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Der Außerirdische

2011 holte Lessmann vier bis heute prägende Sportler nach Elxleben: Zum einen die beiden Guards Jens Albrecht und Teemu Partanen. Albrecht wechselte aus Jena und ist bis heute mit seinem herausragenden Stellungsspiel ein großer Stabilisator des Teams. Partanen hingegen ist ein Spaßmacher, der nicht nur auf dem Feld verrückte Sachen anstellt. Lessmann erinnert sich, wie ihn Partanens Mutter aus Finnland anrief und fragte, ob sie den Teemu gebrauchen könnten, denn zu Hause mache der nur Blödsinn! Im selben Jahr gewährte Lessmann einem jungen Trainer Unterkunft, der gerade aus Berlin nach Thüringen gezogen war und hier den Basketball Club Erfurt coachen würde: Michael Engel. Der gebürtige Brandenburger wohnte, lange bevor er hier Trainer werden würde, in Elxleben in einer WG mit Aliaksandr Halouski - dem gerade gelandeten "Außerirdischen".

Lutz Lessmann entdeckte Alex Halouski bei einem Vorbereitungsturnier 2011 in Sankt Petersburg:

Das werde ich nie vergessen: Ich saß Sonntagmorgen gelangweilt im Hotel und dachte mir, was soll's, ich fahr schon in die Halle und schau mir das Spiel Litauen gegen Weißrussland an. Es war 9 Uhr morgens, ich war der einzige Zuschauer in der Halle und das Spiel war kein rollstuhlbasketballerischer Leckerbissen. Aber bei Weißrussland fuhr einer rum, schwerfällig wie ein Traktor, aber wenn er gestanden hat, hat er einen ganz feinen Wurf gehabt. Da dachte ich, das wäre einer für uns.

Lutz Lessmann, Manager

"Das Team ist wie eine Familie" sagt Alex Halouski. Hier im Gespräch mit Mitspielerin Jitske Visser. Bildrechte: MDR/Franziska Möller

Nach dem Spiel ging alles ganz schnell. Lessmann holte ein paar Informationen ein und erfuhr, dass der "Traktor" Halouski eines der größten Basketballtalente in Weißrussland war und mit Sicherheit in der NBA gespielt hätte, wären ihm vorher nicht die Knie kaputt gegangen. Seit wenigen Wochen spielte er nun Rollstuhlbasketball und wäre deshalb noch etwas unbeholfen auf den Rädern. Kurz entschlossen sprach ihn Lessmann an und fragte, ob er Lust hätte, seinen Rollstuhlbasketball in Deutschland weiterzuentwickeln. Halouski scherzte zurück: "Wenn Sie mich ernsthaft einladen, dann laufe ich sogar bis nach Deutschland." Lessmann kaufte ihm ein Flugticket und der Rest ist Rollstuhlbasketball-Geschichte.

Vom Underdog zum Champion

Mit Halouski als Center spielte das RSB Team eine sensationelle erste Saison und wurde Dritter. Je mehr sich Halouski an den Rollstuhl gewöhnte, desto außerirdischer wurde er. Seine Beweglichkeit im Stuhl, sein Durchsetzungsvermögen unter dem Korb und vor allem sein unfassbar sicherer Wurf machen ihn einzigartig. Heute ist er einer der besten Rollstuhlbasketballer der Welt, wirft an schlechten Tagen 20 Punkte und an guten weit über 40! Er gilt als herausragender Sportler, Teamspieler und arbeitet jeden Tag daran sich zu verbessern. Er spricht fließend Deutsch, hat nach nur vier Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, ist deutscher Nationalspieler und arbeitet in einem Ingenieurbüro. Er ist bescheiden, höflich, hilft seinen Mitspielern in den Rollstuhl und hält jedem die Tür auf. Er ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration.

Der Weg des Oettinger RSB Team Thüringen führte seit 2011 nur noch nach oben. 2014 schloss sich Andre Bieneck an und mit ihm kratzte die Mannschaft in diesem und im folgenden Jahr an der Meisterschaft. Längst war die Liga zum Zweikampf zwischen Lahn-Dill und dem RSB geworden. Verschiedenen Abwerbeversuchen - vor allem von Halouski - konnte sich der RSB erwehren, weil Lessmann für viele Spieler eine Art Vaterfigur geworden war und sich hier eine Gemeinschaft gefunden hatte. 2016 kehrte Michael Engel als Co-Trainer und Sponsorenbeauftragter nach Elxleben zurück, nachdem er fünf Jahre erfolgreich für den Basketball Club Erfurt gearbeitet hatte.

Zusammen mit dem langjährigen Trainer Josef Jaglowski gelang 2016 schließlich die Sensation: Der Gewinn von Meisterschaft, Pokal und dem europäischen André-Vergauwen-Cup. Für Jaglowski war es die letzte Spielzeit in Elxleben. Er gönnte sich eine Auszeit und Michael Engel übernahm. Mit ihm als Trainer setzten die RSB Thuringia Bulls ihre Titelsammlung fort: 2018 gewannen sie die Champions League und die Meisterschaft, ein Jahr später sogar das Tripel. Heute sind sie eines der stärksten Teams der Welt, was nicht zuletzt an den Verpflichtungen der US-Amerikaner Matt Scott und Jake Williams, sowie der Niederländerin Jitske Visser liegt. 2017 kam das Weltklasse-Trio nach Elxleben. Insbesondere Scott und Williams schlugen dabei gutdotierte Verträge aus, weil sie in Thüringen mit Alex Halouski zusammenspielen wollten.       

