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InterviewHerr Buermeyer, wie ist die Lage der Nation … in Thüringen?

11. April 2024, 06:11 Uhr

Im Podcast "Die Lage der Nation" analysiert Ulf Buermeyer seit acht Jahren das politische Geschehen in Deutschland. Rund eine halbe Million Menschen hören ihm und seinem Kollegen Philip Banse jede Woche dabei zu, wenn sie die politischen Entwicklungen kritisch aufarbeiten - oder sich wie zuletzt mit Thüringens CDU-Chef Mario Voigt im Interview fetzen. Nach einer Lesung zum gemeinsamen Bestseller-Buch "Die Baustellen der Nation" haben wir Ulf Buermeyer in Weimar zum Interview getroffen.

von Andreas Kehrer, MDR THÜRINGEN

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- Im Artikel wurde das Interview gekürzt. Im Audio hören Sie die komplette Fassung -

Herr Buermeyer, zu Ihrem Podcast gibt es seit letztem Jahr ein Buch: "Die Baustellen der Nation".  Das Buch haben Sie am Sonntagabend bei einer Lesung in Weimar vorgestellt. Wobei, gelesen haben Sie da gar nicht so viel. Sie haben vor allem Fragen aus dem Publikum beantwortet. Welche politische Frage nehmen Sie aus Thüringen mit?

Wir haben mit diesem Buch schon eine ganze Reihe von Veranstaltungen organisiert, in allen Regionen Deutschlands, und was mich beeindruckt hat, war eine tiefe Sorge der Menschen in Thüringen. Wie es weitergeht mit der Demokratie und wie es weitergeht mit der Wirtschaft in Deutschland. Also die Grundstimmung war jetzt nicht panisch oder verzweifelt, aber schon deutlich stärker besorgt als ich das bisher erlebt habe.

Dr. Ulf BuermeyerUlf Buermeyer wurde 1976 in Osnabrück geboren. Er studierte Jura und Psychologie an der Universität Osnabrück. Seine Staatsexamen legte er in Leipzig und Berlin ab. Seit 2008 ist er Richter am Landgericht Berlin. 2015 promovierte Buermeyer an der Universität Frankfurt am Main.

Seit 2016 ist er Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Im selben Jahr begann er zusammen mit Philip Banse den Podcast "Die Lage der Nation" zu moderieren. Mit etwa eine halben Million Abrufen pro Woche gehört er zu den erfolgreichsten Politik-Podcasts im deutschen Sprachraum.

Das Buch "Die Baustellen der Nation" veröffentlichten Banse und Buermeyer im September 2023. ISBN: 9783550202414

Im Buch und im Podcast betreiben Sie konstruktiven Journalismus. Das heißt, dass Sie nicht nur Probleme benennen, sondern auch Lösungswege aufzeichnen. In unserer Gesellschaft verbreiten derzeit viele das Narrativ, dass Deutschland an die Wand fahren würde. Sind Sie im Gegensatz dazu so etwas wie die Stimme der Vernunft?

Ich will es hoffen. Also wir verstehen uns tatsächlich als konstruktive Journalisten, wir wollen die Menschen nicht alleine lassen mit ihren Sorgen, wir wollen versuchen zu erklären, worauf bestimmte Probleme und Fehlentwicklungen beruhen und wollen dann jeweils deutlich machen, wie man es anders machen kann.

Ulf Buermeyer (re.) bei der Buchpräsentation im Nationaltheater Weimar mit Moderatorin Blanka Weber. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Ich glaube, dass das auch ein Schlüssel ist dafür, dass die Menschen sich wieder mehr demokratisch engagieren. Es gibt in einer Demokratie viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Man kann das politisch tun auf kommunaler Ebene, man kann sich im Elternrat der Schule engagieren, man kann sich für die Kita engagieren, man kann sich bei der Feuerwehr engagieren - das alles ist demokratisches Engagement im weiteren Sinne. Ich hoffe, wir machen mit unserer Arbeit den Menschen ein bisschen Mut und ermuntern sie zugleich, selber einen Beitrag zu leisten.

