GesetzesentwürfeCDU und AfD wollen Genderverbot in Thüringer Schulen - wie kommt das dort an?
Acht Monate vor der Wahl in Thüringen rücken die CDU und AfD im Landtag beim Reizthema Gendern inhaltlich zusammen. Sie wollen an Schulen die geschlechtergerechte Sprache verbieten - besser bekannt als "Gendern". Was sagen die Vertreter der Schülerinnen und Schüler und die Lehrerverbände dazu?
Inhalt des Artikels:
"Schüler:innen", "Lehrer_in", "Beamt*innen" oder "Lesende": Egal wie, für viele Menschen ist es ein Reizthema: Die Verwendung von geschlechtergerechten Sprachformen, kurz Gendern.
Acht Monate vor der Landtagswahl in Thüringen schüren die Fraktionen von CDU und AfD im Landtag erneut die Debatte: Mit einem Gesetzesentwurf der CDU-Fraktion und einem Antrag der AfD-Fraktion, die für Freitag auf der Tagesordnung stehen, soll das Gendern an Schulen verboten werden. Entwurf und Antrag stehen in dieser Woche nicht zur Abstimmung. Der Entwurf wird maximal zur Beratung in die parlamentarischen Ausschüsse verwiesen. Doch worum geht es? Und wie realitätsnah sind die Vorschläge?
Was wollen CDU und AfD genau?
Beide Fraktionen wollen das Gendern an Schulen gesetzlich verbieten und blasen dafür ins selbe Horn: Sie argumentieren, dass eine Mehrheit der "Sprechenden", wie die CDU tatsächlich schreibt, Genderformen ablehnt. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Formen viele Schülerinnen und Schüler beim Erlernen der Sprache behindern. Die CDU sorgt sich um sechs Millionen Menschen - wie zum Beispiel Migranten oder Menschen mit Seh- oder Hör-Behinderungen - die die "Gendersprache" ausschließen würde.
Die AfD wirft der Landesregierung vor, an den Schulen die "Gendersprache" durchzusetzen. Sie fordert die Regierung daher auf, dass keine Lernmittel wie Schulbücher mehr verwendet werden dürfen, in denen Genderformen genutzt werden. Und in Thüringer Schulen solle nur noch "ohne Anwendung der gendergerechten Sprache gesprochen, gelesen und geschrieben" werden.
Die CDU bleibt mit Forderungen für ihr sogenanntes "Korrekte-Sprache-Gesetz" zunächst vager und erklärt, das "amtliche Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung" müsse eingehalten werden. An den Schulen - und auch in der Verwaltung. Bereits im November 2022 hatte der Landtag mit Stimmen von CDU und AfD einen Appell beschlossen, wonach Landesbehörden nicht mehr gendern sollen. Der Appell verhallte. Mit dem Gesetz will die CDU nun eine verbindliche Anordnung durchsetzen.
Faktencheck: Schreibt die Regierung wirklich den Sprachgebrauch an Schulen vor?
Tatsächlich ist die Aussage der AfD falsch, dass die Landesregierung den Schulen einen bestimmten Sprachgebrauch vorschreiben möchte. Nach Angaben des Bildungsministeriums "gibt es keine entsprechenden ministeriellen Vorgaben für den Schulbereich". Geschlechtergerechte Sprache sei der Landesregierung zwar "sehr wichtig", was sich allein aus dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung und aus dem Gleichstellungsgesetz ergebe.
Bildungsminister Helmut Holter (Linke) hatte in einem Brief an die Schulen zuletzt aber mitgeteilt, dass er ihnen keine Vorgaben machen möchte: "Sprache entwickelt sich, und Gesellschaften entwickeln sich. Gerade mit Blick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter sollten sich auch Schulen dieser Debatte stellen. […] Lehrerinnen und Lehrer sind meines Erachtens daher gut beraten, sich dem Thema zu stellen - ohne jemanden dafür zu loben oder zu bestrafen, wenn er oder sie die eine oder die andere Sprachform anwendet."
Vorschlag der AfD schwer umsetzbar
Gleichzeitig scheint die Forderung der AfD, keine Lernmaterialien mehr zuzulassen, in denen gegendert wird, kaum umsetzbar. Laut Bildungsministerium werden nämlich "Neuauflagen von Lernmitteln nur noch in gendergerechter Sprache gedruckt". Für den Thüringer Lehrerverband (TLV) ist auch das keine Ideallösung: Es müsse die Möglichkeiten geben für die Schulen zu wählen und "ideell als auch materiell Alternativen zuzulassen".
Was sagen Lehrerinnen und Schüler zu den Vorschlägen?
