Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

TheaterWortgefechte und offene Briefe: Zoff um Puppenspiel im Waidspeicher Erfurt

28. Februar 2023, 15:33 Uhr

Nach dem Willen der Stadt Erfurt soll die Puppenbühne im Waidspeicher ins Große Theater integriert werden. Die Puppenspieler wollen eigenständig bleiben: Sie fürchten, als Teil der großen Bühne "zermahlen" zu werden.

von Antje Kirsten, MDR THÜRINGEN

Irgendwie passt beides zusammen: Kampf und Schicksal. Im Puppentheater im Erfurter Waidspeicher hatte am Freitag "Gold Macht Liebe Tod - Das Nibelungenlied" Premiere. Da rollten am Ende (Puppen-)Köpfe. Ein uraltes Stück um Macht und Ohnmacht.

In ein ebensolches Drama fühlen sich aktuell die Theaterschaffenden versetzt, soll nach dem Willen der Stadt doch die Puppenbühne ins Große Theater integriert werden - genauer gesagt: re-integriert werden. Bis 1993 gehörte es zum Theater. Seitdem ist es ein eigenständiges, professionelles Puppentheater mit eigener Spielstätte - geführt von einem gemeinnützigen Trägerverein.

Puppentheaterfestival in Erfurt seit 1992

Puppen können so viel mehr als Menschen. Nicht nur, dass sie fliegen und locker zwei Meter in die Höhe hüpfen, sie können als zeigefingergroße Holzmännchen berühren, verzaubern, erstaunen und als Mega-Stelzen-Figuren überraschen. Sie hängen an und in den Seilen, werden an Stäben oder spielerisch von Hand geführt.

All das macht die Magie dieses Genres aus. Das Puppentheater im Erfurter Waidspeicher holt seit 1992 mit dem internationalen Puppentheaterfestival "Synergura" auch regelmäßig die weltbesten Puppen-Schauspieler und Inszenierungen nach Erfurt und gastiert mit seinen Stücken ebenfalls auf den Bühnen der Welt, unter anderem in Israel und Amerika.

Wortgefecht um Puppenbühne

Stadtrat und Stadtspitze wissen das zu schätzen. Der Kulturbeigeordnete Tobias Knoblich lobt das Theater: "Ich schätze diese ungeheure Spielfreude und die Vielfalt, auch das genreübergreifende Arbeiten. Das ist künstlerisch so was Großartiges. Das geht weit über das hinaus, was wir aus unserer Kindheit kennen". Doch um die Puppenbühne wird ein Wortgefecht geführt. Offene Briefe eilen durch die Stadt.

Denn Erfurt diskutiert seit Monaten über das Theater der Zukunft oder besser über die Zukunft der Theater. Da ist der Waidspeicher zwangsläufig mit in den Fokus geraten. "Es wird geprüft, ob das Puppentheater reintegriert werden kann ins große Haus. Denn da gibt es Doppelstrukturen wie das Marketing, das Ticketing, die Werkstätten. Hinzu kommt, dass das Haus saniert werden muss", sagt Knoblich.

Tobias Knoblich ist seit Februar 2019 Beigeordneter für Kultur und Stadtentwicklung der Stadt Erfurt. Bildrechte: MDR/Robert Löwig

Es gehe, und da macht er beim Sprechen ein hörbares Ausrufezeichen, nicht darum, das Puppentheater in seiner Gestalt und künstlerischen Leistungsfähigkeit zu beschneiden. Vielmehr gehe es darum, die Dinge hinter den Kulissen wie die Werkstätten zusammenzuführen. Der Spielplan des Theaters insgesamt müsse angeschaut werden. Wenn es dann weniger Musiktheater beispielsweise gibt, ist Platz für Neues wie für Schauspiel, Puppentheater und Tanz.

Zurück ins Große Theater

Mancher mutmaßt auch schon, dass die Stadt das Haus Waidspeicher am Domplatz und damit ein Filetstück auf dem Immobilienmarkt verkaufen will. "Never" fällt Knoblich spontan ins Englische. "Die Spielstätte wollen wir erhalten, aber sie muss saniert werden."

Das Puppentheater im Erfurter Waidspeicher ist seit 1993 ein eigenständiges, professionelles Theater mit eigener Spielstätte. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Wir fürchten einen Kulturabbau.

Arnd Grützmüller | Betriebsratschef am Theater Waidspeicher

Auf die Pläne, das Figurentheater ins Große Theater zurückzuführen, haben inzwischen viele reagiert. Einen offenen Brief hat Betriebsratschef Arnd Grützmüller geschrieben im Namen der 27-köpfigen Belegschaft. "Wir fürchten einen Kulturabbau. Das Große Haus hat eine begrenzte Anzahl an Räumen. Wo wollen sie uns dort unterbringen mit rund 300 Veranstaltungen im Jahr und 25.000 Besuchern?"

