Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

UchtspringeHinter Mauern und Stacheldraht: Alltag im Maßregelvollzug

18. April 2024, 09:26 Uhr

Menschen im Maßregelvollzug in Uchtspringe leben von der Gesellschaft ausgegrenzt und meist weggesperrt. Doch die Einrichtung ist kein Gefängnis, sondern vergleichbar mit einer Klinik. Wie der Alltag der Menschen hinter dicken Mauern und Stacheldraht aussieht, haben wir uns angeschaut.

Im zweiten der Teil der Serie begleitet MDR SACHSEN-ANHALT einen Tag lang den Pflegdienstleiter der forensischen Klinik.

Der Maßregelvollzug Uchtspringe für verurteilte Straftäter: Seit knapp drei Jahren ist Thomas M. dort. Es ist kein Gefängnis, sondern vergleichbar mit einer Klinik. Wer im Maßregelvollzug eingesperrt ist, wie Thomas M., hat ein psychisches Leiden und kommt erst dann raus, wenn er als ungefährlich für die Allgemeinheit gilt.

Thomas M. hilft dabei besonders die Musiktherapie: "Ich bin schon entspannter nach der Therapie, weil mir das viel bringt, diese eine Stunde." Besonders erstaunlich, diese eine Stunde hat ihn dazu befähigt, Lieder zu texten und zu komponieren. Dabei hatte er keine musikalische Vorbildung.

Die Musiktherapie in Uchtspringe hilft Menschen wie Thomas M. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Musiktherapie wirkt motivierend und heilsamDie Musiktherapie, die in Uchtspringe zum Einsatz kommt, ist deutschlandweit, wahrscheinlich sogar weltweit einzigartig. "Ich hab das ganz selten, dass jemand eine musikalische Vorbildung hat, es beschränkt sich höchstens darauf, dass jemand mal Lieder gesungen hat im Kinderheim oder in der Schule", berichtet die Musiktherapeutin, Geragogin und Pädagogin Sandra Sinsch-Gouffi. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie die Verurteilten in kürzester Zeit auch selbst zum Musizieren bringt. Über das, was die Profimusikerin, Echo-Klassik-Preisträgerin Sinsch-Gouffi leistet, gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien oder Aufzeichnungen. Sie selbst promoviert gerade zu dem Thema, um genau diese Wissenslücke zu schließen. Der stellvertretende ärztliche Direktor des Maßregelvollzugs Felix Schneider, unterstützt sie. "Weil wir festgestellt, dass viele Patienten speziell auf diese Musiktherapie positiv ansprechen, die vorher psychotherapeutisch kaum zu erreichen waren. Darüber sind wir sehr glücklich."

Tägliche Arbeit in der Großküche

Eine Kombination aus Drogen, Gewalt und Wahnvorstellung – deswegen ist Thomas M. im Maßregelvollzug und träumt von Freiheit: "Mich wieder frei bewegen zu können unter Menschen, auch arbeiten gehen zu können, einen geregelten Tagesablauf zu haben."

Um sein Ziel zu erreichen, arbeitet der 53-Jährige bereits täglich in einer Großküche auf dem Klinikgelände Uchtspringe, die auch den Maßregelvollzug beliefert. Dort ist Thomas M. mit Menschen zusammen, die außerhalb des Maßregelvollzugs ein ganz normales Leben führen. "Ich muss auch draußen ein geregeltes Leben führen und hier drinnen bekommt man das aus therapeutischen Gründen gut gelernt", erzählt Thomas. M. 

Cafeteria will auf Straftäter im Dienst nicht verzichten

Unter anderem kann er sich von der Cafeteria-Chefin Sylvia Mewes einiges abgucken und bei ihr lernen. Aber auch sie möchte auf die Straftäter im Dienstplan nicht verzichten: "Das sind wertvolle Menschen, die uns unterstützen und helfen, wir kriegen den Respekt auch zurück. Für uns sind das nur Menschen, die eine zweite Chance im Leben verdient haben." Thomas M. ist einer vor vier Mitarbeitern aus dem Maßregelvollzug. Das komplette Küchenteam besteht aus zwölf Mitarbeitenden. 

Zudem soll sich Sport positiv auf die Psyche auswirken und damit auf den Heilungsprozess. Deswegen gehören zum Maßregelvollzug ein Schwimmbad und eine Sporthalle. Zudem gibt es zahlreiche weitere Therapieangebote wie Ergotherapie, Psychotherapie oder verschiedene Arbeitstherapien mit Holz, Textil oder Ton. All das kostet im Schnitt 125.000 Euro im Jahr pro Straftäter für Unterbringung, Ärzte, Therapien und Pflege. Allein zum Pflegepersonal gehören mehr als 280 Vollzeitarbeitskräfte.

Blick in das Zimmer von Thomas M. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Verurteilte könnten schon vor Entlassung einkaufen gehen

Alle Therapie-Angebote sind dabei freiwillig, sogar die Einnahme von Arzneimitteln. Wer sie nehmen muss, aber ablehnt, bleibt definitiv länger drin. Das Pflegepersonal ist für die Medikamentengabe zuständig. "Mitunter gibt es Untergebrachte, die anfänglich viele Medikamente nehmen, bei denen aber eine gewisse Nachreifung erfolgt, wo man die Medikamente dann ausschleichen oder minimieren kann. Wir haben auch Untergebrachte, die uns ohne Medikamente verlassen", erklärt der Pflegeleiter des Maßregelvollzugs Uchtspringe.

Was dabei kaum einer draußen ahnt: Bereits vor ihrer Entlassung weilen die Verurteilten unter uns. Haben sie eine hohe Lockerungsstufe erreicht, so wie im Fall von Thomas M., dann können sie ohne Begleitung einkaufen. Das ist natürlich ganz streng und minutiös geregelt. Aber das selbstständige Einkaufen ist für Thomas M. ein wichtiger Schritt zurück in die Gesellschaft, in das ganz normale Leben außerhalb des Maßregelvollzugs.

Mehr zum Thema

MDR (Carina Emig, Felix Fahnert) | Erstmals veröffentlicht am 16.04.2024

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 15. April 2024 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen