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BildungMit "Elterntaxi" oder Bus zur Schule: Wie ist es in Thüringen?

30. September 2022, 05:00 Uhr

Unter dem Motto "Adieu Elterntaxi" finden derzeit die Aktionstage "Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten" statt. Doch stimmt es wirklich, dass so viele Eltern ihre Kinder zur Schule fahren? MDR THÜRINGEN hat nachgefragt.

von Carmen Fiedler, MDR THÜRINGEN

Die Frage, ob er sein Kind mit dem Auto zur Schule fährt, beantwortet Christian Thater so: "Ja, manchmal." Sein Sohn Henri besucht die dritte Klasse an einer Erfurter Grundschule; Henris Bruder geht in den Kindergarten nebenan. Etwa anderthalb Kilometer sind es von der Schule zur Wohnung der vierköpfigen Familie.

Motto der Aktionstage: "Adieu Elterntaxi"

Wenn es nach dem Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW), dem Ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) und dem Verband "Bildung und Erziehung" geht, sollte Henri nicht von den Eltern gefahren werden. Unter dem Motto "Für Kinder und Umwelt: Adieu Elterntaxi!" wird dazu aufgerufen, dass die Kinder zur Schule oder zum Kindergarten laufen, radeln oder rollern.

Mit dem Auto fahre ich die Kinder nur dann, wenn danach noch etwas zu erledigen oder schlechtes Wetter ist.

Christian Thater | Vater eines Drittklässlers

Christian Thater findet die Kampagne "eigentlich gut" und erzählt: "Wir fahren 90 Prozent der Schulwege mit dem Fahrrad. Mit dem Auto fahre ich die Kinder nur dann, wenn danach noch etwas zu erledigen ist oder schlechtes Wetter ist."

Auch Landeselternsprecherin Claudia Koch begrüßt die Initiative – im Grundsatz. "Man sollte tatsächlich hin und wieder darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, mit dem Auto zu fahren", sagt sie. "Da ist auch der ökologische Gedanke nicht von der Hand zu weisen." Solche Aktionstage schärften den Fokus auf das Thema, um zu gucken, ob alles richtig laufe – oder möglicherweise etwas verbessert werden sollte.

Doch fahren in Thüringen tatsächlich so viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule? Einen gelegentlichen Stau vor den Grundschulen und Kindergärten am Morgen haben wohl schon die meisten Eltern erlebt. Doch ist das ein Massenphänomen?

Wir haben ein massives Problem, was die Verkehrsabdeckung im ländlichen Raum angeht.

Claudia Koch | Landeselternsprecherin Thüringen

Eine Statistik gebe es nicht, antwortet Claudia Koch. Aber aus ihrer Erfahrung wisse sie, dass durchaus viele Eltern das Auto nutzten. "Vor allem in ländlichen Regionen ist das relativ verbreitet" sagt sie. Thüringen sei nun mal ein Flächenland: "Und wir haben ein massives Problem, was die Verkehrsabdeckung im ländlichen Raum angeht. In Städten ist das sicherlich einfacher." Zudem sei das Sicherheitsbedürfnis vor allem bei den Eltern kleiner Kinder verständlicherweise sehr hoch. "Trotzdem", sagt die Landeselternsprecherin, "weitaus die meisten Schüler fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln."

Umfrage "Sicherer Schulweg"

Begleitend zur ihrer Kampagne haben die Verbände die Ergebnisse einer Umfrage mit dem Titel "Sicherer Schulweg" veröffentlicht. Bundesweit wurden 508 Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen und 500 Eltern von sechs- bis zehnjährigen Kindern befragt. Dabei wurde allerdings nicht objektiv erfasst, wie viele Eltern ihre Kinder regelmäßig mit dem Auto zur Schule fahren. Eltern und Lehrer sollten lediglich ihre subjektive Schätzung abgeben. Die meisten Eltern (47 Prozent) und Lehrer (41 Prozent) meinten, dass ein Viertel bis die Hälfte der Eltern ihre Kinder selbst fahre.

Claudia Koch, Landeselternsprecherin: "Die Gründe, weshalb Eltern ihre Kinder zur Schule fahren, sind so verschieden wie die Elterschaft verschieden ist." (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO images/ Hake

Zudem konnten die befragten Eltern und Lehrer unter mehreren möglichen Motiven der autofahrenden Eltern auswählen. Der am häufigsten vermutete Grund war Bequemlichkeit: 57 Prozent der befragten Eltern und 66 Prozent der befragten Lehrer kreuzten ihn an.

Ich würde den Eltern nicht unterstellen, dass sie die Kinder aus Bequemlichkeit fahren. Der Großteil der Eltern macht sich Gedanken darüber, ob ihr Kind mit dem ÖPNV fährt oder nicht.

Claudia Koch | Landeselternsprecherin Thüringen

Landeselternsprecherin Claudia Koch ist da skeptisch. "Das ist mit Vorsicht zu genießen", sagt sie. "Ich würde den Eltern nicht unterstellen, dass sie die Kinder aus Bequemlichkeit fahren. Der Großteil der Eltern macht sich Gedanken darüber, ob ihr Kind mit dem ÖPNV fährt oder nicht."

