Viele in TeilzeitImmer weniger Tierärzte in der Landwirtschaft
Immer weniger Tierärzte arbeiten für die Landwirtschaft. Schwere Arbeit, weite Wege, Dokumentationspflichten – Veterinäre gehen oft schon vor dem Rentenalter in den Ruhestand. Verglichen mit dem Bundestrend nehmen in Sachsen-Anhalt deutlich weniger neue Tierärzte ihre Arbeit auf. In einzelnen Regionen verzeichnet die Tierärztekammer bereits jetzt Personalmangel bei der Nutztierversorgung.
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45 Minuten braucht Dr. Dietrich Horrmann von seiner Praxis in Calbe an der Saale bis nach Tornau vor der Heide im optimalen Fall. Der Tierarzt aus dem Salzlandkreis betreut die 850 Milchkühe dort in der APH Hinsdorf und deren Kälber. Strecken, die viele seiner Kollegen in Kauf nehmen müssen, denn die Zahl der Tierärzte in der Landwirtschaft ist stark zurückgegangen.
Laut Tierärztekammer arbeiten gerade mal noch ein Viertel der Tierärzte von Anfang der 1990er Jahre ausschließlich in der Landwirtschaft. Viele Betriebe werden von Tierärzten mit Gemischtpraxen versorgt – so wie von Dietrich Horrmann. Doch selbst wenn man diese Allrounder hinzuzählt, sind gerade noch halbsoviel Tierärzte in der Landwirtschaft unterwegs wie 1990 – auch bei gesunkenen Tierbeständen ein Problem.
Tierarzt in Calbe versorgt alle Tierarten
Dietrich Horrmann versorgt in seiner Praxis in Calbe Hund, Katze, Kaninchen, Wellensittich, Exot, Ratte und Maus gleichermaßen. Daneben behandelt er Pferde und eben auch Rinder. Als er Ende der 1970er Jahre auf seinen Studienplatz an der Humboldt-Universität warten musste, arbeitete er selbst als Melker. Die Verbindung zur Landwirtschaft ist geblieben.
Die Arbeit mit den großen Tieren ist körperlich fordernd und nicht ungefährlich. Von einer Kuh getreten zu werden, kann nicht nur schmerzhaft sein, sondern auch ernsthafte Verletzungen mit sich bringen. Das weiß der Veterinär aus eigener Erfahrung.
Tierarzt muss 24 Stunden am Tag erreichbar sein
Dass immer weniger Tierärzte in der Landwirtschaft tätig sind, hat viele Gründe. "In der Ausbildung werden auch heute noch Klein- und Großtiere behandelt. Aber viele junge Tierärzte haben es nicht gern, dass man seine Hand auch mal in die Scheiße stecken muss", formuliert Dietrich Horrmann etwas scherzhaft und lässt seinen Arm bis zur Schulter in der Kuh verschwinden. Um festzustellen, ob sie trächtig ist.
Vor allem aber ist es eins: "Ein kleiner Satz mit vier Worten: 'Ich bin immer erreichbar'", fügt er hinzu und wird wieder ernst. "Wenn es in einem Betrieb nachts eine schwere Geburt gibt, dann müssen wir kommen. Egal, ob wir eine Feier haben oder etwas mit der Familie planen. Da bin ich stolz, dass ich das mit meinem Team über die Jahre immer gewährleisten konnte, egal ob für große Tiere oder für kleine. Aber das halten viele nicht lange durch."
Ein kleiner Satz mit vier Worten: 'Ich bin immer erreichbar'
Dr. Dietrich Horrmann
In Sachsen-Anhalt ist der Nachwuchs knapp
In Sachsen-Anhalt ist die Zahl der praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte in den letzten 20 Jahren gestiegen: Es gibt 23 Prozent mehr Tierärzte. Im Bundesdurchschnitt sind es 58 Prozent. Demzufolge gibt es zwischen Arendsee und Zeitz deutlich weniger junge Veterinäre als in anderen Ländern.
