Vor Thüringer LandtagswahlPolitische Ausstellung provoziert im Erfurter Museum
Die Thüringer Landtagswahl und der befürchtete Sieg der AfD schlägt sich 2024 auch in Ausstellungen im Freistaat nieder. So ist in Erfurt eine kleine Sonderschau mit dem Titel "33 Geistesblitze" zu sehen. Die Kunsthalle hat dafür antifaschistische Fotocollagen von John Heartfield aus den 1930er-Jahren hervorgeholt. Dazu versammelt die Schau aktuelle Gedanken von teils prominenten Thüringer Politikern und Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kirche.
- Die Erfurter Kunsthalle zeigt antifaschistische Fotocollagen des Dadaisten John Heartfield aus den 1930er-Jahren.
- Die Werke werden von aktuellen Kommentaren von Thüringer Persönlichkeiten wie Bodo Ramelow begleitet und eingeordnet.
- Heartfields Gegenpropaganda zur nationalsozialistischen Machtübernahme wird heute von vielen kritisch gesehen.
Eine Agitprop-Ausstellung, die auf die aktuelle Situation abzielt, hat es in kommunalen oder staatlichen Museen lange nicht gegeben. Doch besondere Zeiten erfordern besondere Mittel, haben sich die Organisatoren der Schau "33 Geistesblitze" in Erfurt gedacht – der Erfurter Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler und Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke Medien in Thüringen.
Sie suchten, in Analogie zum Jahr 1933, der Machtergreifung Hitlers, 33 Foto-Collagen von John Heartfield heraus, zu denen sie 33, teils prominente Politiker, Sport- und Wirtschaftsfunktionäre aus dem Freistaat baten, ihre Gedanken niederzulegen – vor dem Hintergrund der als "Schicksalswahl" apostrophierten Stimmabgabe im September.
Politiker wie Ramelow äußern sich
Gleich am Anfang dementiert die Schau die Geschichtsparallele zwischen 1933 und 2024, um sie dann doch in der Schau zu bedienen. In der Kunsthalle Erfurt, in einem kleinen Seiten-Raum, ist auch ein Text von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken zu finden. Er sorgt sich darin vor allem um die aktuelle Kriegsgefahr in Europa, vor der auch Heartfield in den 1930ern warnte.
"Millionenfach hat sich bewahrheitet, wie visionär die Collage von John Heartfield war – und sie bleibt zeitlos aktuell", schreibt Bodo Ramelow in der Schau. "Wahr bleibt aber auch: Selbst die Deutlichkeit, mit der John Heartfield seine Warnungen formuliert hat, hat das Verderben nicht verhindern können."
Kunst und Propaganda
Man muss in der Ausstellung viel lesen. Die Texte sind das eigentliche Neue, die Collagen von Heartfield hingegen bekannt – vor allem, wenn man in der DDR sozialisert wurde. Vielleicht sind sie aber schon etwas in Vergessenheit geraten. John Heartfield, ein Kommunist, schuf für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung in den 1930er-Jahren seine antifaschistischen Collagen, die auch heute erkennen lassen, dass er mit seinen Bildfindungen Avantgarde war.
Nur der propagandistisch-scharfe Ton schreckte damals viele ab. Was auch heute der Fall ist, so gibt in der Ausstellung etwa Stefan Lobenstein, Präsident der Handwerkskammer Thüringen, in seinem Text zu bedenken: "Richtig gute Kunst ist für mich solche, die mich sinnlich erreicht, die nicht erklärt, sondern inspiriert, die Fragen stellt und nicht die Antwort (vor-)gibt. [...] Heute leben wir jedoch wieder in einer Welt ohne Debattenkultur."
Aktuelle Kommentare durch Thüringer Persönlichkeiten
Fast rührend ist es, zu sehen, wie viele aus dem Freistaat sich darauf eingelassen haben, ihre Gedanken zu Heartfields alten Plakaten und der neuen politischen Situation zu entwickeln. Künstler findet man allerdings eher weniger unter den Schreibenden.
Dafür liest man Texte bekannter Persönlichkeiten aus Thüringen, wie etwa Landesbischof Friedrich Kramer, Stefan Traeger (Vorstandsvorsitzender von Jenoptik), Ulrike Lorenz von der Klassik Stiftung Weimar oder Erfurts Kulturbeigeordneter Tobias Knoblich. Letzterer verfällt in einen fast elegischen Ton wie man ihn von Johannes R. Becher kennt, in dem er vom "vorschnellen Wir" schreibt und davon "Meinung als Meinung zu markieren, wo sie Wahrheit und Wahrhaftigkeit verdrängt."
Heartfields Kunst wird heute kritisch gesehen
Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee bei der Aktion mitgemacht. Er reflektiert seine Beziehung zu Heartfield in DDR-Jugendtagen und meint, dessen Fotocollage sei "ein Lehrbeispiel für eine überzogene Komplexitätsreduktion, die der Vielschichtigkeit gesellschaftlich-politischer Verhältnisse nicht gerecht wird." Und Tiefensee plädiert dafür, heutzutage die biographische Perspektive auf den Künstler nicht zu vernachlässigen. Heartfields Fotocollage sei zwar ästhetisch revolutionär, aber weise eine Reihe problematischer Bezüge auf.
Als kommunistischer Künstler in der DDR hofiert
Kai-Uwe Schierz, Direktor der Kunsthalle Erfurt, betont, dass John Heartfield in der DDR nicht seiner herausragenden Bildsprache wegen als Dadaist rezipiert wurde, sondern als Kommunist: "Wir müssen auch geschichtlich erkennen, dass das eine Argumentation ist, auch mit Fallstricken, weil er auch ein Mensch seiner Zeit war und als Kommunist eine bestimmte Prägung und auch Brille hatte", so Schierz. Heartfield habe "bestimmte Prozesse in seiner Zeit anders beurteilt als wir sie heute beurteilen. Wir können heute diese Dinge neu lesen."
Polarisierende Ausstellung in Erfurter Kunsthalle
Die Ausstellung spielt auch damit, dass man erfährt, wie Personen des öffentlichen Lebens in Thüringen denken. Nicht alle der Schreibenden sind mit Heartfields Propaganda einverstanden. Bei manchen merkt man, dass sie im Agitieren ungeübt sind, was für sie spricht – und manche sind auch nicht ganz auf der Höhe der Geschichtsforschung, wenn sie über die Nazi-Zeit schreiben.
Wie Flugblätter sind die 33 Standpunkte an die Museumswände genagelt, was das Agitprop-Kolorit verstärkt und manchen, zusammen mit Heartfields Collagen, an Agitationsschauen aus den 1930er-Jahren erinnert – mit neuem Impetus. Gleichgültig wird die Ausstellung wohl die wenigsten lassen, ob es wegen der "33 Geistesblitze" ist, die sie in ihrem Titel vorgibt, sei dahingestellt.
Angaben zur Ausstellung
Ausstellung "33 Geistesblitze. Antifaschistische Fotomontagen von John Heartfield. 2024 neu gelesen"
8. März bis 26. Mai 2024
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr
Donnerstag von 11 bis 22 Uhr
Feiertage 11 bis18 Uhr (auch 1. April., 20. Mai)
jeden 1. Dienstag im Monat Eintritt frei
Begleitprogramm
14. April 2024, 11:30 Uhr: Führung
14. April 2024, 13:00 Uhr: Film "Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield" und Gespräch. Ort: Kinoklub am Hirschlachufer
15. bis 17. April: Film "Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield". Ort: Kinoklub am Hirschlachufer
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. März 2024 | 07:40 Uhr