Wir wollen in diesem Interview über die Lage des Freistaats Thüringen sprechen. Im September sind Landtagswahlen. Nicht nur in Thüringen, sondern auch in Sachsen und Brandenburg. Glauben Sie, dass die Wahlen in Thüringen mehr im Fokus stehen, aufgrund der Thüringer Regierungskrise 2020?

Also ich weiß nicht, ob der konkrete Fall Kemmerich vor vier Jahren noch mal eine große Rolle spielen wird. Die dahinterstehende Situation ist ja heute im Grundsatz nicht so viel anders, nur dass die AfD nochmal stärker geworden ist und damit eine Partei, die in Thüringen nach Einschätzung des Verfassungsschutzes gesichert rechtsextrem ist. Das ist natürlich eine Partei, die in keiner Weise Macht ausüben sollte, weil extremistische Parteien erfahrungsgemäß daran arbeiten, die Demokratie auszuhöhlen.

Wir sehen das in Polen. Die Polen haben das Joch der PiS, der dortigen rechtsextremistischen Partei, gerade noch mal abgeschüttelt, aber man sieht jetzt, wie schwer es den demokratischen Parteien fällt, diesen autoritären Umbau des Staates rückgängig zu machen. Und in den 1930er-Jahren war Thüringen ja schon in der Weimarer Republik das erste Land, in dem die Faschisten teil der Regierung wurden. Da haben sie sofort versucht, zum Beispiel über das Bildungswesen, die Jugend des Landes zu manipulieren.

Also: Es drohen große Gefahren, wenn die AfD in der einen oder anderen Weise Mitglied einer Landesregierung würde. Wenn die anderen Parteien sich zusammenreißen, ist der Stimmenanteil der AfD letztlich gar nicht entscheidend - außer wenn sie mehr als 33 Prozent der Mandate erringen sollte. Dann gäbe es tatsächlich eine Staatskrise in Thüringen.
 
Ich möchte mit Ihnen einen kleinen Streifzug durch die Thüringer Parteienlandschaft machen. Die letzten Umfragen im März haben gezeigt, dass sich die Karten in Thüringen gerade nochmal neu mischen. Das hängt unmittelbar mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zusammen. Es fällt aber gerade vielen Menschen noch schwer, diese Partei einzuordnen. Was glauben Sie, wo kann man das BSW im Parteienspektrum einsortieren?

Also ich denke, wichtig ist zunächst mal, den Namen dieser neuen Gruppierung ernst zu nehmen. Es ist das Bündnis Sahra Wagenknecht, es ist also zunächst mal auf eine ganz konkrete Person und ihre politischen Vorstellungen zugeschnitten. Ob es diesem BSW gelingen wird, sich tatsächlich zu einer Programmpartei zu entwickeln, ist aus meiner Sicht bisher noch offen.


Wenn man sich die Äußerungen von Frau Wagenknecht anschaut, dann scheint mir das ein ganz interessantes Mischmasch zu sein von tendenziell eher linken und eher rechten Positionen. Es gibt auf der einen Seite rechtspopulistische Äußerungen zum Themenkomplex Migration. Auf der anderen Seite schneidet Frau Wagenknecht auch Themen an, die im politischen Spektrum in Deutschland unterrepräsentiert sind. Insbesondere Fragen der Verteilungsgerechtigkeit.

Viele Menschen in Deutschland empfinden ja die wirtschaftlichen Verhältnisse als ungerecht und bekommen da im Parteienspektrum bislang nur vergleichsweise wenig Angebote. Viele Menschen haben das Gefühl, es gibt Ungerechtigkeiten, weil zum Beispiel der Staat nicht mehr in der Lage ist, für gute Schulen zu sorgen, die Infrastruktur zerfällt oder die Bahn bundesweit nicht im besten Zustand ist. Dem Staat fehlt das Geld, um für die Menschen die entscheidenden Investitionen zu tätigen.


