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Genderstern, Doppelpunkt und Binnen-I - die CDU in Thüringen will das Gendern aus Einrichtungen verbannen. Bildrechte: IMAGO / Christian Ohde

SpracheCDU will gesetzliches Genderverbot - Mehrheit im Landtag fraglich

13. September 2023, 05:00 Uhr

An staatlichen Einrichtungen in Thüringen gilt gegenwärtig ein Appell, auf Genderzeichen zu verzichten. Mit der Einhaltung ist die CDU jedoch alles andere als zufrieden und visiert nun eine gesetzliche Regelung an. Dafür bräuchte sie die Stimmen der anderen Oppositionsparteien. Doch zum einen ist eine Zustimmung der FDP zum Gesetz äußerst fraglich. Zum anderen muss sich die Union abermals den Vorwurf gefallen lassen, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen.

von Wolfgang Hentschel und Sascha Richter, MDR THÜRINGEN

Die CDU-Landtagsfraktion will das sogenannte Gendern an staatlichen Einrichtungen rechtlich verbieten lassen. Die Union hat dazu einen Gesetzentwurf vorbereitet, der vorschreiben soll, im Landtag, in der Landesregierung, in Landesbehörden, Schulen, Gerichten und Staatsanwaltschaften auf Genderzeichen zu verzichten.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, sagte, es sei wichtig, dass in Schulen und Landeseinrichtungen eine klare und leicht verständliche Sprache gesprochen werde. Zwei Drittel der Menschen in Thüringen lehnten Gender-Sternchen und Doppelpunkt ab, sagte er. Die CDU wolle daher ein Zeichen setzen und ein entsprechendes Gesetz in den Landtag einbringen.

In Thüringen gilt ein Appell zum Gender-Verzicht

Bühl verwies auf einen Landtagsbeschluss vom Herbst vergangenen Jahres. Damals hatte das Parlament einem Antrag der CDU zugestimmt, dass Landtag und Landesregierung nicht gendern sollen. Die AfD hatte den Antrag unterstützt. Die FDP hatte nicht mit abgestimmt. Die Fraktionen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung hatten dagegen votiert.

Am Ende votierten von den 74 Abgeordneten, die in der Nacht im Plenarsaal anwesend waren, 38 für den Antrag und 36 dagegen. Damit setzte sich die Opposition gegen die Landtagsfraktionen der amtierenden Minderheitsregierung von Linke, SPD und Grünen durch. Der Beschluss war jedoch lediglich ein Appell, Genderzeichen nicht zu nutzen.

Andreas Bühl, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Laut Bühl kommt die Landesregierung diesem Landtagsbeschluss bis heute nicht nach. Die Union wolle daher ihre Forderungen jetzt gesetzlich festschreiben lassen.

Bei ihrem Entwurf richtet sie sich nach den Empfehlungen des Rats der deutschen Rechtschreibung. Demnach sollen alle Menschen zwar mit geschlechtergerechter Sprache angesprochen werden. Nicht empfohlen werden allerdings Genderzeichen, also Sonderzeichen im Wortinneren zur Kennzeichnung von Geschlechtsidentitäten. Dazu zählen Konstruktionen mit Binnen-I ("PolitikerInnen"), Unterstrichen ("Politiker_innen") oder Sternchen ("Politiker*innen").

Strafen bei möglichen Verstößen gegen das Genderverbot wolle die CDU im Gesetz nicht verankern. "Mit dem Gesetz wird die Verwaltung verpflichtet, das umzusetzen", sagte Bühl. Ihm zufolge wird der Gesetzentwurf voraussichtlich Anfang November erstmals im Landtag beraten.

Hintergrund

Zum Aufklappen: Was ist gendergerechte Sprache?

  • Das Wort "gender" kommt aus dem Englischen und bedeutet Geschlecht. Damit ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht gemeint.
  • Ein soziales Geschlecht bezieht sich auf alles, was als typisch für Frauen und Männer gilt. Es geht um das gelebte und gefühlte Geschlecht, nicht um das aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesene Geschlecht. 
  • Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung aller Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.
  • Im Deutschen wird bis heute meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Variante. Personen und Berufe werden grammatisch männlich bezeichnet, obwohl es in aller Regel auch eine weibliche Wortform gibt.
  • Seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption "divers" im Jahr 2018 wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.
  • Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache gibt es seit den 1970er Jahren. Die Positionen sind oft verhärtet. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, andere empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.

(Quelle: lpb-bw.de)

Zum Aufklappen: Formen der gendergerechten Spache:

  • Beidnennung: Beide Geschlechter werden genannt (z. B. Lehrerinnen und Lehrer) oder die weibliche Form wird durch Abkürzung hinzugefügt (Lehrer/-innen; LehrerInnen).
  • Neutralisierung: Die männliche Form wird durch geschlechterneutrale Formen (z. B. Lehrkraft) oder Substantivierung (z. B. Lehrende) ersetzt. 
  • Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt (z. B. Lehrer*innen, Lehrer_innen, Lehrer:innen). Die Sonderzeichen sind Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.

(Quelle: Quarks.de)

Holter will Schulen Gendern freistellen

Aus der Landesregierung kommen bereits jetzt warnende Worte. Bildungsminister Helmut Holter (Linke) verwies darauf, dass junge Menschen heute die Gendersprache bewusst verwendeten, auch, um so die Gleichberechtigung zu leben. Holter sagte, er habe es den Schulen freigestellt, ob gegendert werde oder nicht.

Holter warnte die CDU, mit ihrem Gesetzentwurf einen Keil zwischen Koalitions- und Oppositionsfraktionen zu treiben. Demokraten sollten zusammenstehen und zeigen, dass es um wichtigere Dinge gehe.

Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Koalitionsparteien werfen Union Stimmungsmache vor

Bei den Regierungsfraktionen stößt der CDU-Vorstoß auf massive Kritik. Linke-Fraktionschef Steffen Dittes sagte, damit greife die Union in wesentliche Freiheiten der Schulen und Universitäten ein. Außerdem entwickle sich Sprache immer weiter, das habe sie in den vergangenen Jahrhunderten auch getan. Die CDU wolle dagegen ihr konservatives Rollenverständnis beibehalten und suche am rechten Rand bei der AfD nach Zustimmung.

Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich sagte, der Gesetzentwurf zum Gendern zeige, dass es der CDU nur noch um Stimmungsmache gehe. Es sollte niemandem vorgeschrieben werden, wie er zu sprechen habe. Die CDU drifte immer weiter nach rechts ab. SPD-Fraktionschef Matthias Hey schloss sich der Kritik an. Seine Fraktion werde den Gesetzentwurf der CDU ebenfalls ablehnen.

Mehrheitsverhältnisse im LandtagCDU (21 Abgeordnete) und AfD (19 Abgeordnete) verfügen zusammen nicht über eine Mehrheit im Thüringer Landtag und können damit zusammen kein Gesetz verabschieden. Die FDP verfügt über vier Landtagsabgeordnete. Zwei Abgeordnete sind in der Gruppe der Bürger für Thüringen zusammengeschlossen und zwei Abgeordnete sind fraktionslos. 29 Landtagspolitiker sind in der Linkspartei, acht in der SPD und fünf bei den Grünen. Für eine Mehrheit im Landtag sind bei 90 Abgeordneten 46 Stimmen nötig.

AfD signalisiert Zustimmung, die FDP nicht

Da Linke, SPD und Grüne im Land bekanntermaßen keine eigene Mehrheit haben, könnte die CDU ihren Entwurf mit Stimmen der AfD, Bürgern für Thüringen beziehungsweise fraktionslosen Abgeordneten und der FDP-Gruppe durchbringen.

Die AfD signalisierte bereits Zustimmung. Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Stefan Möller, sagte, die Gendersprache abzulehnen, entspreche dem politischen Programm der AfD. Seine Fraktion werde über den Gesetzentwurf der CDU noch diskutieren. Aber tendenziell werde die AfD die CDU-Initiative unterstützen.

Fraglich ist, wie sich die FDP in dieser Angelegenheit verhält, denn die Liberalen könnten das Zünglein an der Waage sein. Ein Sprecher der FDP-Gruppe sagte, Sprache sei frei. Wer wolle, der könne gendern. Die FDP fordere aber auch niemanden auf, so zu sprechen. Nach Angaben des Sprechers werden die Freien Demokraten im Landtag dem Gesetzentwurf der CDU nicht zustimmen.

Vorwurf an Zusammenarbeit mit der AfD

Neben den ungewissen Mehrheitsverhältnissen muss sich die CDU abermals vorwerfen lassen, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Hintergrund ist auch eine mögliche gemeinsame Abstimmung mit FDP und AfD zur Senkung der Grunderwerbsteuer am Donnerstag im Landtag. Thüringens SPD-Chef Georg Maier nannte es einen "einzigartigen Vorgang", dass die Opposition so eine Steuersenkung und damit Einnahmeverluste in der Größenordnung von jährlich 50 Millionen Euro für die Landeskasse beschließen könnte.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Mahnende Stimmen kommen auch aus Berlin. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, "es ist leider keine neue Entwicklung, dass die CDU in Thüringen teils aus Angst, teils aus Überzeugung an Distanz zur AfD verliert". Es sei irritierend, dass die CDU inzwischen nicht mehr ernsthaft den Versuch unternehme, gemeinsam mit den demokratischen Wettbewerbern nach Kompromissen zu suchen. Der Bundes-CDU warf Kühnert vor, "keinerlei Autorität zu besitzen, den von Friedrich Merz ausgerufenen Kurs der AfD-Abgrenzung bei den Parteifreunden in Erfurt durchzusetzen".

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MDR (wh/sar)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 13. September 2023 | 07:00 Uhr

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