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IntegrationUkrainer und deutsche Sprache: Seelingstädt packt selbst an

25. Februar 2023, 15:14 Uhr

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer warten bis heute auf einen Sprachkurs - die Lehrer fehlen. In Seelingstädt nahmen engagierte Partner die Sache selbst in die Hand.

von Andreas Dreißel, MDR THÜRINGEN

Dreimal in der Woche steht Elke Leistner in Seelingstädt im Kreis Greiz vor ihrer Klasse. Zehn Ukrainerinnen und Ukrainer lernen bei der früheren Lehrerin Deutsch. Sie alle wollen arbeiten, doch ohne Sprachkenntnisse geht das nicht.

Die regulären Sprachkurse über das Bundesamt für Migration sind allerdings ausgebucht, die Wartezeit beträgt bis zu einem Jahr. Deshalb organisierten das Deutsche Rote Kreuz, das Integrationsamt, das Thüringer Berufsförderungswerk und die Stadt den Kurs selbst.

"Am Ende ist ein A1-Zertifikat das Ziel", sagt Ulli Schäfer, Präsident des DRK-Kreisverbandes in Greiz. "Damit können sich die Flüchtlinge in den Firmen in der Region bewerben."

Elke Leistner ist eigentlich schon seit vier Jahren in Rente. Sie wohnt selbst in Seelingstädt und wollte ihren neuen Nachbarn helfen. Doch bei den offiziellen Bildungsträgern blitzte sie ab. "Ich habe bei der Volkshochschule nachgefragt", sagt die resolute Lehrerin. "Dort sollte ich aber erst einmal Prüfungen ablegen." Nach 40 Jahren Berufserfahrung als Deutsch- und Russischlehrerin wollte sie sich das nicht mehr antun.

Köche, Verkäufer, IT-Spezialisten im Jugendclub

Jetzt unterrichtet sie seit August vergangenen Jahres im früheren Jugendclub in Seelingstädt die Grundlagen der deutschen Sprache. Ihre Schülerinnen und Schüler sind Köche, Buchhalter, Verkäufer oder IT-Spezialisten. Sie alle flohen vor dem Krieg in der Ukraine.

Wie Julya Kovalenka aus Priazovskoe nahe dem Schwarzen Meer. Ihr Mann Vadym durfte seine schwangere Frau begleiten. "Ich war Verkaufsleiter für Aluminiumkochgeschirr, zwölf Jahre lang", sagt er. "Mit dem Kriegsbeginn war Schluss."

Nun wollen sich die beiden mit ihren Kindern eine neue Zukunft in Deutschland aufbauen. "Wir lernen im Kurs und zu Hause, wenn unsere Kinder uns die Zeit zum Lernen lassen", sagt Julya lachend. In Seelingstädt fühlen sich die beiden wohl.

Sprachkenntnis wichtig für Integration

Im Sprachkurs ist die Stimmung gelöst. Elke Leistner bleibt mit ihren Schützlingen im Gespräch, ein kleiner Ball fliegt zum nächsten Partner. Handys sind verboten. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich mit den Wörtern und Texten beschäftigen und nicht einfach eine Übersetzungs-App benutzen. Nicht allen fällt die neue Sprache leicht. Viele kommen aber auch schon ganz gut zurecht.

Die Sprachkurse stellen weiter den Flaschenhals bei der Integration dar.

Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt

Nicht nur in Seelingstädt oder im Kreis Greiz sind fehlende Deutschkenntnisse für Geflüchtete die größte Hürde beim Einstieg in die Arbeit. "Die Sprachkurse stellen weiter den Flaschenhals bei der Integration dar", heißt es etwa aus dem Landratsamt in Saalfeld-Rudolstadt. Zahlreiche Kommunen kritisierten auf Anfrage von MDR THÜRINGEN die langen Wartezeiten für Integrations- und Sprachkurse. Von sechs Monaten und mehr ist die Rede.

Viele Unternehmen würden gerne Ukrainer einstellen

Wie es auch gehen kann, zeigt eben das Beispiel aus Seelingstädt. DRK-Präsident Ulli Schäfer lobt das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure. Der Sprachkurs wurde durch Spenden aus der Bevölkerung möglich. Die Lernmaterialien stellte das Berufsförderungswerk, das ebenfalls in Seelingstädt sitzt. Auch das Integrationsamt des Landkreises ist eingebunden.

Eine Mitarbeiterin hilft beim Schreiben des Lebenslaufes und der Bewerbungen. Laut Integrationsamt suchen viele Unternehmen aus der Region Arbeitskräfte und würden gern Ukrainer einstellen. Wenn es mit der Sprache klappt. Elke Leistner will mit ihrem Unterricht auch Hemmungen abbauen, die Sprache zu sprechen. Die Geflüchteten sollen Gefallen an der neuen Sprache finden und sie möglichst auch zu Hause sprechen.

Wie bei den "richtigen" Kursen sollen auch die Teilnehmer in Seelingstädt am Ende eine Prüfung ablegen. Sprechen, Hören und verstehen, aber auch das Schreiben unterrichtet Elke Leistner. Bei unserem Besuch üben die Teilnehmer den Einkauf in einem Geschäft. Elke Leistner ermuntert die Teilnehmer immer wieder nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.

Ansonsten seien ihre Teilnehmer genauso wie andere Schüler auch. "Es gibt welche, die lernen gern und auch schnell, manche haben aber auch keine Lust. Das ist schade", sagt die Lehrerin. Sie hofft, dass trotzdem alle den Kurs im März erfolgreich abschließen werden.

MDR (sar)

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. Februar 2023 | 19:00 Uhr