Unterbringung von GeflüchtetenSachsen sucht nach richtigem Kurs in Asylpolitik
Die steigenden Flüchtlingszahlen zwingen Sachsens Landesregierung und Kommunen, neue Unterkünfte für Geflüchtete bereitzustellen. Das geht vielerorts einher mit neuen Protesten, so wie jüngst im nordsächsischen Laußig oder in Chemnitz-Einsiedel. Integrationsministerin Petra Köpping ist besorgt und sieht Parallelen zu den teils gewalttätigen Ausschreitungen in den Jahren 2015/16.
- Innnenminister Armin Schuster will Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen dauerhaft vorhalten, um Geflüchtete schnell unterbringen zu können.
- Für Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping sind die jüngsten Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten unverständlich und besorgniserregend.
- Jüngst kam es auch in Laußig zu einem Protest, obwohl noch gar keine Entscheidung gefallen ist, ob dort Flüchtlinge untergebracht werden. Die Bürger im Ort beklagen, ihnen werde nicht zugehört und es werde schlecht kommuniziert.
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) will ein neues Konzept für Flüchtlingsunterkünfte auf den Weg bringen. Statt des Hoch- und Runterfahrens von Kapazitäten solle es ein ständiges Fundament an Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen geben, sagte Schuster der "Sächsischen Zeitung". Wenn Flüchtlingszahlen steigen, könnten Unterkünfte sofort und unkompliziert belegt werden.
"Der Bedarf für eine nachhaltige mittelfristige Anpassung der Kapazitäten liegt ja auf der Hand", sagte Schuster. Seit Herbst kommen laut Landesdirektion Sachsen täglich zwischen 80 und 90 Asylbewerber im Freistaat an. Die Bürgermeister und Landräte hätten deutlich signalisiert, dass Ende März die Kapazitäten der kommunalen Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, falls die Asylbewerberzahlen so hoch bleiben. Damit sich die Lage für die Kommunen entspannt, sollen Geflüchtete so lange wie rechtlich möglich in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben.
Sächsischer Flüchtlingsrat verurteilt "Boot-ist-voll-Rhetorik"
Nach Ansicht des sächsischen Flüchtlingsrates gibt es ausreichend Platz zur Aufnahme von Menschen in Not. Ressentiments in der Bevölkerung und Teilen der Lokalpolitik würden diesen Raum jedoch künstlich verengen, sagte Vereinssprecher Dave Schmidtke der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. Die Erstaufnahmeeinrichtungen seien aktuell zur Hälfte ausgelastet, die meisten Menschen aus der Ukraine privat untergebracht. "Absolut verwerflich ist es daher, die 'Boot-ist-voll-Rhetorik' der Rechtsextremen weiterzutragen." Damit werde grundlos Panik geschürt, Demonstrationen gegen Flüchtlinge erhielten so Zulauf.
Nach aktuellen Zahlen der Landesdirektion Sachsen sind aktuell etwa 4.300 Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Die Kapazität liegt bei 8.400 Plätzen.
Integrationsministerin Köpping: Dachte, 2015 wiederholt sich nicht
Sachsens Sozialministerin Petra Köpping hatte Anfang der Woche mit Unverständnis und Besorgnis auf Proteste gegen die Unterbringung von Flüchtlingen reagiert. Die SPD-Politikerin erklärte am Dienstag, sie finde die mancherorts wieder aufflammende pauschale Ablehnung dieser Menschen unsäglich.
Gleiches gelte für die oft unangemeldeten Demonstrationen, die klar erkennbar von Rechtsextremisten angeführt oder begleitet würden. Sie habe eigentlich gehofft, dass sich 2015 nicht wiederhole, erklärte Köpping. Damals hatte es während der sogenannten Flüchtlingskrise vor allem in Sachsen viele asylfeindliche Demonstrationen und auch Blockaden von Unterkünften gegeben, bei denen es teilweise zu Gewalttätigkeiten kam.
Alle Geflüchteten, ob minderjährig oder erwachsen, ob allein oder mit Familie geflohen, ob aus der Ukraine oder aus anderen Krisen- und Kriegsregionen, haben in Deutschland einen Anspruch, menschenwürdig untergebracht zu werden.
Petra Köpping (SPD) | Sozial- und Integrationsministerin in Sachsen
Petition in Kriebethal, gefakte Flugblätter in Chemnitz-Einsiedel
In den vergangenen Wochen gab es an mehreren Orten in Sachsen Proteste gegen die Unterbringung von Flüchtlingen. So zum Beispiel im mittelsächsischen Kriebethal, wo sogar eine Petition gegen die Unterbringung von zwölf geflüchteten Kindern und Jugendlichen gestartet wurde. Beim Landratsamt ging eine Drohung ein, das dafür vorgesehene Gebäude in dem Kriebsteiner Ortsteil niederzubrennen. In Chemnitz-Einsiedel gab es nicht nur Protest gegen eine Unterkunft für Familien afghanischer Ortskräfte der Bundeswehr, es wurden mit falschen Behauptungen in einem amtlich wirkenden Flugblatt bei den Einwohnern Ängste geschürt.
"Freie Sachsen" auch bei Protest in Laußig wortführend
Gestreute Gerüchte und Fehlinformationen waren offenbar auch Auslöser einer Demonstration am vergangenen Donnerstag im nordsächsischen Laußig. Einen Tag, nachdem der Landkreis mitgeteilt hatte, eventuell auch hier Flüchtlinge unterbringen zu wollen, kam es zu Protesten. 300 Menschen zogen vor das Gemeindeamt, während dort Ortschaftsrat und Vertreter des Landkreises die mögliche Unterbringung ausloteten. Entscheidungen sollen im Februar fallen. Beobachtern und Polizei zufolge waren in allen Fällen - teils wortführend - Anhänger der rechtsextremen "Freien Sachsen" dabei.
Auf im Internet verbreiteten Videos ist zu sehen und zu hören, wie der parteilose Bürgermeister Lothar Schneider mit den Protestteilnehmern sympathisiert. MDR SACHSEN und auch andere Medien versuchten vergeblich, ihn für eine Stellungnahme zu erreichen.
Bürger fühlen sich zu Unrecht als "Nazi-Laußig" verunglimpft
Mehrere Vertreter des nordsächsischen Kreistags verurteilten die Verbalattacken und Beleidigungen gegen den Bürgermeister sowie die Verbreitung von Fehlinformationen als wenig hilfreich. Als ebenso wenig hilfreich kritisieren aber Laußiger Einwohner auch die laut ihrer Aussage fehlende Kommunikation der Verwaltung.
Mit ihnen werde nicht geredet, beklagten mehrere Bürger im Gespräch mit einer MDR SACHSEN-Reporterin und fühlen ihren Ort zu Unrecht als "Nazi-Laußig" verunglimpft. Denn: Hier gebe es doch Flüchtlinge - alleinstehende Frauen mit Kindern und Familie, die dezentral untergebracht problemlos im Ort leben würden. Nur eine Ansammlung junger, alleinstehender, männlicher Ausländer lehnen die befragten Laußiger ab. Ihre Antwort auf die Frage nach dem Warum: Was sollten diese Geflüchteten in einem Ort machen, in dem es einfach nichts gebe, außer einem kleinen Supermarkt und wo der letzte Bus noch vor der Tagesschau abfahre? Angesichts dessen sei die Sorge vor Übergriffen auf Mädchen und junge Frauen durchaus berechtigt, so einige Einwohner.
MDR (stt/bbr/dkö)/dpa/afp
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 23. Januar 2023 | 16:30 Uhr