Im politischen Raum wird jedoch sehr wenig darüber diskutiert, wo dieses Geld herkommen könnte. Stattdessen führen wir Neiddebatten gegen Menschen, die Bürgergeld empfangen, oder gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Da sehe ich die Chance, dass Frau Wagenknecht spannende Fragen stellt. Zum Beispiel, warum es in Deutschland eine so niedrige Erbschaftssteuer gibt? Warum müssen Menschen, die große Millionenvermögen erben, so wenig davon abgeben? Sahra Wagenknecht stellt da, aus meiner Sicht richtige Fragen, erliegt an anderer Stelle aber auch der populistischen Verführung.

Die AfD, die in Thüringen als rechtsextrem eingestuft wird, steht laut Infratest Dimap bei 29 Prozent und wäre stärkste Kraft in Thüringen. Ende 2023 stand die Partei jedoch bei 34 Prozent. Björn Höcke war damals so selbstbewusst, beim Parteitag in Pfiffelbach einen 5-Punkte-Plan zu präsentieren, den er in Thüringen umsetzen möchte, wenn er Ministerpräsident werden würde. Dieser Plan lässt sich wie ein Angriff auf alle demokratischen Instanzen lesen. Im Januar gab es die Correctiv-Recherche und es gab die Massenproteste. Hat die AfD den Bogen vielleicht überspannt und ihr Momentum in Thüringen verspielt?

Bogen überspannt ist ein Denkansatz, vielleicht ist es aber auch einfach so, dass es die Menschen doch zum Nachdenken gebracht hat, dass im Frühjahr dieses Jahres viele, viele Menschen auf die Straße gegangen sind und ihrer Sorge um die Demokratie Ausdruck verliehen haben.
 
Ich glaube, dann sollte man sich schon die Frage stellen, warum tendieren oder tendierten Menschen dazu, die AfD zu wählen? Natürlich gibt es einen Bodensatz von harten Rassisten, Rechtsextremisten, aber nach Umfragen liegt der irgendwo zwischen sieben und zehn Prozent. Das heißt, es gibt einen überwiegenden Anteil von Menschen, die der AfD zumindest zuneigten, die eigentlich für die Demokratie nicht grundsätzlich und strukturell verloren sind.

Da lohnt es sich nachzufragen, was diese Menschen wirklich umtreibt. Häufig sind es die alltäglichen Sorgen, dass der Staat seine Leistungen für die Menschen nicht mehr so erbringt, wie sie das völlig zurecht erwarten. Also geht es vor allem um Schule, Bildung, Infrastruktur und vielleicht auch hier und da mal Sicherheit. Fragen, die sich ohne Rassismus lösen lassen.

In Wirklichkeit ist es eine neoliberale Ideologie, die wir in Deutschland seit den 90er Jahren sehr konsequent umgesetzt haben. Wir haben parteiübergreifend extrem gespart in den letzten 20, 25 Jahren. Jetzt sieht man: Wir haben den Staat ausgezehrt. Der Staat ist stellenweise ausgetrocknet und verhungert und ich glaub den Menschen dämmert vielleicht, die Lösung ist einfach, dass wir unseren Staat besser aufstellen, dass wir ihn besser finanzieren.

Den Staat ausgezehrt, daran hat dann seit 1990 maßgeblich auch die CDU einen Anteil, die in den letzten Jahren im Bund und auch in Thüringen oft die Regierungsverantwortung hatte. Die CDU ist laut Umfragen aktuell zweitstärkste Kraft in Thüringen. Vor Kurzem haben Sie in der "Lage der Nation" den Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten der Thüringer CDU, Mario Voigt, im Interview gehabt. Nach diesem Interview haben Sie Herrn Voigt scharf kritisiert. Sie haben ihm vorgeworfen, populistisch argumentiert und wissentlich Falschbehauptungen verbreitet zu haben. Waren Sie von diesem politischen Stil von Herrn Voigt überrascht?