Der Zuwachs geht nach Angaben der Tierärztekammer vor allem darauf zurück, dass es mehr angestellte Tierärzte gibt. Waren es 2001 noch 55, so sind es jetzt 247. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit, so dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden nicht adäquat gestiegen ist. Die Tierärztekammer warnt vor einem Mangel, insbesondere in strukturschwachen Regionen. In der Landwirtschaft gibt es den bereits.
2001 | 444 |
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2010 | 430 |
2024 | 576 |
Bürokratie für Tierärzte frisst Zeit
"Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Zahl der reinen Nutztierpraxen auf zirka ein Viertel stark zurückgegangen", resümiert der Präsident der Tierärztekammer, Dr. Wolfgang Gaede. "Auch wenn man die Zahl der Tierärzte mit einer Gemischtpraxis hinzunimmt, hat sich die Zahl der Tierärzte in der Landwirtschaft in den letzten 30 Jahren fast halbiert." Wolfgang Gaede macht dafür neben der starken Arbeitsbelastung auch die zeitintensive Dokumentationspflicht verantwortlich.
Davon kann auch Dietrich Horrmann ein Lied singen. "Es wird von Jahr zu Jahr schwerer", bestätigt er. "Es muss immer mehr dokumentiert werden. Beispielsweise, um den Einsatz von Antibiotika zu minimieren. Was ja richtig ist. Aber in erster Linie ist das Wohl des Tieres entscheidend, und so eine Kuh ist ein Hochleistungssportler und entsprechend auch anfällig für Krankheiten."
Die Dokumentation nimmt mittlerweile die Hälfte unserer Arbeitszeit ein.
Stefanie Bahmann | Herdenmanagerin APH Hinsdorf
Während er das sagt, trägt Stefanie Baumann Zahlen in Listen ein. Die Herdenmanagerin in der APH Hinsdorf verbringt mittlerweile etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation. "Das ist Zeit, die uns für die Tiere fehlt. Die Dokumentation muss aber peinlich genau durchgeführt werden, sonst gibt es Abzüge bei den Förderprogrammen."
Gebührenordnung für Tierärzte 2022 angepasst
Als 2022 die Gebührenordnung für Tierärzte angepasst wurde, hat das nicht nur die Besitzer von Hunden oder Katzen hart getroffen, sondern auch die landwirtschaftlichen Betriebe. "Die Anpassung war nötig, da die Gebührenordnung aus den 1940er Jahren über die Jahre nur leicht angepasst wurde, es heute aber ganz andere Leistungen gibt", weiß Dietrich Horrmann. "Für die Betriebe kam das in einer Zeit, da sie für ihre Produkte nur noch Dumpingpreise gezahlt bekamen", gibt er zu bedenken. Milch- oder Fleischpreise waren in dieser Zeit teils seit Monaten und Jahren auf Rekordtief.
Tierarzt lernt Studenten an
Viele Tierärzte hängen nach Angaben der Tierärztekammer ihr Stethoskop an den Nagel, bevor sie das Rentenalter erreicht haben. Bürokratie, lange Arbeitszeiten und harte Arbeit fordern ihren Tribut. Für Dietrich Horrmann, der die 60 überschritten hat, ist das keine Option. Er will mindestens noch bis 70 weitermachen und lernt gerade einen syrischen Studenten an.
Bashar Imad brennt für den Beruf des Tierarztes und lässt das auch spüren. Im Studium hat er sich vorrangig auf Kleintiere spezialisiert. "Aber ich kann mir auch gut vorstellen, in der Landwirtschaft zu arbeiten", sagt er. Das aber ist nicht bei allen Studierenden so. Die meisten, weiß Dietrich Horrmann, wollen Kleintiere behandeln.
Dass exzellente Noten für einen Studienplatz nötig sind, war schon zu seiner Zeit so. Aber alle wollten damals in die Praxis. Das Problem heute: "Wenn ich nach ein paar Semestern merke, dass der Beruf doch nichts für mich ist, dann ist das schade für diejenigen, die diesen Beruf wirklich wollen und vielleicht in dem einen oder anderen Fach nicht die beste Note haben."
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MDR (Annette Schneider-Solís)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. Januar 2024 | 19:00 Uhr