Strukturwandel und JobverlustKohleausstiegs-Ängste übertrieben? Lausitz findet jetzt schon kaum Fachkräfte
Als der Kohleausstieg beschlossen wurde, gab es große Sorgen, dass Tausende Jobs verloren gehen könnten. In der Lausitz drohe Arbeitslosigkeit. Auch deshalb wurden Milliardenhilfen versprochen, um Kohlekumpeln Perspektiven zu geben. Nun sieht es so aus, als habe mancher in der Politik mit den Ängsten übertrieben. Neue Prognosen sehen für die Lausitz keine Arbeitslosigkeit, sondern riesigen Fachkräftebedarf. Schon jetzt können viele Stellen nicht besetzt werden. Widerspruch kommt aus Weißwasser.
Wolfram Kreisel sucht immer Personal. Er leitet im beschaulichen Krauschwitz kurz vor der polnischen Grenze ein Maschinenbauunternehmen, das seinen Familiennamen trägt. Schon Urgroßvater Wilhelm Kreisel hatte Maschinen gebaut. Heute zählt der Betrieb 160 Mitarbeitende.
Personalsuche immer schwieriger
"Wir suchen immer Leute im ingenieurtechnischen Bereich, also, Konstrukteure, Maschinenbauingenieure, Techniker, die Maschinen entwickeln, planen", sagt Wolfgang Kreisel. Er meint damit auch "Kolleginnen und Kollegen, die diese Anlagen dann vor Ort in Betrieb nehmen", zum Teil auch auf internationalen Baustellen. Die Personalsuche sei nicht einfach, sagt Kreisel.
Und sie dürfte noch schwieriger werden. Die IHK-Geschäftsstelle Görlitz hat die Bevölkerungsentwicklung fortgeschrieben. Demnach wird die Lausitz bis zum Jahr 2040 rund ein Viertel ihrer Arbeitskräfte verlieren: weil Beschäftigte in Rente gehen und kaum junge Leute nachwachsen. Schon in 16 Jahren dürften 150.000 Arbeitskräfte fehlen, sagt der IHK-Büroleiter Frank Großmann voraus. Allein 50.000 würden für Vorhaben infolge des Strukturwandels gebraucht.
Als die größte Herausforderung für eine erfolgreiche Transformation der Lausitz werde daher die Frage sein: "Finden wir die Arbeitskräfte, die diese Transformation mit uns gemeinsam durchlaufen können? Und nicht: Schaffen wir Arbeitsplätze für die Arbeitskräfte, die da sind und keine Arbeit haben?
Kritik an der Schwarzmalerei vor Jahren
Doch die Erzählung war einmal eine ganz andere: Die Milliardenhilfen des Staates, so las und hörte man noch 2020, sollen neue Jobs in die Lausitz bringen. Denn mit dem Kohleausstieg drohe Arbeitslosigkeit. Stimmig sei die Geschichte schon damals nicht gewesen, sagt der Wirtschaftsforscher des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), Joachim Ragnitz. Er blickt auf die Alterststruktur der Lausitzer Kumpel. "Ein Großteil ist in einem Alter, der bis 2038 in den Ruhestand geht." Ragnitz merkt auch an, dass bei dem, "was jetzt neu geschaffen wird, kein Braunkohlekumpel je einen Job finden wird. Wir machen da die Astrophysik. Da wird keiner, der früher im Tagebau gearbeitet hat, hinwechseln können."
Übertriebenes Bild der Kohleausstiegs-Folgen
Ragnitz sagt, die Landespolitik habe die Folgen des Kohleausstiegs wohl einst übertrieben. Schließlich sei es darum gegangen, bei der Bundesregierung Milliarden für die Kohleländer herauszuschlagen. So ähnlich schätzt das auch IHK-Vertreter Frank Großmann ein: "Ich persönlich glaube, dass man ein Stückchen zu sehr überzeichnet hat und ein bisschen zu pessimistisch in der Perspektive umgegangen ist, was für mich als Resultat leider dazu geführt hat, dass sich die Abwanderungsbewegungen nicht reduziert haben."
Ich persönlich glaube, dass man ein Stückchen zu sehr überzeichnet hat und ein bisschen zu pessimistisch in der Perspektive umgegangen ist.
Frank Großmann | IHK Görlitz
Kohlehilfen sollen Lohn-Niveau heben
Großmann findet es trotzdem richtig, dass Kohlehilfen fließen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält die Milliarden für angebracht. Dort sagt Dana Dubil, beim Kohleunternehmen Leag fielen ja tatsächlich Tausende gut bezahlte Jobs weg. Es gehe darum, diese durch ebenso gut bezahlte Jobs zu ersetzen. Denn fernab der Kohle sei das Lohnniveau in der Lausitz schlecht. "Die Beschäftigten, die in Ostsachen sehr, sehr lange unter Niedriglohnbedingungen gearbeitet haben, sind es auch wert, anständig entlohnt zu werden. Und wenn sich durch solche Neuansiedlungen Lohngefüge verschieben, dann ist das nur Recht."
Neuansiedlungen verschärfen Fachkräfteproblem
Der DGB betont auch, dass gerade Neuansiedlungen in der Lausitz unter der Perspektive Tarifbindung und Mitbestimmung einhergehen sollten. Klar sei aber auch: Die Neuansiedlungen werden das Fachkräfteproblem verschärfen, sagt Dubil. Viele alteingesessene Firmen würden mehr Lohn zahlen müssen – weil sie sonst kein Personal mehr finden.
Widerspruch aus Weißwasser
Der Oberbürgermeister von Weißwasser, Torsten Pötzsch, hat den Vorwurf zurückgewiesen, Sachsen habe die Folgen des Kohleausstiegs übertrieben. Pötzsch sagte MDR AKTUELL, die Menschen, die von der Kohle lebten, hätten noch immer kaum Zukunftsperspektiven. An der Tagebaukante und da, wo Kraftwerke stünden, gebe es weiterhin viel zu wenige Ansiedlungen. Wichtige Infrastrukturvorhaben seien gestrichen worden. Das führe dazu, dass Menschen abwanderten.
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 03. April 2024 | 07:00 Uhr