Überrascht und auch ein Stück weit schockiert! Zum Beispiel haben wir uns mit ihm über die Wärmepumpe unterhalten und da wurde von ihm sehr schnell die Zahl 100.000 Euro ins Feld geführt. Wer sich mit dem Thema beschäftigt hat, weiß aber, dass eine Wärmepumpe nicht 100.000 Euro, sondern 15.000 bis vielleicht 25.000 Euro kostet, wenn es ein sehr großes Gebäude ist. Das ist ein Politikstil, der die Menschen in die Irre führt. Das ist für die Demokratie wirklich schädlich!

Mario Voigt ist Landesvorsitzender der CDU-Thüringen und Spitzenkandidat seiner Partei bei den bevorstehenden Landtagswahlen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Ich beobachte bei Herrn Voigt ein Überschwappen rechtspopulistischer Argumentationsmuster und das sehe ich mit großer Sorge, weil ich finde demokratische Parteien müssen sich durch ein unbedingtes 'Ja!' zur Wahrheit, zur ehrlichen Information und zum ehrlichen Wettstreit um die besten Ideen auszeichnen. Deswegen habe ich mit meinem Freund und Kollegen Philip Banse nach dem Interview fast so eine Art Gruppentherapie machen müssen. Wir haben uns hingesetzt und stundenlang diese für uns extreme Erfahrung aufgearbeitet.

Demnächst trifft sich Herr Voigt zum TV-Duell mit Björn Höcke. Eine gute oder eine dumme Idee?

Ich halte das für eine schlechte Idee. Wir laden in die Lage der Nation keine Rechtsextremisten ein, egal aus welcher Partei, und zwar einfach deswegen, weil zu einem vernünftigen demokratischen Diskurs gehört, dass man bestimmte Spielregeln einhält. Zum Beispiel die Wahrheit zu sagen. Man kann mit Rechten nicht öffentlich diskutieren, insbesondere nicht in so einer Live-Situation, weil sie diese Spielregeln nicht einhalten.
 
Mario Voigt wertet mit dem Duell den Kandidaten der rechtsextremistischen Partei völlig unnötig auf und zugleich wertet er den amtierenden Ministerpräsidenten ab. Ich hätte mir ein Duell Voigt gegen Ramelow gewünscht, denn das sind die beiden Personen, die am ehesten noch die Möglichkeit haben, für eine demokratische Mehrheit im Landtag Ministerpräsident zu werden. Ich glaube, dass es unterm Strich mindestens ein Punktsieg, wenn nicht sogar ein Schachmatt für Herrn Höcke wird.

Damit sind wir direkt auf der anderen Seite des politischen Parteienspektrums angekommen. Sie haben Herrn Ramelow angesprochen, der nach vier Jahren Minderheitsregierung doch sehr angeschlagen wirkt. Wie nehmen Sie denn Herrn Ramelow und auch die Linkspartei wahr, glauben sie, dass sie in Thüringen noch zu etwas fähig sind?

Ich denke, dass die Linkspartei in Thüringen viele Jahre gute Politik gemacht hat, insofern, dass sie sehr undogmatisch Politik gemacht hat. Herr Ramelow war nach meiner Wahrnehmung ein klassischer Ministerpräsident, der also nicht Parteiprogramme hochgehalten hat, sondern im Prinzip gesagt hat: Ich sehe, worum es geht und ich versuche, Thüringen nach vorne zu führen. Ich versuche, eure Sorgen ernst zu nehmen.

Der "Landesvater" in der Umfragekrise: Kann Bodo Ramelow noch einmal Thüringer Ministerpräsident werden? Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Dieses Image des kümmernden Landesvaters hat er in letzter Zeit nach meiner Wahrnehmung eingebüßt und das wiederum scheint ihn nervöser zu machen. Jetzt merkt man, dass es hinter der Figur Ramelow an einer schlagkräftigen Landespartei fehlt, die auch programmatisch den Menschen in Thüringen ein Angebot machen kann. Ich habe den Eindruck, sie haben einfach sehr lange und ja auch sehr erfolgreich auf die Personen Ramelow gesetzt. Aber jetzt fragen sich die Menschen, wenn der Ministerpräsident so ein Stück weit entzaubert ist, was kommt denn dann eigentlich?