Es gebe deutschlandweit, sagt Grützmüller, auch andere Theater, wo es so begonnen hat. "Da war am Anfang die Puppenspielsparte auch groß, doch man wird zermahlen in diesen großen Häusern. Am Ende bleiben zwei, drei Puppenspieler und ein Techniker, die drei Stücke im Jahr aufführen. Dafür sind wir nicht angetreten."

Wir wollen ja weg von dem alles beherrschenden Intendanten.

Tobias Knoblich | Erfurter Kulturbeigeordneter

Knoblich hält entgegen, es gehe darum, das Theater im Ganzen neu zu denken. Und es ist, sagt er, "nicht per se Teufelszeug, Dinge unter einem Dach zu vereinen". Aber auch Knoblich räumt ein, dass die Gefahr grundsätzlich besteht, dass die Puppenbühne untergebuttert wird. "Es ist eine Frage, wie man das Ganze organisiert. Wenn man möchte, dass alle gleichberechtigt existieren, kann man das mit Spartenchefs oder ähnlichen Strukturen organisieren. Wir wollen ja weg von dem alles beherrschenden Intendanten. Das ist dann die Aufgabe einer kooperativen Theaterleitung."

Offener Brief vom Oberbürgermeister

Der Theatertransformationsprozess ist ein öffentlicher, es gab schon einige Abendveranstaltungen und Workshops. Doch die Idee, das Puppenspiel ins Große Haus zu reintegrieren, erhitzt mehr als alles andere die Gemüter. Sogar so sehr, dass auch Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) zu Stift und Zettel (Laptop) gegriffen und seinerseits einen offenen Brief an den Betriebsrat geschrieben hat.

Darin heißt es unter anderem: "Ihr Theater verfügt zwar über eine privatrechtliche Rechtsform als eingetragener Verein, wird aber im Wesentlichen aus öffentlichen Zuwendungen finanziert. Die Satzung räumt Stadt und Land Mitwirkung ein; über die Perspektive des durch die öffentliche Hand ermöglichten Spielbetriebs entscheidet letztlich auch die öffentliche Hand. Es sei denn, das Haus fände alternative Finanzierungsquellen oder verließe sich auf die Eintrittserlöse, was beides abwegig ist."

Daher könne Bausewein nicht nachvollziehen, "warum Sie von der 'Eigenständigkeit als Privattheater' sprechen, wo sie doch nur de jure gegeben ist, und durch eine gemeinsame Finanzierungsvereinbarung de jure ein öffentlicher Kulturauftrag ausgestaltet wird. Dass Sie zudem eine städtische Immobilie nutzen, dürfte für die Interpretation nicht unwesentlich sein".

Trägerverein schreibt offenen Brief

Da wird im Wortgefecht dann schon nach der sehr spitzen Feder gegriffen. Die Puppenbühnen-Intendantin ist momentan erkrankt und hat sich aus diesem Grund noch nicht in die Debatte eingebracht. Der Trägerverein aber sehr wohl. Auch er hat einen offenen Brief geschrieben und stellt zunächst fest: "Der Trägerverein war seit seiner Gründung Garant für die Existenz und Zukunft des Theaters Waidspeicher und des Internationalen Puppentheaterfestivals Synergura."

Sein ehrenamtlicher Vorstand engagiere sich etwa durch unzählige Verhandlungsrunden mit den Zuwendungsgebern, aber auch mit "der Abwehr von periodisch wiederkehrenden Bestrebungen, dem Theater seine räumliche Heimstatt zu nehmen oder es auf andere Weise zu beschneiden." Aufgabe des Vereins sei es immer gewesen, dem Theater den Rücken in Sachen Finanzierung und Standort im historischen Waidspeichergebäude freizuhalten, um die künstlerische Theaterarbeit zu ermöglichen, heißt es weiter.

Und daher schlägt der Verein Alarm: "Der Erfolg der Arbeit der 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ensembles ist mit mehr als 300 jährlichen Veranstaltungen, ein Großteil davon im Bereich Kinder- und Jugendtheater, sowie einer Auslastung von 85 Prozent im langjährigen Mittel gut ablesbar. Dieser Erfolg wird durch die Anstrengungen der Stadt Erfurt akut gefährdet."

Generalintendant des Theaters Erfurt äußert sich nicht

Und was sagt der Herr des Großen Hauses über den gewollten Zuzug? Generalintendant Guy Montavon ist noch bis 2027 im Amt. Doch er wird nicht konkret: "Es war sowieso ein Teil des Theaters, es könnte wieder ein Teil werden. Das habe ich nicht zu entscheiden und noch weniger zu kommentieren."

Bis 2027 ist Guy Montavon noch Generalintendant des Erfurter Theaters. Bildrechte: picture alliance / Zentralbild/dpa-Zentralbild/dpa | Zentralbild

Nun wird weiter diskutiert, denn entschieden ist noch nichts. Der Theatertransformationsprozess stellt alles auf den Prüfstand. Dabei steht für Erfurts Kulturbeigeordneten Knoblich fest: "Wir müssen Strukturen schaffen, die uns auch langfristig Theater ermöglichen. Denn es muss finanzierbar sein."

Mehr zum Erfurter Waidspeicher

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. Februar 2023 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen