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Robert Sesselmann (rechts) auf dem Podium in Judenbach. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

JudenbachBürgerdialog mit AfD-Landrat Sesselmann: Ankommen in der unglamourösen Welt der Kommunalpolitik

02. März 2024, 10:40 Uhr

Sonnebergs Landrat Robert Sesselmann (AfD) lädt regelmäßig zu Bürgerdialogen ein. Welche Themen sind für die Menschen wichtig? Und sind sie mit den Antworten zufrieden? Ein Besuch beim Bürgerdialog in Judenbach.

von Marlene Drexler, MDR THÜRINGEN

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"Landrat im Gespräch" nennt Robert Sesselmann das Format, bei dem er im Landkreis unterwegs ist und sich den Fragen der Menschen persönlich stellt. Seit Sesselmanns Amtsbeginn Anfang Juli vergangenen Jahres hat der erste AfD-Landrat in Deutschland mehrere Veranstaltungen dieser Art organisiert. Nicht immer seien sie harmonisch verlaufen, wie Sesselmann freimütig erzählt.

In dieser Woche stand der nächste Termin an, dieses Mal in Judenbach, ein Ortsteil der Gemeinde Föritztal. Von den etwa 8.400 Einwohnern der Gemeinde folgten rund 50 Menschen der Einladung ins Kulturhaus. Organisiert wurde die Veranstaltung von Bürgermeister Andreas Meusel (CDU) als Einwohnerversammlung, Landrat Sesselmann schloss sich mit seinem Gesprächsangebot an.

Judenbachs Bürgermeister eröffnet das Gespräch

Zunächst hatte Bürgermeister Andreas Meusel das Wort. Er bedankte sich bei der Arbeit der Vereine, referierte über die leicht rückläufige Einwohnerzahl in Föritztal und sprach über nicht ausgelastete Kindergärten. So weit, so normal für eine kleine Gemeinde im ländlichen Thüringen. Dann setzte er das Thema des Abends: Finanzen. Die Insolvenz von Regiomed hat den Landkreis, als einen der Gesellschafter des Klinikkonzerns, in eine erhebliche Schieflage gebracht.

Das bekommen nun auch die Kommunen zu spüren. Für Judenbach ist die Kreisumlage in diesem Jahr im Vergleich zu 2023 um 550.000 Euro gestiegen. Im Umkehrschluss heißt das, die Gemeinde kann weniger Geld investieren. Bedauerlich und bedenklich sei, so Bürgermeister Meusel, dass zum Beispiel eigentlich viele der Vereinshäuser dringend saniert werden müssten. Mit weiteren schlechten, noch schwerer verdaulichen Nachrichten wurde das Mikrofon an Landrat Sesselmann weitergereicht.

Viele Fragen zu Regiomed-Insolvenz

Von Sesselmann wollten die Gäste vor allem wissen, wie es mit der medizinischen Versorgung im Landkreis weitergeht. Da das Regiomed-Insolvenzverfahren noch läuft, konnte der Landrat darauf nur antworten: Zukunft ungewiss. Gleichwohl nutzte er aber die Gelegenheit zu erklären, warum es seiner Meinung nach so weit gekommen ist.

Sesselmanns Vorwürfe galten zum einen den Aufsichtsräten, seiner Ansicht nach hätten sie früher in die offenbar kränkelnden Bilanzen des Unternehmens eingreifen müssen. Zum anderen kritisierte er Stadt und Landkreis Coburg scharf, sie hätten viel Geld - zum Beispiel für die Planung eines Neubaus - versenkt und gleichzeitig die Abwendung der Insolvenz am Ende mit ihrem Gegenvotum torpediert.

Etwa 50 Einwohner waren zu dem Bürgerdialog in Judenbach gekommen. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

An der prekären Finanzlage des Landkreises trägt Sesselmann keine Verantwortung. Gleichwohl nahm er als Landrat die Verantwortung an diesem Abend wahr, den Menschen die Lage zu erklären und deutlich zu machen, welchen Lösungsmöglichkeiten man auf der Spur ist. Ein angenehmer Gang war das für Sesselmann sicherlich nicht - insbesondere auch, da er vor seiner Wahl die Konsolidierung des Kreishaushalts als sein wichtigstes Ziel ausgewiesen hatte. Ein Ziel, dass seit seiner Amtsübernahme nicht näher, sondern weiter in die Ferne gerückt ist.

Abend ermöglicht sachliche Diskussionen

Als Überbringer schlechter Nachrichten zeigte sich Sesselmann in Judenbach als sachlich-orientierter Gesprächspartner. Von agitierender oder polemisierender Stimmung war der Abend weit entfernt. Kein Poltern, im Gegenteil, für Sesselmann musste das Mikro zunächst lauter gestellt werden.