Was trauen Sie der Linkspartei in Thüringen noch zu?

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der eigentliche Grund für die Sorgen der Menschen die Unterfinanzierung des Staates ist. Da hätte natürlich auch die Linkspartei durchaus ein Angebot zu machen. Ich vermisse aber eine konsequente Programmatik, die den Menschen sagt: Wir stehen für eine fairere Verteilung des Vermögens in unserem Land.
 
Deutschland ist ein sehr, sehr reiches Land, aber es gibt sehr wenige Menschen, die sehr reich sind und sehr viele Menschen, die wenig haben. Und dann gibt es noch viel zu viele Menschen, die praktisch gar nichts haben. Da ist aus meiner Sicht im Parteienspektrum ein Vakuum, das jetzt Sahra Wagenknecht besonders überzeugend adressiert. Da kauft man sich aber auf der anderen Seite auch die ein oder andere rechtspopulistische Position ein. Ein reines links-progressives Angebot könnte am überzeugendsten die Linkspartei machen.

Schauen wir auch auf die Ampelparteien: SPD, Grüne und FDP gehen in Thüringen durch ein Umfragetief. Die FDP flöge nach den letzten Umfragen komplett aus dem Landtag, die Grünen würden es knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und die SPD, die Kanzlerpartei, wäre nicht mal zweistellig. Werden die Parteien in Thüringen dafür abgestraft, was die Ampel in Berlin macht?

Das spielt eine starke Rolle. Die regierenden Parteien in Berlin werden aber seit Jahrzehnten bei Landtagswahlen in der Tendenz abgestraft. Landtagswahlen bringen für die regierenden Parteien im Bund typischerweise Einbußen mit sich. Es gibt Ausnahmen, aber es ist schon die Regel, dass das so ist.
 
Aus journalistischer Perspektive finde ich die Ampel in der öffentlichen Diskussion - und zwar alle Parteien der Ampel - in der Tendenz viel zu kritisch dargestellt. Man muss zum Beispiel sehen, dass es der Ampel gelungen ist, im Bereich Energie Versorgungssicherheit herzustellen, obwohl es ein russisches Gasembargo gegen Westeuropa gibt.

Putin hat uns den Hahn abgedreht und trotzdem ist bei niemandem in Deutschland die Gasheizung kalt geblieben. Auch die Strompreise sind für die Industrie in Deutschland auf dem Niveau vor dem Krieg. Auch das ist eine enorme Leistung. Und es ist uns gelungen, durch konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien einen Anteil von über 50 Prozent zu erreichen. Die Bilanz der Ampel ist bei Weitem nicht so schlecht.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind prägenden Personen der Ampelregierung. Ist ihre Politik besser als ihr Ruf? Bildrechte: IMAGO/photothek

Das stellt für mich die Frage: Wie verlaufen eigentlich öffentliche Debatten bei uns? Gerade in Thüringen gab es sehr viel Kritik gegen das sogenannte Gebäudeenergiegesetz. Schaut man aber genauer hin, hatten Menschen Angst, dass der Staat ihnen die Heizung aus dem Keller rupfen möchte, sie hatten Angst vor staatlichen Eingriffen, die so gar nicht geplant waren. Da spielen natürlich bestimmte Boulevardmedien eine große Rolle, solche falschen Vorstellungen zu verbreiten. Ich glaube, da müssen sich die Menschen einfach ein bisschen besser informieren.
 
