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EinwohnerversammlungHitzige Debatte wegen geplanter Klärschlammverbrennung in Raitzhain

10. Mai 2023, 16:27 Uhr

Die Pläne für eine Klärschlammverbrennungsanlage im Ronneburger Ortsteil Raitzhain (Landkreis Greiz) sorgen für heftige Diskussionen. Bei einer Einwohnerversammlung am Dienstagabend kritisierten rund 150 Anwohner insbesondere die Nähe der geplanten Anlage zum Wohngebiet. Ab 2029 soll hier nach Plänen der kommunalen Klärschlammverwertung Thüringen (KKT) der Klärschlamm aus mindestens 18 Thüringer Zweckverbänden verbrannt werden. Am Ende der Versammlung werden die Verbandsvertreter überrascht.

von Franziska Heymann, MDR THÜRINGEN


Der Raps auf dem kleinen dreieckigen Feld zwischen Raitzhain und der Autobahn 4 steht in voller Blüte. Gut 100 Meter entfernt vom Feldrand steht das Wohnhaus von Renate und Wolfgang Pohle, die nächsten Häuser nur wenige Meter weiter. Statt auf das blühende Feld könnte das Rentnerpaar wohl bald auf eine 20 Meter hohe Klärschlammverbrennungsanlage blicken - mit einem schmalen, knapp 35 Meter hohen Abgasschornstein.

Schon im kommenden Jahr sollen die ersten Bagger rollen, 2028 soll die Anlage des Zweckverbands zur kommunalen Klärschlammverwertung Thüringen (KKT) stehen. Bei den Raitzhainern sorgt das für mächtig Unmut.

Anwohner: Nach der Wismut kommt der Klärschlamm

Die Nähe zum Wohngebiet, Lärm, Gestank, Abgase, aber auch der wohl sinkende Wert der Immobilien sorgen die Raitzhainer. "Wir leben in einer ehemaligen Wismut-Region und sind schon gebeutelt. Durch die Sanierung ist es wieder halbwegs schön geworden und nun sollen wir so ein Ding hier kriegen. Schönen Dank auch", schimpft Dietmar Schützner.

Wir waren schon durch die Wismut mit dem ganzen Dreck gestraft. Und nun wollen die uns wieder sowas vor die Nase setzen.

Anwohnerin Renate Pohle

Hitzige Debatte auf der Einwohnerversammlung Raitzhain

Und ihr Mann Wolfgang ergänzt: "Der Zweckverband hat die Fläche vom Land gekauft, ohne die Bürger einzubeziehen. Das geht doch so nicht." Bei einer Einwohnerversammlung am Dienstagabend mit Vertretern des KKT entlädt sich der ganze Ärger, es wird hitzig debattiert.

2017 war die deutsche Klärschlammverordnung erneuert worden. Demnach darf Klärschlamm künftig weitgehend nicht mehr auf Feldern ausgebracht werden. Er soll getrocknet und verbrannt werden - aus der Asche will man Phosphor zurückgewinnen. Ab 2029 trifft das Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, ab 2032 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. In Thüringen wurde darum der KKT gegründet, um für derzeit 18 Abwasserentsorger die Klärschlammentsorgung neu zu organisieren.

Insgesamt geht in Thüringen die anfallende Klärschlammenge laut Landesamt für Statistik zurück: Von 44.210 Tonnen Trockenmasse im Jahr 2006 auf 39.496 Tonnen in 2016 und 33.685 Tonnen in 2021.

Rückgang der Klärschlammmengen in Thüringen
JahrTonnen an Trockenmasse Klärschlamm*
200644.210
201140.790
201639.496
202133.685

Quelle: Umweltministerium mit Zahlen des Landesamtes für Statistik

Standortwahl sorgt für Unverständnis

Und warum nun der Standort im Ronneburger Ortsteil Raitzhain, nur wenige Meter entfernt von Wohnhäusern? Auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN stellt der Verbandsvorsitzende des KKT, Dietrich Heiland, nochmal klar: "Der Abstand ist nicht gesetzlich geregelt. Das muss in der weiteren Planung geprüft werden." Er verweist darauf, dass der Bebauungsplan eine Verbrennungsanlage zulasse und dass es in Raitzhain die besten Voraussetzungen für eine Genehmigung des Bauvorhabens gebe.

Ronny Horlbeck regen solche Aussagen wie so viele in der Bogenbinderhalle auf: "Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie nicht wissen, was für eine Anlage dorthin kommt, welche Abstände eingehalten werden müssen... Also wenn ich so wirtschaften würde, würde mir meine Frau die Papiere geben."

Abstand zu den Wohnhäusern wird kritisiert

Im Januar 2022 hatte der KKT das 1,5 Hektar große Gelände im Gewerbegebiet Ost laut Heiland für 175.000 Euro von der Landesentwicklungsgesellschaft gekauft. Bei der Einwohnerversammlung in der Ronneburger Bogenbinderhalle lobt Geschäftsleiterin Katrin Pauli die "optimale Lage" für die Verbrennungsanlage, immerhin würde der Großteil der Mitgliederverbände des KKT in Ostthüringen sitzen. Ihre Aussage wird mit höhnischem Lachen und Klatschen quittiert.

Was ist Klärschlamm?Auf Kläranlagen wird das Abwasser von Schmutz- und Nährstoffen befreit. Übrig bleibt der sogenannte Klärschlamm.

