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Bei den bundesweiten Protesten der letzten beiden Wochen sind auch Gruppen wie "Omas gegen Rechts" vertreten. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa

StimmungsbildSachsen zwischen Ampel-Wut und Protesten gegen Rechtsruck

30. Januar 2024, 17:07 Uhr

Traktoren-Proteste, Bahnstreiks, Großdemonstrationen gegen den Rechtsruck: Das Jahr 2024 ist noch jung, doch hinter uns liegt schon ein bewegter Januar. Der Sachsen-Monitor attestiert eine miese Stimmung. Was stört die Menschen? Was sorgt sie? Woher kommt Unmut und Frust aus so vielen Ecken? MDR SACHSEN hat nachgefragt.

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Zugbegleiter: Tarifkonflikt beschäftigt die Menschen

"Die politische Lage ist momentan sehr schwierig, wir erleben seit einigen Wochen massive Proteste aus der Landwirtschaft sowie aus dem Speditionsgewerbe", erklärt Sebastian Fröschke MDR SACHSEN.

Der 36-Jährige arbeitet als Zugbegleiter auf den Strecken von Görlitz Richtung Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie zwischen Elsterwerda und Berlin. "In den Zügen, die ich momentan begleite, ist die Stimmung sehr aufgeheizt. Viele Fahrgäste machen sich Sorgen, da die Ampel momentan keine Einigkeit in den eigenen Reihen findet." Nicht nur der Protest der Landwirte und Spediteure beschäftige die Menschen, sondern auch der Tarifkonflikt der Deutschen Bahn, sagt Fröschke.

Sebastian Fröschke erlebt als Zugbegleiter die Stimmung der Menschen unmittelbar. Der 36-Jährige wurde 2021 von der Allianz Pro Schiene zum "Eisenbahner mit Herz" gekürt. Bildrechte: Sebastian Fröschke

Stimmung im Zug sei wie ein Seismograph

Fröschke ist als Zugbegleiter nah dran an den Menschen. "Für mich ist die Stimmung im Zug wie ein Seismograph der Gesellschaft. Ob Fußballspiele, Polizeieinsätze oder sonnige Frühlingstage, hier bekommt man die Laune sehr schnell mit", erklärt Fröschke. "Viele Fahrgäste sind verunsichert und haben Angst, was sie in Zukunft zu erwarten haben. Sie wünschen sich die Zeit vor der Pandemie zurück. Es war irgendwie anders als jetzt, vieles war unbeschwerter."

Viele Fahrgäste sind verunsichert und haben Angst, was sie in Zukunft zu erwarten haben. Sie wünschen sich die Zeit vor der Pandemie zurück. Es war irgendwie anders als jetzt, vieles war unbeschwerter.

Sebastian Fröschke | Zugbegleiter

Auf Sorgen der Bevölkerung eingehen

Fröschke sieht auch inhaltliche Probleme der aktuellen Politik. "Die Ampel, egal welche Partei, möchten ihre Interessen durchsetzen. Gleichzeitig hat sie mit sich selbst zu tun und geht nicht auf die Sorgen und Nöten der Bevölkerung ein. Um eine Energiewende langfristig durchzusetzen, bedarf es der Überzeugung und des Rückhalts der Wirtschaft und der Bevölkerung", sagt Fröschke. Er sehe derzeit nur Vorschriften und Regeln, das "Gegängel der Politik" sei "mehr als kontraproduktiv".

Für den Umstieg auf grüne Energien bedürfe es einer besseren Kommunikation, Strategie und Kostenplanung. "Nur, wenn alle an einem Strang ziehen, wird sich etwas ändern", sagt Fröschke. "Politiker können nicht in ferne Länder reisen und in jedem Land, in dem sie gerade sind, erklären, wie man es besser macht, wenn es im eigenen Land nicht läuft."

Klarinettist: Keine simplen Antworten auf komplexe Fragen

Für Michal Tomaszewski, Klarinettist der Big Band "Banda Comunale" liegt das Problem auf der Hand. "Rechtspopulisten tun so, als ob es auf jede komplexe Frage eine simple Antwort gäbe. Das hat früher nicht gestimmt und wird leider auch in Zukunft falsch bleiben", sagt Tomaszewski MDR SACHSEN. "Als eine Band mit Menschen aus Ländern wie Syrien, Polen, Brasilien, Russland, Israel oder Irak beschäftigen uns Ausgrenzung und Rassismus, weil wir selbst betroffen sind."   

"Rechtspopulisten tun so, als ob es auf jede komlexe Frage simple Antworten gäbe", erklärt Michał Tomaszewski. Bildrechte: Michał Tomaszewski

Hoffnung auf gute Zukunft in Sachsen

Tomaszewski begrüßt die Demos gegen den Rechtsruck. "Wir versuchen uns - bisher unerschrocken - Sachsen als einen Teil Deutschlands vorzustellen, in dem es eine gute Zukunft für alle gibt, unabhängig von ihrer Herkunft oder Identität. Die aktuellen Proteste gegen die rechtsextreme AfD machen uns grad ein wenig Hoffnung", erklärt er. "Es ist Zeit, dass der Hass und die Verachtung der letzten Jahre aufhören. Wir haben genug. Wir lassen uns von Rechtsradikalen nicht vorschreiben, wie wir zu leben haben. Demokratie kann viel aushalten und vieles tolerieren, aber nicht so viel, dass sie sich selbst zerstört. Es ist wirklich an der Zeit, dass das positive Sachsen sich regt."

Wir könnten uns für positive Ziele zusammentun, anstatt in Untergangsszenarien einzustimmen. Wir leben in einem guten Land.

