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Welt-Autismus-TagReizarm und individuell: Wie das Autismuszentrum Chemnitz Betroffenen hilft

28. März 2023, 06:00 Uhr

Über Autismus gibt es viele Meinungen und Vorstellungen. In Chemnitz findet ab Dienstag zum ersten Mal eine Themenwoche Autismus statt, die mit Vorträgen informieren und verschiedene Bereiche wie Schule, Arbeit und Partnerschaft beleuchten will. Organisiert wird das Ganze vom Autismuszentrum Chemnitz, das Betroffenen und Angehörigen jeden Tag unter die Arme greift.

Über Autismus kursieren viele Vorurteile. Oft wird sofort an ein sozial unbeholfenes Genie wie aus dem Film "Rain Man" oder eine Person ohne sprachliches Ausdrucksvermögen, die sich den ganzen Tag hin- und herwiegt, gedacht. Menschen, die an einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) leiden, können aber ganz unterschiedliche Beeinträchtigungen haben.

"Kennst du einen Autisten, dann kennst du einen Autisten", fasst Stefan Bergmann, operativer Geschäftsführer vom Autismuszentrum Chemnitz, zusammen. "Alle sind ganz individuell und man kann schwer Dinge benennen, die auf jeden Autisten zutreffen."

Viele Reize sind schwer zu verarbeiten

Trotzdem gebe es einige Gemeinsamkeiten. "Viele können schlecht damit umgehen, wenn viele Reize gleichzeitig auftreten", erzählt Bergmann. Deswegen sei der Raum des Autismuszentrums, in dem die Trainings für soziale Kompetenz stattfinden, auch so reizarm gehalten: weiße Wände, weiße Möbel, keine Bilder oder Deko-Gegenstände. "Menschen mit Autismus nehmen Reize viel intensiver wahr als wir", so Bergmann. "Und dann ist schnell alles zu viel." Dieses "Zuviel" können Geräusche, Farben, Gerüche, Berührungen, aber zum Beispiel auch ein zu eng und mit kleiner Schrift beschriebenes Aufgabenblatt sein.

Auch Schachtelsätze können zur Herausforderung werden. "Deswegen ist es wichtig, in kurzen und klaren Sätzen mit Betroffenen zu reden", sagt Bergmann. Außerdem werden Redewendungen von Menschen mit ASS oft wörtlich genommen. "Ich arbeite schon 24 Jahre mit Menschen mit Autismus und trotzdem passiert es mir noch gelegentlich, dass ich eine Redewendung benutze", erzählt der Geschäftsführer des Autismuszentrums. "Als ich 'Morgenstund hat Gold im Mund' gesagt habe, kam dann eben die Aufforderung den Mund zu öffnen."

Fester Tagesablauf hilft vielen Betroffenen

Ein fester Tagesablauf und planbare Ereignisse sind für viele Menschen mit ASS laut Bergmann ebenfalls sehr wichtig. "Deswegen gibt es bei uns im Zentrum immer einen Wochen- und auch einen Tagesplan, damit sich die Betroffenen darauf einstellen können", erklärt er. Neben Mahlzeiten und einem Spaziergang gibt es auch Angebote wie basteln oder musizieren.

Rund 0,6 bis zwei Prozent der Weltbevölkerung leiden schätzungsweise an ASS. Für Chemnitz würde das zwischen rund 1.500 und 5.000 Betroffene bedeuten. Offizielle Fallzahlen gibt es aber nicht. "Wir haben in Chemnitz und unserer Außenstelle in Annaberg-Buchholz rund 750 Familien in Beratung", sagt Bergmann. Rund 230 Betroffene seien in einer täglichen Betreuung, während die anderen zum Beispiel nur ein Ferienangebot wahrnehmen würden.

Rund 100 Familien auf Warteliste beim Autismuszentrum

Rund 100 Familien stehen aber auch noch auf einer Art Warteliste. "Das liegt zum einen daran, dass eine Kostenübernahme bei den zuständigen Ämtern beantragt werden muss", so Bergmann. "Zum anderen haben wir einfach nicht genug Personal für die Menge der Anfragen." 85 Mitarbeitende inklusive ehrenamtlicher Helfer gibt es an beiden Standorten. "Aber es ist oft eine Eins-zu-eins-Betreuung und daher braucht es auch viel Personal." Das Zentrum bietet Freizeitbegleitung in der Gruppe oder einzeln, Ferienlager, Sozialkompetenztraining, aber auch Einzelfalhilfe für Schule, Ausbildung und Arbeitsleben. Und auch für die Familien gibt es Unterstützung.

"Am wichtigsten im Umgang mit Menschen mit ASS ist Offenheit, Ehrlichkeit und Direktheit", gibt Bergmann ein paar Tipps. Und auch Transparenz sei ein wichtiges Thema. "Wenn ich einen schlechten Tag habe, sollte ich das mitteilen", sagt er. "Sonst denkt mein Gegenüber mit ASS wahrscheinlich, dass meine Laune an ihm liegt und ist sehr verunsichert."

Themenwoche Autismus in Chemnitz

Die Themenwoche Autismus von 28. März bis 2. April in Zusammenarbeit mit der Stadt Chemnitz liegt Bergmann sehr am Herzen. Neben Vorträgen gibt es auch eine Lesung, eine Ausstellungseröffnung und eine Filmvorführung. Jeder kann sich anmelden und kostenfrei teilnehmen. "Vor allem erhoffe ich mir, dass man seinen Horizont vielleicht ein Stück erweitert und vielleicht merkt, wie sind Betroffene eingeschränkt und vor allem, welche Potenziale gibt es", sagt Bergmann.

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MDR (ali)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 28. März 2023 | 09:30 Uhr