Im Klärschlamm finden sich daher sämtliche "Abfälle". Das sind neben Schwermetallen auch organische Schadstoffe, wie Arzneimittelrückstände oder Krankheitserreger, Nanomaterialien und Kunststoffreste.

Nicht zuletzt aufgrund der vielen Schadstoffen im Klärschlamm wird dieser immer weniger in der Landwirtschaft verwendet und stattdessen verbrannt.

Gegenwärtig wird mehr als die Hälfte der kommunalen Klärschlämme verbrannt.

Quelle: Umweltbundesamt

Versteinerte Gesichter vor 150 Anwohnern

Heiland, Pauli und der Geschäftsleiter des Zweckverbands Mittleres Elstertal, Gerd Hauschild, sitzen mit versteinerten Gesichtern vor den rund 150 Anwohnern. "Mit Verlaub, wir sind doch nicht die Planer des Vorhabens. Ich warte sehnsüchtig, dass wir den Zuschlag erteilen können auf die Planer, um vielmehr Fragen beantworten zu können, die wir uns selbst auch stellen in dem Moment", sagt Heiland. Eine Frau ruft: "Aber an den 130 Metern zum Haus ändert sich doch nichts!" Es gibt Tumult. Heiland stellt den Abstand in Frage, was zu noch mehr wütenden Gesichtern führt.

Geruchsprobe lässt Nasen rümpfen

Bei Nachfragen zu Lärm, Gestank, Gefahrenpotenzial versuchen die Verbandsvertreter zu beschwichtigen - können häufig aber auch keine genaue Auskunft geben. "Wir sind ja nicht die Planer. Die Planungsleistung wird jetzt ausgeschrieben und die Planer sollen uns dann Fragen beantworten, die wir uns auch stellen", sagt Heiland. Dabei solle auch die Abstandsfrage geklärt werden.

Und zur möglichen Geruchsbelästigung sagt er: "Was hier transportiert wird, riecht eher wie Walderde." Wieder Gelächter. "Ja, aber das riecht ganz kräftig nach Waldboden", sagt Anwohner Pohle, "und das war ein kleines Eimerchen. Da konnte man die Nase nicht lange reinhalten." Klärschlamm ist ein heikles Produkt - Geruchsunfälle gibt es immer wieder.

Die Verbrennungsanlage soll laut Pauli von Montag bis Freitag laufen. Angezweifelt wird von den Raitzhainern, dass es bei den anvisierten zwölf Lkw pro Tag bleibt, die aus ganz Thüringen mit Klärschlamm beladen anrollen sollen. "Am Anfang war die Rede von acht bis zehn Lkw, jetzt sind wir bei zwölf. Je mehr Verbände es werden, desto mehr Verkehr", sagt der Raitzhainer Jens Meyer.

Auf Nachfragen von MDR THÜRINGEN erklären Heiland und Hauschild: "Im Laufe der Planung müssen wir eine Leistung der Anlage festlegen. Wir können dann nicht unendlich neue Mitglieder dazu nehmen." Sie bestätigen, dass auch einmal überlegt worden sei, Klärschlamm aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Franken in Ostthüringen zu verbrennen. Der Plan sei aber zu den Akten gelegt.

Anwohner in Raitzhain fühlen sich übergangen

Doch nicht nur die Zahl der Lkw, auch deren lange Anfahrt und der Weg von der Autobahn zur Verbrennungsanlage sorgen für Stirnrunzeln. Die Laster sollen von der A4-Abfahrt Ronneburg nicht direkt über die B7 nach Raitzhain rollen, sondern durchs Gewerbegebiet Beerwalde. Bürgermeister Rolf Hermann klappt bei dieser Aussage die Kinnlade herunter: "Davon höre ich heute zum ersten Mal." Er kündigt an, alle rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen zu wollen, um den Bau zu verhindern.

Und auch die Raitzhainer sehen die Anfahrt über Beerwalde kritisch. "Wenn der erste Lkw am Bahnübergang hängen bleibt, fahren die eh durch unseren Ort. Ich kann das Geschwafel nicht mehr hören", schimpft eine Frau. Wieder versteinerte Gesichter bei den Verbandsvertretern.

Neuer Standort für Anlage in der Diskussion

Gegen Ende der Einwohnerversammlung äußert sich auch Ronneburgs Bürgermeisterin Krimhild Leutloff (CDU): "Wir lehnen die Nähe zur Wohnbebauung ab und hoffen, dass ein anderer Standort gefunden wird." Verbandschef Heiland war von dieser Aussage nach eigener Aussage überrascht: "Wir wussten bisher nur von einigen Stadträten, dass sie den Bau ablehnen. Aber wenn nun auch noch die Bürgermeisterin dagegen ist, wollen wir natürlich nicht gegen den Stadtrat den Bau durchsetzen."

Wenn sich der Stadtrat entsprechend einigt, würde man sich innerhalb des Gewerbegebiets nach einem anderen Grundstück umsehen. Leutloff bestätigte dem MDR die Gespräche mit KKT-Vertretern, ein neues Grundstück suchen zu wollen. Eine entsprechende Regelung könnte sich laut Bürgermeisterin schon bei der nächsten Stadtratssitzung am Donnerstag finden.

MDR (ifl)

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 10. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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