Jahrelange VorarbeitErfurt erhält Weltkulturerbe-Titel der Unesco
Erfurt gehört ab sofort zum Unesco-Welterbe. In Saudi-Arabien vergab ein Unesco-Komitee den Titel für das jüdisch-mittelalterliche Erbe der Thüringer Landeshauptstadt. Eine jahrelange Vorarbeit wurde damit gekrönt.
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Das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Erfurt gehört ab sofort zum Unesco-Welterbe. Das beschloss am Sonntagnachmittag das zuständige Komitee auf seiner Tagung in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad.
Die Alte Synagoge, das mittelalterliche Ritualbad - die Mikwe - und ein historisches Wohngebäude, das sogenannte Steinerne Haus, bilden damit die 52. Welterbestätte in Deutschland.
Drei Gebäude stehen für Erfurter Weltkulturerbe-Titel
Alte Synagoge
Erfurts Alte Synagoge gilt als eine der ältesten, bis zum Dach erhaltenen Synagogen in Mitteleuropa. Bei einem Pogrom 1349 wurde das jüdische Viertel um die Synagoge herum in Brand gesetzt, fast alle der rund 1.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde starben. Forscher gehen, wenn überhaupt, nur von wenigen Überlebenden aus. Nach dem Pogrom wurde die Alte Synagoge zunächst zu einem Lagerhaus umfunktioniert und später als Gaststätte sowie Tanzsaal genutzt. Die Stadt vermutet, dass das Gebäude aus diesem Grund später vor der Zerstörung durch die Nazis bewahrt wurde. Heute befindet sich in der Alten Synagoge, deren älteste Bauspuren um 1094 datiert werden, ein Museum. Ausgestellt werden Zeugnisse des jüdischen Lebens im mittelalterlichen Erfurt.
Dazu gehören mehrere Tausend Silbermünzen und -barren sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Als bedeutendstes Stück gilt ein goldener Hochzeitsring. Forscher vermuten, dass dieser sogenannte Erfurter Schatz während des Pogroms vergraben wurde. Entdeckt wurde er bei archäologischen Untersuchungen 1998 nahe der Alten Synagoge.
Freier Eintritt in die Alte SynagogeDie Alte Synagoge lädt vom Dienstag, 19. September, bis Sonntag, 24. September, zum kostenfreien Besuch ein. Geöffnet ist jeweils von 10 bis 18 Uhr.
In der aktuellen Sonderausstellung "In and Out - Between and Beyond" zeigen sieben israelische Künstler zeitgenössische Arbeiten. Sie setzen sich mit verschiedenen Aspekten des alltäglichen Lebens jüdischer Gemeinden im mittelalterlichen Aschkenas auseinander. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit der Hebrew University Jerusalem.
Mikwe
Die direkt am Ufer des Flusses Gera gelegene Erfurter Mikwe gehört zu den wenigen erhaltenen Beispielen mittelalterlicher Gemeinde-Mikwen. Die Form des Baus unterscheidet sich von den sonst erhaltenen Schacht- oder Kellermikwen etwa in Köln und Speyer. Die jüdische Gemeinde besaß wohl schon im zwölften Jahrhundert eine Mikwe an der Gera. Die Nutzung des rituellen Bades endete spätestens 1453 beziehungsweise 1454, als der Stadtrat die Abwanderung der Juden erzwang. Das Ritualbad wurde durch Zufall erst vor rund 16 Jahren entdeckt.
Das Steinerne Haus
Das um 1250 errichtete Steinerne Haus ist ein Profanbau und hat weder eine rituelle noch religiöse Bedeutung. Die gut erhaltenen Strukturen in dem Gebäude mit Portalen, Lichtnische und farbig gefasster Holzbalkendecke bezeugen das jüdische Leben im Hochmittelalter. Seit dem 15. Jahrhundert wurde das Gebäude als Lagerhaus genutzt. Das Steinerne Haus muss restauriert werden und ist noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.
"Schatz hüten wie unseren Augapfel": Reaktionen auf Unesco-Titel
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) lobte die drei ausgezeichneten Bauwerke in der Altstadt als bauliche Kleinode, die auf einmalige Weise vom friedlichen Miteinander jüdischer und christlicher Gemeinschaften im Mittelalter zeugten. "Möge von Thüringen mit dieser Entscheidung die Botschaft eines Lebens in Vielfalt und friedlichem Miteinander ausgehen", erklärte er nach der Entscheidung. Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) sieht in dem Titel die Krönung einer jahrelangen, akribischen Vorbereitung. "Jetzt, da Erfurt mit dem Welterbetitel geadelt wurde, müssen und werden wir diesen Schatz hüten und wahren wie unseren Augapfel", sagte er.
Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, sieht in dem Welterbetitel einen Anziehungspunkt für Touristen. Auch die jüdischen Gemeindemitglieder würden sich nun noch mehr zu Hause fühlen. Schramm hofft im Zuge des Welterbetitels zudem auf ein koscheres Restaurant in Erfurt.
Die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer, sagte, über Jahrhunderte seien die jüdischen Monumente fast vergessen gewesen. Ihre Wiederentdeckung sei ein großes Geschenk.
Erfurt sieht mit dem Welterbe-Status die Verpflichtung, die drei Stätten zu pflegen und weiter zu erforschen. So wird in der Stadt beispielsweise an der Idee für ein Welterbezentrum hinter dem Rathaus gearbeitet. Vor zwei Jahren hatte die Unesco erstmals jüdisches Kulturgut in Deutschland ausgezeichnet. Die sogenannten Schum-Stätten in Mainz, Worms und Speyer erhielten damals als eine Wiege des europäischen Judentums den Welterbe-Titel.
Ab sofort fünf Weltkulturerbe-Stätten in Thüringen
Die Entscheidung in Saudi-Arabien war am Sonntag live in den Festsaal des Erfurter Rathauses übertragen worden. Rund 200 Gäste verfolgten die Sitzung in Riad. In der Welterbe-Bewerbung hatten insgesamt 15 Jahre Forschung an Erfurts und damit Thüringens jüdischer Vergangenheit gesteckt. Es ist Thüringens fünftes Unesco-Welterbe - nach der Wartburg, dem klassischen Weimar, dem Bauhaus-Weimar sowie dem Nationalpark Hainich.
Mehr zum langen Weg von Erfurt zum Unesco-Weltkulturerbe
MDR (kir/nis)/dpa/Afp
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 17. September 2023 | 19:00 Uhr
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