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Thüringer LandtagWarum der Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" bisher keine Akten hat

13. September 2022, 05:00 Uhr

Der Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" im Thüringer Landtag hat bei Polizei und Justiz tausende Akten zu extremistischen Straftaten angefordert. Bisher ist noch kein Blatt angekommen - weil die Bürokratie den Ball zurückgespielt hat.

von Bastian Wierzioch, MDR THÜRINGEN

Seit April fordern die beteiligten Landtagsfraktionen von Innen- und Justizministerium tausende Akten zu extremistischen Kriminalfällen, um diese auszuwerten. Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften oder Gerichte sollten bislang eigentlich Ermittlungsakten, Unterlagen über Strafverfahren und Observationsberichte geliefert haben. Auch Unterlagen zu menschlichen Quellen, extremistischen Personen und Gruppierungen sowie Unterlagen zu Finanzermittlungen, Durchsuchungen und Waffenfunden wurden erbeten. Die Arbeit des Gremiums ist bisher bis Ende des kommenden Jahres geplant.

Der Vorsitzende des Untersuchungssauschusses, Raymond Walk (CDU), will auf Lieferung der Akten dringen. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Der Vorsitzende des Untersuchungssauschusses, Raymond Walk von der CDU, bezeichnete die bisher ausgebliebenen Aktenlieferungen auf MDR-Anfrage als "generell problematisch". Der Innenpolitiker kündigte an, die Lieferung der Akten und Unterlagen bei der Ausschusssitzung am Dienstag im Landtag "dringend anzumahnen".

Politisch motivierte Gewalt in Thüringen

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss "Politische Gewalt" soll klären, wie sich die politisch motivierte Kriminalität in Thüringen in den vergangenen 10 Jahren entwickelt hat und wie die Thüringer Behörden mit diesen Entwicklungen umgegangen sind. In der Hauptsache wird es dabei um Rechtsextremismus sowie um Linksradikale gehen. Religiös motivierte Kriminalität und radikale Querdenker dürften vermutlich Nebenrollen spielen.

Elfköpfiger Ausschuss

Der elfköpfige Ausschuss setzt sich aus Abgeordneten der rot-rot-grünen Regierungskoalition sowie den oppositionellen Fraktionen von AfD und CDU zusammen. Eingesetzt wurde das Gremium auf Betreiben der CDU, die damit eines ihrer Minderheitenrechte als Oppositionspartei wahrnimmt.

Justizministerium: Anforderung grundsätzlich zu pauschal und ungenau

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN dürfte das bisherige Ausbleiben des Aktenmaterials mit der Art und Weise zusammenhängen, wie es von den Fraktionen angefordert wurde. So legt es zumindest ein Schreiben des Justizministeriums nahe, das der Redaktion vorliegt. Daraus geht hervor, dass dem Ministerium die Anträge der Fraktionen grundsätzlich zu pauschal und ungenau sind. Allen voran der Antrag der CDU, die "Akten sowie polizeiliche Vorgänge, Verfahrensvorgänge und dazugehörige Unterlagen" zu sämtlichen "Ermittlungs- und Strafverfahren im Bereich der politisch motivierten Gewaltkriminalität in Thüringen seit 2011" angefordert hatte.

Ministerialbürokratie verweist auf fehlende "Personalressourcen"

Das Ministerium geht davon aus, dass es sich hierbei um "deutlich mehr als 1.000 Fälle" handeln dürfte. Die Ministerialbürokratie verweist auf fehlende "Personalressourcen" sowie auf einen "unvertretbar hohen zeitlichen und personellen Aufwand zu Lasten des gewöhnlichen Dienstbetriebes sowie einer uneingeschränkten Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaften". Gleichzeitig fordert das Justizministerium nun von den Fraktionen exakte Suchkriterien, um das gewünschte Material zur Verfügung stellen zu können. Darunter: Namen, Geburtsdaten, Tatzeit, Tatort, Tatgeschehen, aber vor allem die jeweiligen justiziellen Aktenzeichen. CDU-Mann Walk hat angekündigt, solche Daten nun nachzureichen.

Die übrigen Fraktionen im Ausschuss haben den Ministerien zwar zahlreiche konkrete Fälle genannt. Doch auch in diesen Anträgen fehlen laut Justizministerium entscheidende Details, nach denen nun verlangt wird. Dazu teilte die Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss für Rot-Rot-Grün mit, inzwischen fehlende Aktenzeichen sowie Beschuldigten-Namen oder Geburtsdaten nachgeliefert zu haben. Weitere konkrete Suchparameter würden folgen.

Datenschutz bei noch nicht abgeschlossenen Verfahren

Als problematisch sieht das Ministerium zudem offenbar Anfragen zu noch nicht abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungen an. Hier wird auf Datenschutz sowie Unschuldsvermutung verwiesen und empfohlen, sich an die zuständigen Gerichte zu wenden. Davon ist vor allem die AfD-Fraktion betroffen, die zahlreiche Akten zu laufenden Ermittlungen angefordert hat. Darunter Material zu mehreren Brandanschlägen auf Immobilien der extrem rechten Szene in Thüringen im Jahr 2021 oder zu mehreren Überfällen, die mutmaßlich auf das Konto von Linksradikalen gehen sollen.

Sachverständige aus Berlin geladen

Am Dienstag wird auf Antrag von Rot-Rot-Grün die Berliner Rechtsanwältin Anna Luczak als Sachverständige erwartet. Bei der Vernehmung der Expertin für Polizei- und Versammlungsrecht wird es einmal mehr um die polizeiliche Kriminalstatistik gehen - einer der bisherigen inhaltlichen Schwerpunkte der Ausschussarbeit. Das Thema ist von Bedeutung, weil auf Grundlage dieser Zahlen konkrete Politik gemacht wird. Auf Basis der Statistik werden Budgets vergeben und Posten besetzt, Ermittlungen geführt und sicherheitspolitische Schwerpunktsetzungen getroffen.

Die bisherige Ausschussarbeit dazu wurde für Beobachter immer dann am interessantesten, wenn es um offene Fragen zur Kriminalstatistik ging. So bestätigte etwa im Juni der Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes, Jens Kehr, auf Nachfrage der Abgeordneten, dass Straftaten von "Reichsbürgern" von der Polizei nicht in die Kategorie "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" einsortiert werden.

Diese Aussage war bei manchen Abgeordneten auf Unverständnis gestoßen, weil sich "Reichsbürger" häufig auf einer "klaren Argumentations- und Ideologie-Linie, die definitiv in ein rechtes Spektrum führt" bewegten, wie es beispielsweise aus Reihen der Grünen hieß. LKA-Präsident Kehr verwies in diesem Zusammenhang auf eine Arbeitsgruppe des Bundeskriminalamtes, die sich derzeit mit dem Einstufungs-Thema beschäftige.

Linke Gewalt: Ehemalige LKA-Präsidenten geladen

Für den Dienstagnachmittag werden drei ehemalige hochrangige Thüringer Polizisten als sachverständige Zeugen erwartet. Zwei davon waren Vorgänger von Kehr an der Spitze des Thüringer Landeskriminalamtes. Der dritte arbeitete dort als Abteilungsleiter "Polizeilicher Staatsschutz". Die drei treten auf Antrag der AfD-Fraktion auf und sollen zum Thema linke Gewalt vernommen werden.

MDR (caf)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | THÜRINGEN JOURNAL | 02. Mai 2022 | 19:00 Uhr