Weder Heizung noch Flüchtlinge oder Ampel-Kritik war hier Thema. Auch eine Abschaffung des Euros oder der Stopp von Russland-Sanktionen - Themen, mit denen Sesselmann unter anderem Wahlkampf gemacht hatte - kamen nicht zur Sprache. Ein Umstand, der auch aus den sehr konkreten, inhaltlichen, tatsächlich die Region betreffenden Fragen der Gäste resultierte. Der Abend in Judenbach ließ erahnen, dass Sesselmann mittlerweile in der auf weite Strecken unglamourösen Alltagswelt der Kommunalpolitik, in denen Verantwortungsträger von wenigen schillernden Ereignissen leben müssen, angekommen sein dürfte.

Kreistagssitzung unter Leitung Sesselmanns nicht immer sachlich

Vor dem Hintergrund dieses von Sesselmann seriös geführten Gesprächs erstaunte es umso mehr, warum der Landrat diesen Duktus nicht immer an den Tag legt. Nur 24 Stunden zuvor hatte in der Sonneberger Kreistagssitzung Sesselmanns Parteifreund Roland Schliewe mit rassistischen Parolen gegen Menschen aus Nordafrika Stimmung gemacht. Schliewe attestierte ihnen einen besonders niedrigen Intelligenzquotienten. Eine pauschalisierende Verleumdung einer ganzen Ethnie - hätte da nicht ein sachlicher Diskussion interessierter Landrat eingreifen müssen? Zumal er am Donnerstag bewiesen hat, dass er es kann. Stattdessen war es Angela Jannusch, Kreistagsmitglied der CDU, die den diskriminierende Sprechbeitrag mit Kritik unterbrach.

Einwohner bilanzieren den Abend positiv

In Judenbach zeigte sich in Gesprächen im Nachgang mit Gästen einhellig: Dass der Landrat in die Region fährt und sich Fragen und Kritik stellt, finden die Menschen gut. "Hervorragend" sei das, sagte ein lokalpolitisch für die SPD engagierter älterer Herr.

Und auch trotz der überwiegend negativen Nachrichten, die Sesselmann zu überbringen hatte, war man mit den Antworten - wenn auch nicht unbedingt inhaltlich - dann aber im Sinne eines besseren Verständnisses der Zusammenhänge augenscheinlich zufrieden. "Der Landrat hat halt auch nur beschränkte Kompetenzen", so der Kommentar einer jüngeren Frau mit Blick auf die finanziellen Folgen für den Landkreis aus der Regiomed-Insolvenz.

Vorort-Termine keine Erfindung Sesselmanns

Einen direkten Draht zu den Bürgern herzustellen, ist keine Erfindung oder ein besonderes Markenzeichen von Sesselmann. Jeder Politiker, jede Politikerin vor allem im Kommunalen weiß, dass es der direkte Kontakt ist, der Vertrauen und Glaubwürdigkeit stiftet. Und damit Fundament für politischen Erfolg ist. Auch aus diesem Grund besuchen engagierte Lokalpolitiker am Wochenende Feuerwehrfeste, Vereinsjubiläen und Sportveranstaltungen.

Auch bei Kreistagssitzungen gibt es für Bürger die Möglichkeit, Fragen an die Landräte zu stellen. Aber die Geste, als Landrat zu einem Bürgerdialog einzuladen - für viele Bürgermeister sind regelmäßige Einwohnerversammlungen Gang und Gäbe -, kommt im Kreis Sonneberg offenbar gut an. Zumindest bei den rund 50 Menschen, die im Schnitt zu den Bürgerdialogen kamen.

In Judenbach kann man auch wahrnehmen, dass die Menschen nicht durch politische Zugewandtheit verwöhnt sind. Ein Mann sagt, den vorherigen Landrat habe er nie erlebt. Sesselmanns Vorgänger Hans-Peter Schmitz war vor seinem Ruhestand zwei Jahre lang krankgeschrieben. Ein Umstand, der es Sesselmann leichter machen könnte, als bürgernah wahrgenommen zu werden.

AfD-Parteizugehörigkeit Sesselmanns von geringem Interesse

Deutlich wird noch eine Gemeinsamkeit der Gäste des Abends in Judenbach: Sesselmanns Parteizugehörigkeit scheint hier kaum jemanden zu interessieren. Ein Mann kritisiert, Sesselmann sei wegen seiner AfD-Parteizugehörigkeit "gebrandmarkt" worden.

Andere Stimmen sprechen davon, dass sie nur tatsächliches Handeln bewerten wollten. Dass Sesselmann eine Partei vertritt, deren Thüringer Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft ist, löst hier vor allem freundliches Schulterzucken aus.

MDR (med/dr)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 01. März 2024 | 17:30 Uhr

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