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Seit Tagen blockieren Landwirte in Sachsen und Deutschland Straßen und demonstrieren für ihre Belange. Bildrechte: MDR

Kommentar"Sprecht mit uns!": Gegen das laute Schweigen beim Bauernprotest

12. Januar 2024, 06:00 Uhr

In dieser Woche haben auch in Sachsen tausende Bauern für ihre Belange demonstriert. MDR SACHSEN hat den Protest umfassend abgebildet und verschiedene Seiten zu Wort kommen lassen. Dabei zeigt sich: Mit den Menschen dieser Bauernproteste zu sprechen und ihren Beweggründen auf die Spur zu kommen, ist schwierig. Über einen gescheiterten Dialogversuch von MDR-Reporter Benjamin Jakob.

In dieser Woche haben auch in Sachsen tausende Bauern gegen die Streichung von Vergünstigungen und für ihre Belange demonstriert. Ich war einer der hunderten Reporter verschiedener Medien, die die Proteste begleitet haben. Mit einigen Landwirten bin ich ins Gespräch gekommen. Eine Unterhaltung ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben, weil sie sinnbildlich für ein Problem steht, das ich von Pegida-Demos über Corona-Proteste bis jetzt zu den Bauern-Blockaden immer wieder erlebt habe: das laute Schweigen der Demonstrierenden.

Blockade am Montagmorgen an der A17 bei Dresden

Montagmorgen. Es ist eisig kalt auf dem Autobahnzubringer zur A17 bei Dresden. Ich stelle mich zu einer Gruppe von Bauern an einem Lagerfeuer, die die Auffahrt Dresden-Südvorstadt blockiert haben. Die Stimmung ist entspannt. Ich stelle mich als MDR-Reporter vor und frage in die Runde, ob mir jemand ein Interview geben möchte. Zu den Protesten, zu den Forderungen, zur Blockade. Wieso, weshalb, warum. Die Reaktion? Betretenes Schweigen, Ablehnung. Nicht unfreundlich, aber deutlich. So richtig sprechen möchte niemand.

Versuch eines Gesprächs: Reporter trifft Bauer

Aus dem Hintergrund meldet sich ein älterer Herr, um die 70 Jahre alt. Ich drehe mich um und gehe auf ihn zu. Er stellt sich als Rentner vor. Sein Leben lang habe er in der Landwirtschaft gearbeitet. Ich frage ihn, warum er heute hier steht. Der Mann antwortet nicht direkt auf meine Frage sondern sagt, es würde ja sowieso alles zensiert und überhaupt höre ja eh niemand darauf, was man zu sagen habe.

"Dann haben Sie jetzt die Chance. Ich stehe hier und frage Sie!", sage ich zu ihm. "Was stört Sie, was müsste sich ändern?"
"Alles muss sich ändern", sagt er. "Ist alles Kacke."
"Ja aber was denn konkret?"
"Na alles eben. Die Regierung und das wird immer schlimmer."
"Was genau ist für Sie schlimmer geworden und was brauchen Sie, damit es besser wird?", frage ich ihn noch einmal direkt.
"Na so genau kann ich das nicht sagen, aber es ist alles nicht mehr auszuhalten heutzutage", antwortet der Herr.
"Aber was wünschen Sie sich, ganz persönlich, damit sich Ihre Lage verbessert?", hake ich nochmal nach.
"Das weiß ich jetzt auch nicht, aber es geht doch eh durch die Zensur, was Sie schreiben und uns hört ja sowieso keiner zu!"

In ganz Deutschland, wie hier in Berlin, sind im Wochenverlauf Bauern auf die Straße gegangen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Gespräche scheitern: kein Einzelphänomen

An diesem Punkt des Gespräches merke ich, dass ich nicht weiterkomme - und sage trotzdem noch "Danke". Ich verlasse den Mann und seine Kollegen. Aber es wird nicht der letzte Gesprächsversuch an diesem Tag gewesen sein, der so oder so ähnlich ablief. Ich habe dutzende Menschen angesprochen, nach den Gründen gefragt, die sie auf die Straße treiben. Kaum einer wollte mit mir reden, nur einer hat sich bereit erklärt, vor der Kamera meine Fragen zu beantworten.