Michał Tomaszewski | Klarinettist bei "Banda Comunale"

Mitspieler aus zahlreichen Ländern: Das Band-Kollektiv "Banda Comunale" an der Elbe in Dresden. Bildrechte: Robert Rieger

Energie in positive Ziele stecken

Die multikulturelle Big Band "Banda Comunale" ist deutschlandweit bekannt und engagiert sich mit dem Projekt "Blasmusik gegen Rassismus" in Sachsen auch an Schulen. Mit der Initiative "Banda Regionale" möchte sie zudem an die Blasmusik-Traditionen in vielen Dörfern in Sachsen anknüpfen. Tomaszewski baut auf positive Ziele und Energien. "Wir könnten ein paar Gänge herunterschalten und die Energie, die wir für Zorn und Wut, gegen 'die da oben', gegen Ausländer, gegen imaginierte Eliten oder was auch immer aufwenden, in Ehrenämter, Nachbarschaft, Engagement oder auch Familie und Freunde stecken. Wir könnten uns für positive Ziele zusammentun, anstatt in Untergangsszenarien einzustimmen. Wir leben in einem guten Land."

Rentner: Der Regierung fehlt Bürgernähe

Eine fehlende Nähe der Politik zur Bevölkerung moniert Ulrich Engel aus Stolpen. "Die Bürgernähe der gewählten Regierung lässt zu wünschen übrig. Sie ist viel zu weit weg von den Menschen und ihrer täglichen Arbeit. Oft erscheint es, sie hätten von vielen alltäglichen Details überhaupt keine Ahnung", erklärt der 73 Jahre alte Rentner MDR SACHSEN. "Die AfD war für mich eine Alternative. Ich war schon bei der Rede von Bernd Lucke 2013 dabei. Etliche Forderungen sind berechtigt. Leider reagiert die AfD auch wie andere Parteien auf Kritik überhaupt nicht. Eines ist heute klar: Von der AfD kommt auch nichts für den kleinen Mann."

Ulrich Engel hat in der DDR als Ingenieur gearbeitet, sich nach der Wende mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und sich um Kinder und Pflege der Senioren gekümmert. Bildrechte: Ulrich Engel

Verständnis für die Bauern

Ulrich Engel hat in der DDR als Ingenieur gearbeitet, ist nach der Wende nicht in den Westen gegangen, hat sich mit Gelegenheitsjob über Wasser gehalten und sich um Kindererziehung und Pflege gekümmert. Heute bezeichnet er sich als Armutsrentner.

Die Proteste der Bauern kann er verstehen: "Ich halte die Protestaktionen der Bauern für gerechtfertigt. Viele kleinere Betriebe müssen hart um ihr Überleben kämpfen. Für die Großunternehmen, die vor allem um Rendite bemühen und sich weder um Natur noch Tierwohl scheren, fehlt mir allerdings das Verständnis, zumal die Vernichtung von Insekten und Vögeln ein riesiges Problem ist", erklärt er MDR SACHSEN.

Vieles in der aktuellen Politik widerspreche sich. "Während Privatpersonen immer mehr Diesel und Benzin einsparen sollen beziehungsweise angehalten sind auf E-Auto zu wechseln, werden Traktoren, Lkw, Schiffe und Flugzeuge weiter mit Benzin und Diesel betrieben."

Künstler: Viel Überforderung in vielen Bereichen

Verständnis für die Bauern kommt auch vom Dresdner Künstler Jörn Diederichs. Er stammt selbst vom Land, einem kleinen Ort in Niedersachsen und kennt die Nöte der Landwirte. "Gerade die kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe wurden jahrzehntelang durch eine neoliberale Politik des 'wachse oder weiche' in einen gnadenlosen Konkurrenzstress gedrängt", erklärt Diederichs.

Ständig ändere sich etwas. "Hinzu kommt noch die Digitalisierung. Ein Landwirt steht oft total allein in seinem Stall aus dem 19. Jahrhundert, und soll schnell alles umstellen auf digitale Bewirtschaftung. Wer traut sich denn zuzugeben, dass er damit total überfordert ist?", so Diederichs weiter.

Jörn Diederichs stammt aus dem ländlichen Raum in Niedersachsen und hat an der Dresdner Kunsthochschule studiert und seine Meisterschule absolviert. Bildrechte: MDR/Katrin Tominski

Keine weiterführenden Antworten der AfD

Hier kämen Frust und Fragen auf. "Die Landwirtschaft war ja eigentlich nicht nur eine Produktionsform, sondern auch eine gesellschaftliche Lebensform in den Landgemeinden. Dafür aber lässt der rein marktgetriebene und digitalisierungsgetriebene Produktionsdruck kaum mehr Zeit", sagt Diederichs. "Bei diesem Stress braucht dann nur noch jemand zu sagen: Die in Brüssel sind doch schuld an eurer Lage mit ihrer Bürokratie. Und die Naturschützer." Seiner Einschätzung nach hätten jedoch die meisten Menschen, auch auf dem Land, verstanden, dass die AfD auf keine der dringenden Fragen der Zeit weiterführende Antworten gibt.

Professorin Constanze Geiert, Vorsitzende des Beirats des "Sachsen-Monitors" sieht trotz der jüngsten Ergebnisse positiv in die Zukunft. Zwar zeige die Umfrage in der Gesamtschau eine deutliche Eintrübung der Stimmung der Menschen in Sachsen. "Doch die gute Nachricht ist: Trotz multipler Krisen und Herausforderungen halten 83 Prozent der sächsischen Bevölkerung die Demokratie für eine gute Regierungsform. Allerdings sollte sich auf diesen Befunden nicht ausgeruht werden."

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 30. Januar 2024 | 20:00 Uhr