Die Landesschülervertretung (LSV) bezeichnet die Pläne der Fraktionen als "sinnlos". Laut Sprecherin Kiara Hertel wird auch in der Schülerschaft von einigen gegendert und von anderen eben nicht - es gehöre einfach dazu. "Wir sind uns da einig, jeder sollte so reden wie er will. Jeder soll sich wohlfühlen." Ein Verbot sei schwierig, so Hertel, "weil es sich nicht durchsetzen wird. So viele haben sich schon daran gewöhnt. Wir stellen Diversität dar. Warum sollten wir das wieder wegnehmen?"
Lehrerverband: Vorschläge sind "grundfalsch"
Noch deutlichere Kritik kommt vom Lehrerverband: Er hält die Vorschläge von CDU und AfD für "grundfalsch". "Es erschließt sich uns nicht, wovor Kinder und Jugendliche 'geschützt' werden sollen", teilte der TLV dem MDR mit. Die Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen handhabten das Gendern sehr unterschiedlich - "eben weil es bisher weder ein Ver- noch ein Gebot hierzu gibt. Diese Vielfalt ist nicht das Schlechteste, denn sie bildet das aktuelle Stimmungsbild ab."
Ein Verbot […] wäre auch ein furchtbares Signal der Intoleranz an die nachfolgende Generation.
Tim Reukauf, Landesvorsitzender Thüringer Lehrerverband
Den Vorwurf, die gendergerechte Sprache würde den Schülerinnen und Lehrern von der Politik übergestülpt, kann der TLV nicht nachvollziehen. Landesvorsitzender Tim Reukauf sagte MDR THÜRINGEN: "Tatsächlich erleben wir in den Schulen eher das Gegenteil: Für die jungen Menschen ist es mittlerweile ganz selbstverständlich, kommt also demografisch betrachtet eher von unten in die Gesellschaft hinein."
Schüler ab der fünften Klasse setzten sich bewusst mit der Thematik auseinander - "nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit den verschiedenen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit der eigenen Körperidentität konfrontiert werden und das nicht immer positive Erfahrungen sind." Und: "Ein Verbot ließe sich also nicht nur schwer durchsetzen - es wäre auch ein furchtbares Signal der Intoleranz an die nachfolgende Generation."
Philologen: Gendern hilft nicht
Etwas anderer Meinung ist der Thüringer Philologenverband, der Gymnasiallehrer vertritt. Ähnlich wie CDU und AfD fürchten die Philologen, dass geschlechtergerechte Sprachformen das Lernen generell behindern. Ohnehin würde eher wenig in den Schulen gegendert. Laut Verband wäre es demnach im Sinne der Schüler, das Gendern zu unterbinden.
Hintergrund
Zum Aufklappen: Was ist gendergerechte Sprache?
- Das Wort "gender" kommt aus dem Englischen und bedeutet Geschlecht. Damit ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht gemeint.
- Ein soziales Geschlecht bezieht sich auf alles, was als typisch für Frauen und Männer gilt. Es geht um das gelebte und gefühlte Geschlecht, nicht um das aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesene Geschlecht.
- Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung aller Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.
- Im Deutschen wird bis heute meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Variante ("Arzt"). Personen und Berufe werden grammatisch männlich bezeichnet, obwohl es in aller Regel auch eine weibliche Wortform gibt ("Ärztin").
- Seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption "divers" im Jahr 2018 wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.
- Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache gibt es seit den 1970er Jahren. Die Positionen sind oft verhärtet. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, andere empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.
(Quelle: lpb-bw.de)
Zum Aufklappen: Formen der gendergerechten Spache:
- Beidnennung: Beide Geschlechter werden genannt (z. B. Lehrerinnen und Lehrer) oder die weibliche Form wird durch Abkürzung hinzugefügt (Lehrer/-innen; LehrerInnen).
- Neutralisierung: Die männliche Form wird durch geschlechterneutrale Formen (z. B. Lehrkraft) oder Substantivierung (z. B. Lehrende) ersetzt.
- Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt (z. B. Lehrer*innen, Lehrer_innen, Lehrer:innen). Die Sonderzeichen sind Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.
(Quelle: Quarks.de)
Beamtenbund für Verbot
Da der CDU-Vorschlag auch auf ein Verbot in der Verwaltung abzielt, äußert sich auch der Thüringer Beamtenbund TBB. Der TBB vertritt Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Beim Thema Gendern sieht sich der Verband in einem Spagat: Einerseits müssten sich durch Sprache - und damit auch Verwaltungssprache - alle Menschen angesprochen fühlen. Andererseits, so der Verband schriftlich, "strebt der TBB eine verständliche, lesbare und zugängliche wertschätzende Sprache an". Für den Verband ist deshalb ein Verbot "zum aktuellen Zeitpunkt" das richtige Mittel.