Kreatives Denken

Seit 2016 hat sich der Verein nochmal gewandelt. Als Sponsorenbeauftragter verpasste Michael Engel dem Verein einen neuen Schliff. In seinem ersten Jahr forcierte er die Umbenennung in "RSB Thuringa Bulls", arbeitete ein Corporate Design aus und formte den Verein zu einer Marke, die leidenschaftlichen Rollstuhlbasketball mit Professionalität und sozialem Selbstverständnis verkörpert.

Diese positive Ausstrahlung, Energie und Lebensfreude, die der ganze Verein nach Außen trägt, hat mich unglaublich beeindruckt. Das sind Spitzensportler zum Anfassen, mit denen man nach dem Spiel sprechen kann und die einen mit einer Herzlichkeit empfangen, die ich in keinem anderen Sportteam so erlebt habe.

Sandra Thorwarth über ihr Engagement als Hauptsponsor bei den Bullen

Der Verein bietet den Spielern ein familiäres Umfeld, professionelle Betreuung von der Physiotherapeutin, über den Mechaniker bis hin zum Koch. Fast alles geschieht im Ehrenamt, aber mit Liebe zum Verein. Die Spieler zahlen diese Fürsorge mit Ergebnissen und unbedingten Leistungswillen zurück. Da ihnen die Halle zu jeder Tageszeit zur Verfügung steht, kommt es nicht selten vor, dass Jake Williams bis tief in die Nacht seine 3-Punkte-Würfe trainiert, nur um dann in aller Frühe von Alex Halouski abgelöst zu werden, der 5 Uhr morgens noch ein paar Körbe vor der Arbeit werfen will. Das alles zusätzlich, zu den acht Teamtrainings in der Woche. Leistung kommt von Üben, predigt der Trainer gern.

Um keinen Spruch verlegen: Bei Heimspielen füllen die beiden Nachwuchskommentatoren Max Dietrich und Justus Heinrich den Livestream mit Leben. Bildrechte: MDR/Marcel Bube

Auf dem Feld spielen die Bullen "Heavy Metal Basketball", wie es Lessmann beschreibt: schnell und aggressiv. Jenseits des Feldes gilt das Gegenteil: nachhaltig und sozial. Michael Engel und Andre Bienek haben die Thuringia Bulls Schooltour ins Leben gerufen. Diese für Schulen kostenlosen Projekttage bringen nicht nur den Rollstuhlsport in die Turnhallen, sondern auch die Spieler und Spielerinnen der Bullen ins Gespräch mit den Kindern.

Oft fragen die Kinder, wie ich in dem Rollstuhl schlafe, weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass ich auch ein Bett habe und mich hinlege. Aber daran merken sie auch, dass ich gar nicht so anders bin als sie.

Andre Bienek, Spieler und Projektbeauftragter der Schooltour

Es ist nicht das einzige Projekt, in dem der Verein zeigt wie Inklusion funktioniert. Wenn in der Halbzeit die "Dancekids" aufs Feld laufen und die Fans mit einstudierten Tanzeinlagen unterhalten, rollt ganz selbstverständlich Cassandra Rüger mit aufs Feld.

Bildrechte: MDR/Michael Helbing

Die lebensfrohe 17-Jährige im Rollstuhl blühte im Umfeld des Vereins auf und betätigt sich sogar als Hobby-Journalistin. Für das Rollt.-Magazin schreibt sie die witzige Interviewreihe "Cassandras Plaudercouch". Zwei andere Jungspunde mit Beeinträchtigung dürfen sich bei den Bullen als Sportkommentatoren ausprobieren. Max Dietrich ung Justus Heinrich sind beide 18 Jahre alt und kommentieren den Livestream bei Heimspielen auf Sportdeutschland.TV. Hier quasseln sie in einer herzerfrischenden Art drauf los, wenn ihre Helden Matt Scott und Co aufs Feld rollen.  

Menschen mit Behinderungen haben mir in meinem Leben geholfen, anders an Probleme heranzugehen. Es ist diese Form des kreativen Denkens, das unserer von Struktur und Regeln besessenen Gesellschaft manchmal fehlt.

Michael Engel, Trainer

Die Selbstverständlichkeit, mit der die RSB Thuringia Bulls Inklusion leben, rüttelt an den Denk- und Verhaltensmustern, die es unserer Gesellschaft oft schwer machen, mit den anders scheinenden einen Umgang zu finden. Seien es Menschen mit Behinderung oder Menschen anderer Herkunft. Das Besondere an den RSB Thuringia Bulls ist: Egal wer du bist oder was du kannst, sie geben dir das Gefühl dazuzugehören. Frei nach dem Motto: "Wir sind ein Team!"

Teamfoto der RSB Thuringia Bulls Bildrechte: MDR/Michael Helbing

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Quelle: MDR THÜRINGEN/ask

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