Ein weiteres Thema wäre die Wirtschaft. Viele Menschen kritisieren das Nullwachstum. Auch das wird der Ampel in die Schuhe geschoben. Was ist denn aber die konkrete Ampelentscheidung, die jetzt angeblich die Wirtschaft abgewürgt hat? Die Strompreise sind auf Vorkriegsniveau, das kann es offensichtlich nicht sein. Wenn man Ökonominnen fragt, woran es liegt, dann sagen die: Wir haben in Deutschland fast Vollbeschäftigung. Es gibt einfach keine Fachkräfte mehr. Wie soll also die Wirtschaft wachsen, wenn es einfach kein Arbeitskräftepotenzial gibt?

Kommen wir noch mal auf die Landtagswahlen zurück. Im Sommer soll es bundesweit noch mal Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie geben. Glauben Sie, dass die Menschen, die da auf die Straße gehen, einen Stimmungswandel erzeugen können?

Ich glaube, eine Demonstration ist ganz wichtig für die Menschen, die daran teilnehmen, weil sie unmittelbar spüren: Ich bin nicht allein mit meiner Sorge um die Demokratie, ich bin nicht alleine mit meinem Engagement für die Demokratie und für Menschenrechte. Darüber hinaus hat eine Demonstration natürlich auch über die Teilnehmenden hinaus einen kommunikativen Effekt, der zeigt: Die Mehrheit der Menschen im Land steht hinter der Demokratie und sie lehnt populistische rassistische Positionen ab.

Dann lassen Sie uns abschließend nochmal zum Sonntagabend zurückkommen. Eine junge Weimarer Studentin hat Ihnen da die Frage gestellt, was Ihnen Mut macht und wie Sie zuversichtlich bleiben? Die Frage kam vor dem Hintergrund, dass die Studentin Angst vor möglichen politischen Entwicklungen in Thüringen hat …

… und vor dem Klimawandel. Das war der zweite Punkt, den die Studentin stark machen wollte.

Richtig. Also: Was kann nicht nur diese Studentin, was kann uns alle in Thüringen zuversichtlich machen, dass die Lage gar nicht so schlecht ist?

Ehrlich gesagt sind es vor allem Veranstaltungen wie am Sonntag, die mir deutlich machen, wie viele kreative, engagierte, junge und auch ältere Menschen in unserem Land demokratisch gesinnt sind. Wie heißt es so schön: Wir sind mehr. Menschen, die hinter der Demokratie stehen, bilden nach wie vor eine mindestens Zwei-Drittel-, wenn nicht sogar eine Drei-Viertel-Mehrheit. Natürlich ist es immer noch viel zu viel, wenn ein Viertel der Menschen an der Demokratie Zweifel hat. Aber auch hier, glaube ich, geht es in vielen Fällen noch nicht mal um echte Zweifel an der Demokratie als solcher, sondern es geht um die konkreten Leistungen der real existierenden demokratischen Politik.

Ulf Buermeyer in Weimar. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer


Es lohnt sich zu fragen, wo sind deine ganz konkreten Probleme? Das ist auch der Ansatz unseres Buchs "Baustellen der Nation" gewesen, dass wir versucht haben, an acht Themengebieten exemplarisch darzustellen, welche Probleme haben die Menschen denn tatsächlich in unserem Land. Welche demokratisch getroffenen Entscheidungen haben dahin geführt, dass der Karren im Dreck steckt? Und dann haben wir natürlich immer die Frage gestellt: Und wie bekommen wir den Karren da wieder raus?
 
Es gibt aus diesem Schlamassel einen Weg heraus, einen demokratischen Weg ohne Rassismus, ohne Hetze, sondern einfach mit konkreten, sinnvollen Entscheidungen. Ich glaube, das macht den Menschen auch Mut, wenn sie verstehen, dass da nicht irgendwie finstere Mächte am Werk sind, sondern dass es konkrete Fehlentscheidungen sind, die sich auch revidieren lassen.

Vielen Dank für das Interview!

Anm. d. Redaktion: Für den Artikel haben wir das Interview gekürzt. Mehr Beispiele und weitere Ausführungen von Herrn Buermeyer hören Sie im Audio, das der ungekürzten Fassung entspricht.

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MDR (ask)

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