Gibt es in anderen Bundesländern Genderverbote an Schulen?
Schon jetzt werden in Sachsen Genderformen als falsch in der Schule angestrichen. Das Bundesland setzte ein Verbot bereits im vergangenen Juli um. Sachsen-Anhalt folgte zum Start des Schuljahres. Vorreiter ist zudem Schleswig-Holstein, wo Schülern das Gendern bereits seit 2021 als Fehler angekreidet wird. Diskutiert wird ein Verbot zudem in Bayern und Hessen. Alle anderen Bundesländer machen ähnlich wie das Thüringer Bildungsministerium den Schulen keine Vorschriften.
Könnte es erneut zu einer Zusammenarbeit von CDU & AfD kommen?
Bereits im vergangenen Herbst hatten Vertreter der Bundes-CDU die Thüringer Unionsfraktion aufgefordert, keine weiteren Anträge gemeinsam mit der AfD abzustimmen. Damals hatte die CDU ihren Gesetzesentwurf zum Genderverbot zum ersten Mal ins Spiel gebracht. Die CDU-Partei-Vize Karin Prien hatte damals gesagt, den Gender-Gesetzentwurf gemeinsam mit der AfD durch den Landtag zu bringen, wäre ein Fehler.
Bei solchen gesellschaftspolitischen Themen gelte es, maximalen Abstand zur AfD zu halten. Ähnlich hatte sich Generalsekretär Carsten Linnemann geäußert. Die CDU sollte keine Kulturkämpfe führen, sondern sich mit echten Problemen beschäftigen, so Linnemann.
Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag weist darauf hin, dass sie für eigenständige politische Initiativen die volle Rückendeckung der Bundespartei habe. Ein Sprecher der Fraktion sagte dazu: "Wir bringen solche Ideen ein, die unserer Überzeugung entsprechen. Dabei können wir uns nicht davon abhängig machen, wer dem zustimmen würde."
Zusammenarbeit ist erneut denkbar
Zunächst bleiben CDU und AfD im Landtag mit ihren beiden Entwürfen Konkurrenten, obwohl sie sich inhaltlich sehr ähneln. Offen bleibt aber, ob die Entwürfe in dieser Woche die Mehrheit erhalten, um in den zuständigen Ausschuss zur weiteren Beratung überwiesen zu werden. Die FDP-Gruppe teilte dem MDR mit: "Wir können uns vorstellen, den Antrag der CDU zur weiteren Beratung in den Ausschuss zu verweisen."
Wenn auch die AfD dem CDU-Antrag zustimmt, wäre das Vorhaben einen Schritt weiter. Wenn es dann in ein paar Monaten gegebenenfalls zu einer finalen Abstimmung im Landtag käme, wäre es theoretisch möglich, dass auch dort der CDU-Antrag durch Abnicken der AfD eine Mehrheit fände. Ähnlich, wie das im Herbst bereits bei der Senkung der Grunderwerbsteuer geschah.
Andere Fraktionen fast alle gegen die Vorschläge
Im Landtag stoßen die Vorschläge ansonsten auf klare Ablehnung. Von der parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Dorothea Marx heißt es beispielsweise: "Wer die männliche Dominanz unserer Sprache in einem Gesetz festschreiben will, hat ein Problem mit seiner Prioritätensetzung."
Christian Schaft von der Linksfraktion kommentiert: "Mit diesem Kulturkampf um die Sprache leistet die CDU nur der AfD Vorschub. Und anstatt sich mit wichtigeren Fragen zu befassen, bspw. wie wir beim Schulgesetz oder Windenergiebeteiligungsgesetz zu gemeinsamen Lösungen kommen, ist es der Union wichtiger Verbotspartei zu sein."
Für die Grünen-Abgeordnete Laura Wahl zeigt der AfD-Antrag ein grundsätzliches Problem: "Es soll eine gesellschaftlich-sprachliche Entwicklung verboten werden, anstatt die Kontroverse - auch in den Schulen - sachlich auszudiskutieren. Dies könnte für Schüler*innen und Lehrer*innen eine spannende Unterrichtsstunde sein, in der das demokratische Aushandeln von Positionen geübt wird."
Bei der FDP ist noch unklar, wie sie sich am Ende positionieren wird. "Wer Menschen zum Gendern zwingen möchte, schafft neue Probleme", erklärt Gruppenchef Thomas Kemmerich. Was das genau mit Blick auf die Entwürfe meint, bleibt offen. Nur so viel: "Wir Freie Demokraten sagen Ja zu unserer Muttersprache und Nein zu jeglicher Bevormundung!"
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MDR (dst)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 02. Februar 2024 | 12:00 Uhr