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Weil er sich zu lange nach einem Urlaub in Vietnam in seinem Heimatland aufgehalten hat, droht einem 65-jährigen Vietnamesen nach über 30 Jahren in Deutschland der verlust des Aufenthaltsrechts und damit die Abschiebung. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO/Lobeca

Entscheidung HärtefallkommissionVietnamesen aus Chemnitz droht nach 35 Jahren die Abschiebung

11. Februar 2023, 15:23 Uhr

Einem seit 35 Jahren in Deutschland lebenden Vietnamesen droht die Abschiebung. Die Sächsische Härtefallkommission lehnte mehrheitlich ab, von einem Härtefall zu sprechen und ein Ersuchen an den Innenminister zu stellen. Die Chemnitzer Migrationsbeauftragte Etelka Kobuß ist fassungslos und fragt sich, welches Signal Deutschland damit in die Welt sendet.

Die Sächsische Härtefallkommission hat sich erneut mit dem Aufenthalt eines Chemnitzer Vietnamesen in Deutschland befasst. Wie Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth der Deutschen Presse-Agentur am Sonnabend bestätigte, entschied die Kommission nach intensiver Beratung am Freitag, "dass kein Härtefall vorliegt". Es habe keine Mehrheit für ein Ersuchen an den Innenminister gegeben, dem Mann ein Bleiberecht zuzuerkennen. Über Details könne er wegen des Schweigegebots nicht sprechen.

Landesdirektion und Ausländerbehörde Chemnitz jetzt am Zug

Dem Mann, der mit Unterbrechung seit über 35 Jahren in Deutschland ist, droht nun die Abschiebung. Darüber entscheide die Landesdirektion Sachsen, sagte Mackenroth. Sie und die Chemnitzer Ausländerbehörde seien für das weitere Verfahren zuständig und müssten prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Bleiberecht vorliegen.

Mackenroth kann sich vorstellen, dass es wie nach dem letzten Verfahren 2019 dort ein Gespräch gibt, "was zu tun ist". Es gebe jetzt auch ein Chancenaufenthaltsrecht.

80.000 Menschen hatten Petition für Bleiberecht unterschrieben

Pham Phi Son war 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen. 2016 reiste er in sein Heimatland Vietnam. Nach Kenntnis des SPD-Landtagsabgeordneten Frank Richter, der sich mit zahlreichen Abschiebefällen in Sachsen beschäftigt, bekam Pham Phi Son wegen der klimatischen Verhältnisse in Vietnam Probleme mit einer alten Kriegsverletzung im Knie und musste sich daraufhin in ärztliche Behandlung begeben. Das hatte zur Folge, dass Pham Phi Son länger als sechs Monate in Vietnam blieb. Damit hatte er Fristen in Deutschland verletzt.

Sein Fall beschäftigte schon Gerichte und 2019 erstmals auch die Härtefallkommission. 2022 hatten sich mehr als 80.000 Menschen in einer Online-Petition für den Verbleib der Familie ausgesprochen. "Ich bin sehr traurig", sagte Pham Phi Son am Sonnabend der "Freien Presse". Er habe Angst, dass die Behörden kämen und ihn abschöben.

Chemnitzer Migrationsbeauftragte: Welche Signale senden wir aus?

Die Chemnitzer Migrationsbeauftragte Etelka Kobuß zeigte sich entsetzt. Sie sei "fassungslos, traurig und empört", schrieb Kobuß auf Facebook. "Einen Mann nach 35 Jahren Aufenthalt in Deutschland abzuschieben, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Pflicht von sechs Monaten aus seinem Heimaturlaub zurückkehrte, ist unmenschlich", so Kobuß. "Diese Strafe steht nicht im Verhältnis zum Tatbestand."

Welche Signale senden wir als Land in die Welt? Kommt her, wir brauchen Arbeitskräfte! Fühlt euch aber nie sicher! Richtet euch gar nicht häuslich ein.

Etelka Kobuß | Ausländerbeauftragte Chemnitz

Kobuß befürchtet, dass dem 65-jährigen Pham Phi Son die Reintegration in seinem Heimatland nach so langer Zeit nur schwer gelingen dürfte. Und auch, was eine Abschiebung für seine hier geborene sechs Jahre alte Tochter bedeuten würde, sei schwer zu sagen. Darüberhinaus würde der Arbeitgeber von Pham Phi Son gleich zwei Arbeitskräfte auf einmal verlieren, wenn die ganze Familie nach Vietnam geht.

So ist das Aufenthaltsrecht ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter geregelt

Im Jahr 1980 Jahren schlossen die DDR und Vietnam ein Abkommen zur Übernahme von Vertragsarbeitern. Die Vietnamesen galten als fleißig und genau. Deshalb arbeiteten sie vor allem in der Textilindustrie, welche nach der "Wende" nahezu vollständig zusammenbrach. 16.000 Vietnamesen sind nach dem Ende der DDR in Deutschland geblieben. Nach dem Willen des Einigungsvertrages sollten DDR-Vertragsarbeiter und Vertragsarbiterinnen lediglich ein Bleiberecht für die ursprünglich mit der DDR geschlossene Vertragszeit erhalten. Immer wieder bekamen sie je nach veränderter politischer Einschätzung neue Aufenthaltstitel und standen unter Aufsicht der Ausländerbehörden. 1997 beschlossen die Innenminister der Bundesländer den ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, die Arbeit hatten und straffrei waren, ein Daueraufenthaltsrecht zuzusprechen.

Dank der Bleiberechtsregelung konnten die Vietnamesen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erwerben. Diese wurde im Jahr 2011 zur Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Dadurch war auch der rechtliche Abschluss einer gelungenen langfristigen Integration nachgewiesen. Und sie erlaubte die Aufnahme einer Arbeit.

Quelle: Frank Richter/www.abschiebung-sachsen.de

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MDR (dkö),dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 13. Februar 2023 | 06:30 Uhr

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