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Das frustriert mich so, dass ich es in diesem Kommentar thematisiere. Aus einem einfachen Grund: Ich wollte dem älteren Herrn am Montagmorgen wirklich zuhören. Ich wollte ehrlich wissen, was ihn belastet, wo er Änderungen möchte, was die Politik für ihn tun kann. Und er hätte eine Chance gehabt.

Ohne mich und den MDR überhöhen zu wollen: Der Liveticker von MDR SACHSEN hatte an diesem Tag hunderttausende Abrufe. Der Mann hätte seine Botschaft, seine Forderungen und seine Not an ein so großes Publikum richten können, wie es selten möglich ist. Ich hätte ihm unglaublich gern diese Bühne geboten. Die Möglichkeit hat er verstreichen lassen - und das finde ich bedauerlich.

Komplizierte Fragen

Dabei erwarte ich nicht, dass mir jeder Demonstrierende an einem kalten Montagmorgen an der A17 seine Kritik am Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft runterbetet und mir aufschlüsselt, wo ihn das trifft und was ihn das kostet. Ein "Ich brauche mehr Geld!" oder "Die Umweltauflagen machen meinen Hof zunichte!" hätten völlig gereicht.

Ich wollte verstehen, woher der Frust der Menschen kommt. Dabei reicht es mir nicht, den Verbandschefs zuzuhören, die natürlich auf Fragen antworten und sich dem Dialog stellen. Auch bei MDR SACHSEN haben wir zahlreiche Interviews mit Vertretern der Verbände geführt. Aber diejenigen, die zu tausenden ihren Frust auf die Straße tragen, ziehen sich sehr oft zurück. Sind sie immer auch der Meinung einzelner Wortführer? Wir wissen es oft nicht.

Es ist ein Grundrecht, diesen Frust kundtun zu dürfen. Ein hart erkämpftes Privileg, Autobahnen blockieren zu dürfen. Demonstrieren, singen, schreien, hupen zu dürfen. Über Mittel und Wege lässt sich streiten - doch grundsätzlich ist es toll, dass Protest in diesen Formen möglich ist! Aber laut zu sein reicht nicht. Und es reicht nicht, sich darüber zu beschweren, dass die eigenen Belange nicht gehört werden und einen niemand beachtet, wenn man sich dann hinter einem "Alles ist eh Kacke" versteckt.

Gespräche sind für Einordnung wichtig

Ich möchte der Vielzahl der demonstrierenden Bauern keinen Vorwurf machen. Ich möchte ihnen zuhören, in ihre Gedanken eintauchen - wie auch in die Lebenswirklichkeit des Rentners an der A17. Warum? Um Politik und die Diskussionen darüber einordnen zu können. Der Mann an der Autobahnauffahrt steht sinnbildlich für viele Menschen, denen ich bei den verschiedenen Demos in den vergangenen Jahren begegnet bin. Ihre Wut und ihre Sorgen mögen berechtigt sein oder nicht. Das kann und will ich hier nicht beurteilen. Aber Wut um der Wut willen ist nicht genug für Veränderung und sie bringt keine Demokratie voran. Wer sich beschwert, nicht gehört zu werden, der sollte dann aber auch etwas zu sagen haben, wenn man ihn fragt.

Nicht jeder muss vor die Kamera treten, aber auch ohne Aufnahme lassen sich mit einem Gespräch wichtige Fakten zusammentragen. (Symbolbild) Bildrechte: Cindy Baumgart

Und deshalb meine Bitte: Sprecht mit uns! Sprecht mit den Reporterinnen und Reportern, mit uns Journalisten, sprecht mit mir. Ich weiß, dass die allermeisten meiner Kolleginnen und Kollegen auch viel lieber mit euch reden würden als über euch. Aber manchmal bleibt uns nichts anderes übrig. Und am Ende des Tages verlieren beide Seiten. Wir Medien verlieren spannende, erzählenswerte Geschichten und einen Einblick in dringende Probleme der Gesellschaft. Und ihr verliert die Chance, dass man euch zuhört und ihr einmal laut sagen könnt, was ihr denkt und wünscht. Wäre das nicht viel besser?

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 10. Januar 2024 | 19:00 Uhr

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