehen.

Diplom-Ingenieur Falk Mättig hat den A3-Scanner im Havelberger Prignitzmuseum eingerichtet. Bildrechte: Prignitzmuseum Havelberg

Auch Heimatvereine und Chronisten können den Scanner nutzen

Das gilt allerdings nicht nur für Museumsbestände wie denen des Prignitzmuseums. Das Angebot, Dokumente einzuscannen und damit zu bewahren, richtet sich in der jeweiligen Region auch an Vereine, Organisationen und Chronisten. Viele regionale Chroniken, sagt der Geschäftsführer des Landesheimatbundes, John Palatini, befänden sich nicht in Archiven, sondern in Privatbesitz. Gerade sie seien bedroht, verloren zu gehen, vergessen zu werden. Nachfahren würden sie oft nicht als wichtige Dokumente der Geschichte der Orte erkennen. Würden sie eingescannt, werden sie auf jeden Fall bewahrt.

Frank Ermer in Havelberg hat auf den übergroßen Scanner regelrecht gewartet. Er ist Vorsitzender des örtlichen Heimatvereins und forscht unter anderem zu dem Interniertenlager, das es zwischen 1914 und 1922 in der Stadt gab. Tausende Kriegsgefangene aus etlichen Ländern hätten damals Briefe geschrieben, meist an ihre Familien in den Heimatländern. Hunderte Briefe hat Ermer bereits in Vereinsbesitz. Die papiernen Zeugen sind etwa hundert Jahre alt und unter denkbar schwierigen Bedingungen entstanden.

Auch der im Interniertenlager Havelberg verstorbene indische Gefangene hat Post an seine Familie nach Hause geschickt. Ein Sprachkundiger kann nach der Digitalisierung leicht die Texte übersetzen. Bildrechte: Heimatverein Havelberg

Bei manchen ist das Briefpapier brüchig, bei anderen die Schrift verblasst – je öfter sie zu Forschungszwecken in die Hand genommen werden, desto mehr Schaden nehmen die Briefe peu à peu. Also werden sie jetzt mit dem A3-Scanner digitalisiert. Die Originale kommen später in ein sicheres Archiv. So können Sprachkundler sich anschließend daran machen, die Briefe zu übersetzen – die Korrespondenzen reichen von Russisch bis Indisch. Dazu steht Frank Ermer unter anderem mit einem Fachmann in Großbritannien in Verbindung, der nach der Digitalisierung der Briefe leicht Zugriff auf die Schreiben hat. Die Aufarbeitung der Geschichte des Interniertenlagers wird so immens erleichtert.

Digitalisiert werden auch Sport- und Alltagsaufnahmen

Hansi Hoffmann sucht nach Fotos etwas neueren Datums. Der Mann ist in Havelberg eine Institution. Früher aktiver Fußballer im örtlichen Sportverein, dann Vorsitzender desselben, jetzt Chronist. Zehn Bananenkisten voll Dokumente - Schreiben und Fotografien - hätte er gesammelt, sagt er. Doch: "Was passiert damit? Wird es mein Sohn halten oder nicht? Und da bin ich auf die Idee gekommen, alles digital unterzubringen."

Im Prignitzmuseum Havelberg blättert Hoffmann konzentriert große Foto-Alben durch. Sie stammen aus den 1960er bis 1980er Jahren und sind gefüllt mit Bildern aus allen Alltagsbereichen des Stadtlebens, auch mit solchen von Sportveranstaltungen. Findet Hansi Hoffmann ein Foto, das er noch nicht hat, kann er das unhandliche Fotoalbum recht bequem unter den A3-Scanner legen und die Entdeckung zusätzlich digitalisieren. So findet sie als Datei anschließend ganz leicht Eingang in seine Havelberger Fußball-Chronik.

Die Nachfrage nach dem Leihgerät ist groß

Acht Wochen lang können Museum, Vereine, Chronisten die Dienste des Scanners jetzt in Havelberg nutzen. Auch Privatleute, betont Museumsleiterin Antje Reichel. Manchmal sind Fotoalben von Familien für die Museumssammlung auch durchaus von Belang. Digitalisiert hätten auch die Museumsmitarbeiter Zugriff auf private Bilder, alte Zeitungsschnipsel, Urkunden, Dokumente.

Die Abrufzahlen zeigen, dass das absolut erfolgreich ist. Das sind hunderte, teilweise im Tausenderbereich liegende Zugriffszahlen auf diese Ortschroniken.

John Palatini, Geschäftsführer des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt

Gute Dienste geleistet hat der Scanner unter anderem schon im Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels, im Spengler-Museum Sangerhausen und im Kreismuseum Bitterfeld. Ein Ende seiner Reise ist nicht in Sicht, versichert John Palatini vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt. Man habe das Gerät ja extra für die Digitalisierung großer Dokumente angeschafft. Etliche Museen, Vereine und Chronisten hätten noch Bedarf angemeldet.

Quelle: MDR KULTUR (Katharina Häckl)
Redaktionelle Bearbeitung: tda, bh

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