Und aus welchen Gründen bringen Eltern die Kinder mit dem Auto zur Schule? Natürlich seien die Gründe "so verschieden wie die Elternschaft verschieden ist." Claudia Koch: "Die Hauptgründe liegen in der zeitlichen Organisation in den Familien. Dass es möglicherweise mit dem Arbeitsweg verbunden werden kann, dass es vielleicht auch wohnortnah keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gibt. An einigen Orten in Thüringen geht es gar nicht anders, weil da keine Abdeckung durch den ÖPNV gegeben ist."

Viele Kinder in Thüringen fahren mit dem Bus zur Schule. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Eibner

Auf dem Land sei es oft so, dass morgens ein Bus zur Schule fahre und zum Schulende ein Bus zurück. Da müssten Kinder, die früher Schulschluss haben, länger auf den Bus warten. Die Busfahrzeiten können meistens nur eine Übereinkunft mehrerer Partner sein, denn oftmals müssen mehr als eine Schule mit einbezogen werden.

Nicht jedes Kind kann mit dem Bus zur Schule und zurück. Das ist utopisch anzunehmen. Das funktioniert nicht.

Claudia Koch | Landeselternsprecherin Thüringen

"Das ist immer eine Kompromissgeschichte mit den Taktungen und den Abfahrtszeiten auf dem Land", sagt Claudia Koch. Außerdem sind die Busse Teil des öffentlichen Nahverkehrs, das heißt, jeder kann mitfahren. "Wir haben keine reinen Schulbusse." Immerhin: "Der öffentliche Nahverkehr hängt häufig am Schulbetrieb. Das sind die größten Beförderungszahlen." Doch es bleibt dabei: "Nicht jedes Kind kann mit dem Bus zur Schule und zurück. Das ist utopisch anzunehmen. Das funktioniert nicht", sagt Claudia Koch.

Wie die Schülerbeförderung in Thüringen geregelt istFür die Schülerbeförderung sind die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Schüler bis zur vierten Klasse haben bei einem Schulweg von mindestens zwei Kilometern einen Anspruch auf Schülerbeförderung, ab Klassenstufe Fünf bis einschließlich Klassenstufe Zehn bei einem Schulweg von mindestens drei Kilometern. Elft- und Zwölftklässler müssen die Busfahrten selbst zahlen.

Was müsste denn passieren, dass Eltern häufiger darauf verzichten, ihr Kind mit dem Auto zur Schule zu fahren? Claudia Koch: "Das kommt auf die Gründe an, warum sie fahren." Wichtig sei, dass Busse zeitnah an der Schule ankämen, "dass sie nicht überfüllt sind, dass die Wege zu den Bushaltestellen sicher sind, dass Schülerfahrten für alle Schüler kostenlos sind, dass Schulwege kurz und effizient sind und dass die Sicherheit im Bus gewährleistet ist." Ideal wären, so Claudia Koch, eigene Schulbusse, in denen jedes Kind einen Sitzplatz und einen Sicherheitsgurt hat.

In Thüringen gibt es keine eigenständigen Schulbusse, der Schülerverkehr ist Teil des öffentlichen Nahverkehrs. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Michael Gstettenbauer

Auch laut der Umfrage, in der Mehrfachantworten möglich waren, sind 26 Prozent der Eltern und 29 Prozent der Lehrer der Auffassung, dass Zeitgründe der Grund seien, dass Kinder zu Schule gefahren würden. 43 Prozent der Eltern und 56 Prozent der Lehrer gaben an, dass Angst, wie zum Beispiel die, dass das Kind von Fremden angesprochen werden könnte, ein Grund sei, es nicht allein den Schulweg bestreiten zu lassen. Etwa ein Viertel der Befragten finden zudem, dass der Weg zu weit sein könnte.

Damit Kinder ihren Weg zur Schule eigenständig zurücklegen können, brauchen wir überall sichere Rad- und Fußwege.

Kerstin Haarmann | Vorsitzende des Ökologischen Verkehrsclubs Deutschland

Damit werden die 57 Prozent, die "Bequemlichkeit" mutmaßen, doch relativiert. Auch wie wichtig die Verkehrssicherheit auf dem Schulweg den Eltern ist, zeigt die Umfrage. So stimmten über 90 Prozent der Befragten zu, dass sichere Überwege wie Zebrastreifen, Ampeln oder Mittelinseln sowie sichere (ausreichend breite und nicht zugeparkte) Fußwege hilfreich seien. "Damit Kinder ihren Weg zur Schule eigenständig zurücklegen können, brauchen wir überall sichere Rad- und Fußwege", fordert denn auch die Vorsitzende des Ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Kerstin Haarmann.

Wir wollen die Kinder nicht in Watte packen. Sie müssen befähigt werden, sich im Straßenverkehr sicher und selbstständig bewegen zu können.

Claudia Koch | Landeselternsprecherin Thüringen

Solche sogenannten Verkehrssicherungskonzepte gebe es schon häufig an den Schulen, sagt Claudia Koch. Sie würden von den Schulen, Kommunen, der Verkehrswacht und der Elternvertretung gemeinsam erarbeitet. "Wir wollen die Kinder nicht in Watte packen. Sie müssen befähigt werden, sich im Straßenverkehr sicher und selbstständig bewegen zu können." Dazu brauche es eben sichere Fuß- und Fahrradwege, aber auch eine gute Verkehrserziehung. Vielleicht bieten die Aktionstage "Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten" Gelegenheit, darüber nachzudenken? Christian Thater nickt und sagt: "Es muss eben von der Verkehrslage her passen."

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MDR (caf)

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